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Spaniens Aitana Bonmatí (in rot) dürfte auch bei diesem Turnier eine entscheidende Rolle einnehmen.

© IMAGO/NurPhoto

Favoritencheck zur Fußball-EM der Frauen: Spanien kann sich eigentlich nur selbst schlagen

Drei Nationen gehören zum engsten Kreis der Titelfavoriten. Doch bei allen sind die Nebengeräusche etwas laut in diesem Jahr. Bei einem Team ist sogar von Lügen die Rede.

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Zugegeben: Zu den ganz großen Favoriten gehört Deutschland bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft nicht. Die starke EM in England vor drei Jahren stieß einige Entwicklungen an, die spätestens nach der enttäuschenden Weltmeisterschaft 2023 aber deutlich stagnierten. Bundestrainer Christian Wück wird nun mit einem Team in die Schweiz reisen, das in der Offensive mit enorm hoher Qualität überzeugt, aufgrund der zuweilen anfälligen Defensive aber noch zu viele einfache Gegentore kassiert.

Viele Expert:innen trauen Deutschland dennoch den Sieg in Gruppe C zu. Und das spricht nicht gerade für die Stärke Schwedens, auf das die deutschen Fußballerinnen im letzten Gruppenspiel treffen werden. Naturgemäß zählt das schwedische Team mindestens zum erweiterten Kreis der Titelfavoritinnen bei einer Endrunde, eigentlich erreichte der Kader aber bei der WM in Australien und Neuseeland seinen Peak. Der Tenor vor zwei Jahren: Das ist die letzte Chance für die goldene Generation.

Dass beide Nationen bei der EM in der Schweiz eher Außenseiter als Topfavoriten sind, hat auch mit dem Turnierbaum zu tun. Im Viertelfinale warten die beiden besten Mannschaften der Gruppe D, mit hoher Wahrscheinlichkeit also Frankreich und England. Das muss nicht zwangsläufig das Ausscheiden aus dem Turnier bedeuten, doch sowohl Schweden als auch Deutschland bräuchten eine besondere Leistung, um sich dort durchzusetzen.


England ist nicht der Topfavorit auf den Titel

EM-Titelverteidiger und Finalist bei der WM – die jüngsten Erfolge der englischen Nationalmannschaft sprechen für sich. Die Ergebnisse in den vergangenen Wochen und das Verpassen des Final Four der Nations League deuten aber darauf hin, dass aktuell etwas im Argen liegt bei Trainerin Sarina Wiegman und ihrem Team. Es gab Niederlagen gegen Deutschland und Belgien und ein schwaches 1:1 gegen Portugal.

Zu laut scheinen die Nebengeräusche abseits des Platzes. Mary Earps und Fran Kirby traten vor der EM zurück, Letzterer sei kurz vor dem letzten Spiel in der Nations League mitgeteilt worden, dass sie nicht zum finalen Aufgebot in der Schweiz gehört. Trainerin Wiegman nominierte lieber die beiden angeschlagenen Spielerinnen Georgia Stanway und Lauren James, wofür sie teilweise Kritik in England erntete.

Der Kader, der auf vielen Positionen verändert ist im Vergleich zur EM vor drei Jahren, strotzt trotzdem nur so vor Qualität. Da wären Beth Mead und Alessia Russo in der Offensive und junge aufstrebende Talente wie Grace Clinton oder Aggie Beever-Jones. Hannah Hampton ist zudem eine sehr gute Torfrau, die Mary Earps adäquat ersetzen kann.

Das englische Team erscheint aktuell nicht mehr unbezwingbar, ist aber noch immer an guten Tagen in der Lage, jeden Gegner zu schlagen. Viel Zeit bleibt dennoch nicht, um sich zu finden, dazu ist die Gruppe D mit Frankreich und den Niederlanden zu stark besetzt.


