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Die Niederlage seines Lebens. Gyula Grosics im WM-Finale 1954 beim Treffer von Helmut Rahn zum 3:2-Endstand.

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Ungarns Nationaltorwart von 1954: Gyula Grosics ist tot

Gyula Grosics, der "schwarze Panther" ist tot: Der frühere ungarische Nationaltorwart ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Das WM-Endspiel von Bern 1954 war für ihn mehr als für alle anderen 21 Spieler auf dem Platz das Spiel seines Lebens. Ein Nachruf.

Am Ende des Spiels stürmte Gyula Grosics auf Schiedsrichter William Ling zu und spuckte ihm voller Verachtung vor die Füße. Das Gesicht des Torhüters war gezeichnet von Hass und Verzweiflung, als ahne er schon, dass es mit dem fröhlichen Leben vorbei sein würde.

Es war etwas passiert, das nicht hätte passieren dürfen. Die Goldene Mannschaft aus Ungarn hatte am 4. Juli 1954 gegen die Deutschen im Endspiel von Bern verloren, und der ungarische Torhüter Grosics sah im Moment größter Erregung im Schiedsrichter den Verantwortlichen dafür. Ling hatte das Ausgleichstor von Puskás in letzter Minute wegen Abseits nicht gegeben. Eine Fehlentscheidung.

„Ich hätte nicht gedacht“, sagte Grosics später, „dass ein Tag ein Leben so verändern kann.“ Er wurde eines Besseren belehrt. Das Endspiel von Bern war für Gyula Grosics mehr als für alle anderen 21 Spieler auf dem Platz das Spiel seines Lebens. Und er hatte es verloren.

Den „Schwarzen Panther“ nannten sie Grosics, weil er immer ganz in Schwarz auflief und weil er so geschmeidig in die Ecken glitt. Von seiner Aura hatte er selbst mit seinen fast 90 Jahren nichts eingebüßt; er war ein charismatischer, aber eben auch ein gebrochener Mann. Aus seinen Augen sprach immer etwas Melancholie, wenn er von früher erzählte, und spätestens nach zwei Sätzen war er doch wieder beim WM-Endspiel von 1954 in Bern.

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Wenn man ihn fragte, warum sie damals verloren haben, sagte er, dass der Schiedsrichter natürlich eine Fehlentscheidung getroffen habe, aber dass die Deutschen an diesem Tag einfach besser gewesen seien. Da blieb er fair. Wahrscheinlich weil er am eigenen Leib erfahren hatte, was es heißt, unfair behandelt zu werden. Denn der Torwart wurde zum Sündenbock für die Niederlage. Er hatte bei den Gegentoren keine gute Figur gemacht. Beim 2:2 war er hart von Schäfer angegangen worden und griff neben den hereinfliegenden Ball. Bei Rahns Schuss zum 3:2 konnte er sich strecken, wie er wollte – er erreichte den Ball nicht.

Nach der WM-Niederlage 1954 wurde an Grosics ein Exempel statuiert

Als die Mannschaft nach Ungarn zurückkehrte, wurde sie von den politischen Führern mit den Worten empfangen: „Ihr braucht keine Angst zu haben.“ Doch Grosics wusste, dass es genau das Gegenteil bedeutete. Mit den schönen Privilegien und dem süßen Leben war es für die ganze Mannschaft erst einmal vorbei, aber Grosics traf es härter.

Alte Gegner: Grosics (l.) und Ottmar Walter 2001 in Bern.

© dpa

An ihm wurde ein Exempel statuiert. Man zerrte ihn, der früher schon mal als nicht linientreu aufgefallen war, vor Gericht. Die Anklage: Landesverrat und Spionage. Er soll sich mit ausländischen Agenten getroffen haben. Zwar wurde er freigesprochen, aber nichts war mehr wie früher. Einst spielte er bei Honvéd Budapest, damals einer der besten Mannschaften weltweit. Dann wurde er durch Weisung von oben nach Tatabánya versetzt, mitten in die Provinz. Er ist dort geblieben, bis zu seinem Karriereende 1962.

Während der Wirren des Volksaufstandes 1956 ging er mit anderen Spielern der Goldenen Mannschaft auf Südamerikatour. Im Gegensatz zu Ferenc Puskás, Zoltán Czibor und Sándor Kocsis kam er zurück – trotz eines Angebotes von Flamengo Rio de Janeiro und trotz der Demütigungen zuhause. Er wollte einfach nicht weg aus Ungarn. 1957 kehrte er ins Tor der Nationalmannschaft zurück, für zwei weitere Weltmeisterschaften. Aber das Spiel der Spiele konnte er nie vergessen. „Die Verbitterung“, sagte er, „wird mich bis ins Grab verfolgen.“ Am Freitag ist Gyula Grosics im Alter von 88 Jahren gestorben.

Unser Autor Peter Kasza hat unter anderem ein Buch über das "Wunder von Bern" aus ungarischer Sicht geschrieben sowie für den zur WM 2006 erschienen Sammelband "Der Lieblingsfeind. Deutschland aus der Sicht seiner Fußballrivalen" ein Interview mit Gyula Grosics und einen Essay über "Die Angelegenheit da in Bern" beigesteuert.

Peter Kasza

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