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Juni 1970: Nationalspieler Berti Vogts (links) und Hannes Löhr können nach dem schweren WM-Auftaktspiel schon wieder lächeln.

© Imago

Eine persönliche Liebeserklärung zum 100. Jubiläum: Den „Kicker“ muss man einfach gernhaben

Der „Kicker“ hat unseren Autor sein ganzes Leben lang begleitet – und ihn meistens begeistert. Eine herzliche Gratulation zum runden Geburtstag.

Das mit dem Kicker und mir hat wirklich nicht gut angefangen. Im Gegenteil. Es begann mit einer schweren Enttäuschung. Ich war in der ersten Klasse, nicht mal sieben Jahre alt, als der Verein aus meiner Heimatstadt zum dritten Mal hintereinander Deutscher Meister wurde.

Für mich war es der erste Titel, den ich bewusst miterlebte, mitten in meiner fußballerischen Erweckungsphase. Damals atmete ich Fußball, wollte alles wissen, alles haben. Schal, Fahne, mein erstes Trikot, die ersten Fußballschuhe, Autogramme. Und vor allem ein Poster des neuen Deutschen Meisters für die Wand in meinem Kinderzimmer.

Frühkindliche Enttäuschung - kein Poster im Kicker

Mein Vater, der den Kicker jeden Montag und jeden Donnerstag auf dem Weg von der Arbeit nach Hause kaufte und ihn dann erst einmal gegen mich verteidigen musste, beruhigte mich: Das Poster gebe es am Montag ganz sicher im Kicker, so wie immer in den vergangenen Jahren. Also freute ich mich auf den Montag, aber am Montag gab es kein Poster des Meisters – und auch in den kommenden Wochen nicht, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt.

Die Beziehung zwischen dem Kicker und mir ist durch diese frühkindliche Enttäuschung zum Glück nicht nachhaltig beschädigt worden. Ich hängte mir in meinem Fußballwahn einfach andere Poster an die Wand, die Mannschaftsfotos sämtlicher Zweitligisten, die in den kommenden Wochen immer im Tiefdruckteil des Kickers erschienen.

Man muss auch die Schrullen gernhaben

Und so zierten fortan die SpVgg Bayreuth, der VfR Oli Bürstadt und Waldhof Mannheim die Dachschräge über meinem Bett. VfR Oli Bürstadt – bis heute besitzt dieser Name für mich einen fast erotischen Klang. Man muss den Kicker einfach gernhaben, auch seine Schrullen, die fast kindliche Freude an Alliterationen zum Beispiel. „Des Kaisers Kampf um die Krone“ (9. Juli 1990) oder den „Kicker Kolumnisten-Kreis“ (früher).

Früh übt sich: Unser Autor ist ein Leser der ersten Stunde.
Früh übt sich: Unser Autor ist ein Leser der ersten Stunde.

© Karl Hermanns

Den ausgeprägten Hang zu Metaphern („Wer entfacht den bisslosen Sturm?“) und den Spaß an Kalauern und Namenswitzen, am liebsten in Überschriften. „Uwe legt die Beine hoch“ (über Uwe Bein, 25. Mai 1992). Oder: „Koch brachte die Würze“ (über Georg Koch, 19. Juni 1995). No jokes with names, das hat für den Kicker nie gegolten.

Vor 100 Jahren zum ersten Mal erschienen

An diesem Dienstag feiert er runden Geburtstag. Vor 100 Jahren ist der Kicker in Konstanz am Bodensee zum ersten Mal erschienen, gegründet von Walther Bensemann, der vieles war und hierzulande der Einfachheit halber als Fußballpionier firmiert.

Bensemann, 1873 in Berlin geboren, hat diverse Fußballvereine (mit-)gegründet; er hat die ersten Länderspiele der damals noch inoffiziellen Nationalmannschaft organisiert, war an der Entstehung des Deutschen Fußball-Bundes beteiligt – und hat letztlich mit dem Kicker Sorge dafür getragen, dass über das neue Spiel auch angemessen berichtet wurde. 1933 musste Bensemann seine Heimat verlassen, weil ihm als Jude die Verfolgung drohte, ein Jahr später starb er in Montreux.

Längst Fußballkulturgut geworden

Mit dem Kicker lebt Bensemanns publizistisches Vermächtnis weiter: Es geht vor allem um das Spiel. „Wenn man mit jemandem vom Kicker spricht, dann spricht man über Fußball“, hat Uli Hoeneß zum Jubiläum gesagt. Und so ist der Kicker längst selbst Fußballkulturgut geworden.

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In den besten Zeiten lag seine Auflage bei 350.000 verkauften Exemplaren, inzwischen sind es noch knapp über 100.000. Aber im vergangenen Jahr hat der Kicker mit seinen digitalen Angeboten zum ersten Mal mehr erlöst als mit seiner Printausgabe.

Der Fußball erschlägt und dominiert alles

Das heißt nicht, dass der Kicker alles mitmacht. Der fortschreitenden Eventisierung der Fußballbranche widersetzt sich das Blatt weiterhin tapfer, auch wenn sich der Wandel der Sportlandschaft längst in seinen Inhalten niederschlägt.

Das Sportmagazin, mit dem der Kicker 1968 fusionierte, ist vor einigen Jahren aus dem Titel verschwunden – und mit ihm auch die sportliche Vielfalt im Blatt. Der Fußball erschlägt und dominiert alles, für den Restsport bleibt oft nur noch die letzte Seite im Zeitungsteil.

Fester Bestandteil unserer Beziehung

Mir soll’s egal sein. Ich habe den Kicker immer wegen des Fußballs gelesen, mal mehr, mal weniger enthusiastisch. Über mehrere Jahrzehnte begleitet er mich inzwischen. Den Kicker jeden Montag und jeden Donnerstag am Kiosk zu kaufen, ist fester Bestandteil unserer Beziehung – einer Beziehung, die stabil und verlässlich ist und keinen Moden folgt. Noch heute schaue ich jeden Montag nach, wer in der Woche Geburtstag hat. Und bin nur glücklich, wenn mindestens ein Ex-Spieler meines Lieblingsvereins dabei ist.

Einige Ausgaben zu großen oder wichtigen Spielen habe ich aufbewahrt, einige später dazugekauft. Zum Beispiel die vom 3. Juni 1971. Zwei Tage später würde das bis daher aufregendste Finale um die deutsche Meisterschaft in der noch jungen Geschichte der Fußball-Bundesliga stattfinden.

Vor dem letzten Spieltag führte Bayern München mit 48:18 Punkten und 74:34 Toren die Tabelle an, vor Borussia Mönchengladbach mit 48:18 Punkten und 73:34 Toren. Ein einziger Treffer trennte den Ersten vom Zweiten. Dem Kicker schien das herzlich egal zu sein. Er entschied sich, die Ausgabe mit der Aufstiegsrunde zur Bundesliga aufzumachen. Die beiden Artikel zu Bayern und Gladbach finden sich auf Seite neun. So souverän muss man erst mal sein.

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