Bei Frankreich überzeugen vor allem Spielerinnen von PSG

Für die Französinnen könnte nun endlich die Zeit reif sein für den ersten großen Titel. In den vergangenen Jahren scheiterte man immer wieder in der K.-o.-Phase, mittlerweile ist das Team aber deutlich gereift und aufeinander abgestimmt. Im Aufgebot finden sich Spielerinnen von Olympique Lyon, vor allem aber von Paris Saint-Germain. Mit Marie-Antoinette Katoto, Selma Bacha und Kadidiatou Diani besticht das Team zudem mit enormem Tempo, was oftmals kaum zu verteidigen ist.

Es ist wirklich schwer zu verdauen, weil viele Lügen erzählt wurden, aber ich werde sagen, was ich denke – nach der EM.

Kenza Dali, französische Nationalspielerin

Doch auch beim französischen Team bleiben Kommunikationsprobleme nicht aus. Nachdem Trainer Hervé Renard in Folge des olympischen Turniers zurückgetreten war, übernahm im August 2024 Laurent Bonadei, der den Kader deutlich verjüngen wollte und dieser Ankündigung umgehend nachkam.

Mit Kenza Dali, Wendie Renard und Rekordspielerin Eugénie Le Sommer wurden gleich drei Ikonen des französischen Fußballs aussortiert. „Es ist wirklich schwer zu verdauen, weil viele Lügen erzählt wurden, aber ich werde sagen, was ich denke – nach der EM“, sagte etwa Dali.

Die ehemalige Kapitänin des französischen Nationalteams, Wendie Renard, wird bei dieser EM nicht dabei sein.

© IMAGO/Sports Press Photo

Trotz dieser internen Querelen gehört Frankreich zu den Topanwärterinnen auf den Titel. Was ihnen dabei zugutekommen könnte, ist die öffentliche Wahrnehmung. Zwar wissen alle Gegner um die spielerische Qualität der Französinnen, manche trauen ihnen den Titel aber noch nicht zu.


Spanien wird Probleme aus der Vergangenheit nicht los

Der Druck bei diesem Turnier dürfte nämlich deutlich mehr bei den amtierenden Weltmeisterinnen aus Spanien liegen, die bei der EM 2022 noch im Viertelfinale an England gescheitert waren und bei Olympia überraschend im Halbfinale gegen Brasilien rausflogen. Auch hier gilt: Spanien kann sich eigentlich nur selbst schlagen.

Die Themen neben dem Platz lassen das spanische Team nach wie vor nicht los. Kürzlich wurde der Kuss, den der ehemalige Verbandspräsident Luis Rubiales Spielerin Jennifer Hermoso nach dem WM-Titel aufgezwungen hatte, vom Gericht als sexueller Übergriff bestätigt.

Hermoso wird bei diesem Turnier nicht dabei sein, was für Kritik an Trainerin Montserrat Tomé gesorgt hatte. Die gehörte nämlich bereits zum Trainerteam des im September 2023 entlassenen Jorge Vilda. Dass der spanische Fußballverband sie zur Nachfolgerin ernannte, kam nicht bei allen Spielerinnen gut an. Im Anschluss an die EM in England waren 15 Spielerinnen zeitweise wegen Trainer Vilda zurückgetreten. Innenverteidigerin Mapi León ist noch immer nicht zurückgekehrt.

Das spanische Team wird also wieder nicht mit den allerbesten Spielerinnen antreten, dürfte aber trotzdem den stärksten Kader des Turniers haben. Mit Ausnahmekönnerinnen wie Aitana Bonmatí und Alexia Putellas überzeugt Spanien in Sachen Ballkontrolle, Kreativität und Spielfreude. Vor allem Salma Paralluelo ist mit ihrer hohen Geschwindigkeit eine Waffe auf der Außenbahn, aber auch Cláudia Pina zeigte sich zuletzt sehr torgefährlich.

Die einzige Schwachstelle könnte die Abwehr sein, die sehr hoch steht, manchmal aber anfällig bei Kontern ist. In sechs Spielen in der Nations League kassierte das spanische Team acht Gegentore. Nichtsdestotrotz ist Spanien der absolute Topfavorit auf den Titel.

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