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Alles für den EHC. René Welzer ist seit 1992 Fan der Eisbären.

© Sebastian Schlichting

Eishockey-Fan: Wie ein Zehlendorfer die Eisbären für sich entdeckte

Vor 25 Jahren fuhr der Zehlendorfer René Welzer erstmals zu einem Spiel nach Hohenschönhausen. Seitdem begleitet er seinen Klub überall hin.

Der Platz ist menschenleer an diesem sonnigen Sonntag. Doch am Wochentag liegt es nicht. Hier ist nie viel los. Ein Zigarettenautomat, ein Ständer, in dem das kostenlose Bezirksmagazin „Scheinschlag“ ausliegt und eine Straßenbahnhaltestelle. Mehr gibt es nicht am Hackeschen Markt. Alle paar Minuten rumpelt eine Straßenbahn los, fährt vorbei an den verfallenen Hackeschen Höfen Richtung Osten. In eine Bahn steigt René Welzer. Ziel ist die Eissporthalle im Sportforum Hohenschönhausen, später offiziell Wellblechpalast. Es wird Welzers erster Besuch beim EHC Eisbären. Gegen die Düsseldorfer EG. Mitte Oktober 1992.

Welzer ist zu dem Zeitpunkt 14 Jahre alt, er kommt aus Zehlendorf. Grad im Eishockey sind die Grenzen weiterhin eindeutig: Ost-Berlin gleich EHC Eisbären, in der Vorsaison noch EHC Dynamo, das hielten die Vereinschefs jedoch nicht mehr für zeitgemäß. West-Berlin gleich BSC Preussen. Welzer gehört zu den wenigen, die seinerzeit einen anderen Fan-Weg gehen.

Viele hundert Spiele hat er inzwischen gesehen, Auswärtsfahrten im Europapokal haben den heute 39-Jährigen unter anderem nach Schweden und Finnland geführt. Dauerhaft Tabellenkeller, Aufschwung durch Austausch des fast kompletten Kaders nach dem Bosman-Urteil 1995, Rekordmeister der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) – von ganz unten bis ganz oben war alles dabei. In Hohenschönhausen und in der großen Arena in Friedrichshain. Erst öfter fast pleite, jetzt im Besitz von Anschutz. Über 25 Jahre EHC-Anhänger, das ist auch die Geschichte vom Wandel eines Vereins in einer sich wandelnden Stadt.

Am Anfang stand die Lust auf Neues. In den frühen 90er Jahren schaute Welzer beim Basketball, Handball oder American Football vorbei. Dann las er in der Zeitung, dass die Eisbären in der Bundesliga ein Heimspiel haben. Also hin. 0:3 gegen Meister DEG. „Die Stimmung war grandios, 60 Minuten lang“, sagt Welzer, der eingezwängt auf der Treppe des Blocks stand. Woanders war kein Platz. „Ich möchte ein Eisbär sein“, sagte sich der Junge aus Zehlendorf getreu dem Spruch auf seinem später erworbenen ersten Fanschal, angelehnt an eine in der Halle oft eingespielte Zeile des Liedes „Eisbär“ der Band Grauzone.

Niederlagen gehörten zum EHC wie der Puck zum Eishockey. „Natürlich war es nicht schön, dauernd unterzugehen. Die Mannschaft war nicht konkurrenzfähig, aber bei den Fans gab es ein unglaubliches Wir-Gefühl.“ Dy-na-mo, Ost-Ost-Ost-Berlin, schallte es von den Rängen. Wir aus dem Osten! Gegen alle anderen! Welzer, der Wessi, immer auf Seiten des EHC, der Ossis. Da verschwammen sie, die Grenzen. Wichtig waren die Eisbären. Jahre später, bei einem Auswärtsspiel in Düsseldorf, leierte ein Zuschauer reichlich Klischees über Ostdeutschland runter. Welzer hörte erst geduldig zu, antwortete dann: „Ich komme aus dem Westen. Und ich gehe zu den Eisbären. Schon sehr lange.“ Danach war Ruhe.

Es war rau und stimmungsvoll beim EHC – manchmal blieb es nicht dabei. Bei Auswärtsspielen gegen die Preussen in der Eissporthalle an der Jafféstraße war die Zahl an Polizisten dreistellig. Sicher nicht wegen der Preussen-Fans. „Meine Eltern waren besorgt, wenn wieder etwas über Randale bei den Eisbären in der Zeitung stand“, erinnert sich Welzer.

Welzer stören die Klatschpappen

Gründonnerstag 2018 am Ostbahnhof, eine Stunde vor Beginn des ersten Halbfinals gegen die Nürnberg Ice Tigers. Als die Arena neu war, ging es von hier immer geradeaus. Inzwischen ist es ein Zick-Zack-Kurs vorbei an Hotels, Wohn- und Parkhäusern, fertigen und nicht fertigen Gebäuden. Aufgeregt ist Welzer in den Play-offs auch nach 25 Jahren. Über einen Termin für das Treffen beim Halbfinale wollte er während der Viertelfinalserie gegen die Grizzlys Wolfsburg trotz der 3:1-Führung noch nicht sprechen. Aberglaube.

