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WM Nebenschauplatz: Johannesburg an der Spree

Für Tagesspiegel-Reporter Lucas Vogelsang liegt Johannesburg in der deutschen Hauptstadt, neben dem Nimmerland der Berliner Nacht.

Johannesburg ist auf Sand gebaut. Die Dächer leuchten gleißend in der Nachmittagssonne, an der Bar kostet das Bier 4 Euro. Johannesburg liegt an der Spree, direkt neben dem Nimmerland der Berliner Nacht, der Bar 25, auf dem ehemaligen Gelände des White Trash Wild West Strandmarkts. Und trägt eine eigene Nummer. 24. Damit die Touristen, die auch während der WM die Stadt fluten wie Heuschrecken mit Kamera-Augen und aufgeklapptem Lonely Planet Berlin die bekanntesten Geheimtipps der Stadt jagen, gleich wissen, dass das zusammen gehört. Dass der bunte Freigeist der Bar 25, ein klingender Rückzugsort vor der tosenden Rush-Hour der Realität, auch über der Johannesburg 24 liegt, in der man sich alle Spiele dieser WM ohne Fanmeilen-Getöse ansehen kann. Obwohl es ein eher ungewöhnlicher Ort ist, um sich ein Fußballspiel anzuschauen. Weil der Fußball sich hier nicht aufdrängt. Fahnenmenschen verlaufen sich nicht hierher. Dafür Stadtbesucher und Szenemenschen mit bunten Sonnenbrillen, die hier die Zeit bis zum nächsten Rave überbrücken. Das Spiel ist so nur Teil einer Gegenwelt, eines Abenteuerspielplatzes für Erwachsene, die keine sein wollen. Mit Skatepark, Pool und Menschenschach. Junge Frauen schlafen unter dichten Birken. Nostalgie-Ferien auf Saltkrokan. Dabei soll das hier ja eigentlich Südafrika symbolisieren. Die zwei Gesichter dieses Landes, zwischen Arm und Reich, zwischen suburbanen Villengegenden und dampfenden Townships. Mit einer dekadenten Kapstadt-Bar und der eigentlichen Johannesburg, die in ihrem Aufbau an ein Township erinnern soll, an kleine Hütten, die an einem Abhang kleben wie Hornissennester aus Wellblech. „Wir wollten das Land in all seinen Facetten zeigen“, sagt Lotta, die sich chamäleonartig in die Umgebung schmiegt. Unter einem Strohhut leuchten ihre Haare in Pippi-Langstrumpf-Orange, dazu trägt sie abgeschnittene Hosenträger und einen kleinen Papageien um den Hals. Die Burgherrin gewährt eine kurze Führung durch ihren windschiefen Palast, der von außen an das Wandelnde Schloss von Hayao Miyazaki erinnert, und die Fußball-Arena umschließt, in der auf einer LCD-Leinwand gleich das Spiel des Nachmittags läuft. Die Johannesburg wurde aus Müll gebaut, wie Lotta erklärt, während sie über steile Stufen auf das Dach klettert. Das Innere ist verschachtelt wie eine Sitzgeisterbahn auf dem Hamburger Dom. Mit Fensterrahmen ohne Scheiben und Treppen, die nirgendwo hinführen. Für prominente Gäste gibt es eine mit rotem Samt ausgeschlagene Königsloge. Entstanden ist dieses begehbare Kunstwerk nach dem freien Prinzip des Cadavre Exquis. Jeder baute einfach für sich, ohne, dass die anderen wussten, was dabei herauskommen sollte. Es wurde ein wirres Suchbild, in dem man Südafrika nicht ohne weiteres findet. An Wäscheleinen, die quer über das Areal gespannt sind, hängen immerhin Adidas-Klamotten in den Farben des Landes. Kurz nach Spielende beginnt das Township-Kunstwerk zu leuchten, es stößt Nebel aus, blinkende Lichter rotieren. Als würde es gleich abheben. Hier an der Spree, könnte Johannesburg auch ein Ufo sein.

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