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Para-Snowboarderin Amy Purdy hat über 270.000 Follower auf Instagram.

© /Instagram/amypurdygurl

Behinderung in Social Media: Eine Machtverschiebung ist möglich

Geschichten über Behinderung hatten lange das Schema „Opfer oder Held“– Soziale Medien können das verändern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ronja Ringelstein

Die UN-Behindertenrechtskonvention hat einen Leitspruch: „Nicht ohne uns über uns“. Er sollte immer gelten, nicht zuletzt, wenn Medien über Menschen mit Behinderung berichten. Lange Zeit aber wurden immer diese zwei Geschichten erzählt: die eine vom „Opfer“, das seit einem „tragischen Unfall“ an den „Rollstuhl gefesselt“ ist . Und die des Helden, der „trotz der Behinderung“ Dies und Jenes tut. Heute bemühen sich viele deutsche Medien, es besser zu machen und machen es besser. Das liegt nicht zuletzt am Engagement von den „Leidmedien“, die Workshops in den Redaktionen geben. Oft ist die Angst groß, Unpassendes zu schreiben, zu sagen. Wie berichtet man „richtig“ über Behinderung?

Menschen mit Behinderung übernehmen selbst

Dabei hat womöglich bereits die entscheidende Revolution begonnen: Menschen mit Behinderung übernehmen selbst. In den Sozialen Medien, auf Plattformen wie Instagram, Facebook, Twitter, kann jeder, egal, welchen Beruf er auch ausübt oder was er auch tut, andere Menschen – Follower – daran teilhaben lassen. „Sich selbst darstellen, anstatt dargestellt zu werden, kann viel verändern. Man reißt diese Macht an sich“, sagt die Berliner Bloggerin Laura Gehlhaar. Auf ihrer Homepage lauragehlhaar.com räumt sie mit Klischees über Behinderungen auf, erzählt aus ihrem Alltag im Rollstuhl und über das Großstadtleben. Für ihr Bullshit-Bingo hat sie die Sätze zusammengetragen, die sie häufig hört – „Toll, dass Sie trotzdem rausgehen.“

Soziale Medien können Barrieren einreißen

Für Laura Gehlhaar zeige dieser Satz, der sie zur Heldin glorifiziert, nur weil sie es vor die Tür geschafft hat, was Behinderung in den Köpfen der Menschen nach wie vor bedeutet: „Sie haben das Bild, dass das alles sehr schlimm sein muss.“ Eben deshalb bloggt sie, sitzt in Talkshows und hat ein Buch ("Kann man da noch was machen?", Heyne Verlag) geschrieben. Auch auf Instagram ist sie aktiv – wie etliche Sportler der Paralympics auch.
Soziale Medien können Barrieren einreißen. Der „Follower“ fühlt sich dem, dem er folgt näher, hat das Gefühl teilzuhaben, auch wenn der Schein sicherlich oft trügt. Viele deutsche Paralympioniken, wie Leichtathlet Heinrich Popow, nutzen das, mit Witz und Charme. Popow hat 19.000 Follower. Doch der Instagram-Star ist wohl die US-Para-Snowboarderin Amy Purdy. 272.000 Menschen „folgen“ ihr. Ihre Bilder bekommen tausende „Likes“. Purdy ist Werbegesicht von Coca Cola und trat im Fernsehen bei der Tanzshow „Dancing with the stars“ auf. Ihre Instagram-Fotos vermitteln das Bild einer glamourösen Welt. Sie geht offensiv mit ihrer Behinderung um. Und wird nicht müde, zu betonen, dass mit Willenskraft jeder alles erreichen könne. Oft sieht man sie im Minikleid, ihre Unterschenkel-Prothesen tragen hohe Schuhe, die Kunststoffzehen sind lackiert. Fast erkennt man die Prothesen gar nicht.

Wie "normal" muss ich sein, damit ihr mich gut findet?

Ist das der Weg, um Behinderung in die Mitte der Gesellschaft zu bringen? Weder Opfer noch Held? Die Berlinerin Laura Gehlhaar ist skeptisch: „Muss ich erst zeigen, dass ich so "normal" wie möglich sein kann, damit ihr mich gut finden könnt?“, fragt sie. Das bleibt vorerst unbeantwortet. Die Gesellschaft muss noch beweisen, dass sie Menschen mit Behinderung wirklich in ihrer Mitte will. Ein Moderator mit Behinderung in den Abendnachrichten, auch wenn es nicht um die Paralympics geht, wäre ein Anfang. Es braucht mehr von denen, die in die Öffentlichkeit drängen, nicht weil sie eine Behinderung haben, sondern weil sie zur Gesellschaft gehören. Instagram kann da nur ein Anfang sein.

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