Welzer trägt ein Trikot vom Spengler Cup 2005 mit der Nummer 11, „die ewige Nummer elf“, sagt er. Sven Felski, Eisbären-Legende. Als der Fan 1992 erstmals in der Halle war, absolvierte der Spieler seine erste Bundesligasaison. Er hat den Verein bis zum Karriereende 2012 nie verlassen. Welzer steht in der Fankurve, Block 213, weit oben. Hier hat jeder seinen Stammplatz. Einen seiner besten Freunde hat er vor 20 Jahren im Sportforum kennengelernt. In Block G, weit oben.

Der harte Kern der Eisbären-Fans hat trotz Viertelfinal-Aus in den Play-offs doch noch etwas zu feiern.
Der harte Kern der Eisbären-Fans hat trotz Viertelfinal-Aus in den Play-offs doch noch etwas zu feiern.

© Britta Pedersen/dpa

Bis zum ersten Bully bleiben einige Minuten. Welzer blickt zurück, ein Vierteljahrhundert verdichtet auf zwei extreme Ausschläge: 2004, die Eisbären waren da noch nie DEL-Meister. Niederlage im dritten Finale gegen die Frankfurt Lions. „Ich sehe es vor mir, wie der Puck in der Verlängerung Rob Leask an die Schulter und von da ins Tor springt.“ Frankfurt gewann und wurde in Spiel vier Meister. 2012, 2:5-Rückstand im vierten Endspiel bei den Adler Mannheim, denen die Berliner Fans in inniger Abneigung verbunden sind. „Die Zuschauer haben schon die Meisterschaft gefeiert.“ Die Eisbären siegten noch und sicherten sich danach den sechsten von bisher sieben Titeln. 2008, Zäsur! Über 14.000 Zuschauer – dreimal mehr als in den Wellblechpalast passten – beim ersten Spiel in der neuen Halle, ausverkauft. 11:0 gegen die Augsburger Panther. „Ein Rausch“, sagt Welzer. Der Beginn von etwas Neuem. „Wenige Wochen später habe ich in Zehlendorf Leute mit Eisbären-Trikots gesehen.“ Die Eisbären sind nicht mehr Ost, auch nicht West. Sie sind Berlin und bieten Unterhaltung für die ganze Familie.

Gegen Nürnberg ist Drittelpause, Zeit für ein Getränk. 4,50 Euro der halbe Liter Bier. Zumindest ist die Wartezeit überschaubar. Das war früher anders. Anstehen für eine Wurst im Wellblechpalast, bei den Fans nur Welli, konnte eine zeitintensive Geschichte werden. „Natürlich sind heute viele Gelegenheitsfans bei den Heimspielen. Das stört mich überhaupt nicht. Bei Alba und den Füchsen bin ich auch Gelegenheitsfan“, sagt Welzer. Ihn stört etwas anderes, er deutet Richtung Gerade – die Klatschpappen. „Viele scheinen vergessen zu haben, wofür uns der liebe Gott zwei Hände gegeben hat.“ Unter dem Dach sind in der Kurve auf einem Banner mit Dynamo-Logo die Jahreszahlen der 15 DDR-Meisterschaften zu lesen, Dynamo ist fester Bestandteil vieler Fangesänge. Mitte des Spiels dann: Ost-Ost-Ost-Berlin. Kommt immer, nur nicht so laut, so energisch wie einst.

„Der Umzug war aus emotionaler Sicht sehr, sehr traurig“, sagt Welzer. „Aber es gab keine Alternative.“ Die Eisbären wären in Hohenschönhausen eher über kurz als über lang nicht konkurrenzfähig gewesen. Neulich war Welzer, beruflich im Risikomanagement einer Autoversicherung tätig, mal wieder im Wellblechpalast, bei einem Spiel der Eisbären Juniors. Auf den Stehplätzen sind Sitzschalen montiert. „Das hat mich betrübt“, sagt er.

Gegen die Nürnberger siegen die Eisbären im ersten Halbfinalspiel deutlich 5:1. Inzwischen steht es in der Serie 2:2, die Chancen auf den ersten Finaleinzug seit 2013 sind immer noch da, auch wenn es nun spannend wird. Am Freitagabend findet das fünfte Spiel statt (19.30 Uhr, Arena am Ostbahnhof, siehe Kasten oben rechts).

Vor wenigen Wochen ist Welzer zum zweiten Mal Vater geworden, er wollte daher diesmal in den Play-offs eigentlich auf Auswärtsspiele verzichten. Und wenn es jetzt klappt mit dem Finale? „Dann wird zu Hause nachverhandelt.“

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