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Sport: Hohe Wellen geschlagen

Der Abbruch des 25-Kilometer-Rennens bei der Schwimm-WM verwirrt alle

Britta Kamrau-Corestein blickte fassungslos zum Boden und schüttelte nur noch den Kopf. Neben ihr wischte sich Angela Maurer eine Träne von der Wange. Sechs Stunden hatten sie auf eine Entscheidung gewartet, jetzt wurde sie verkündet. Und prompt entlud sich bei den beiden Langstreckenschwimmerinnen alles, Frust, Wut, die Ungewissheit durch die Warterei. „Ich fühle mich total veralbert“, stieß Kamrau-Corestein hervor, „so etwas gab es ja noch nie.“ Die Titelverteidigerin Maurer fand „alles total lächerlich“ und verkündete grimmig: „Man sollte boykottieren, dann können sich die Funktionäre die Medaillen selber umhängen.“ Ein paar Meter weiter stand Peter Lurz, der Teammanager der Langstreckenschwimmer, und sagte gar nichts. In der Lobby des Hotels am St. Kilda Beach in Melbourne, wo gerade die deutschen Langstreckenschwimmer logieren, waren sich alle Mitglieder des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) einig: Blödsinn, was da läuft.

Die Funktionäre des Schwimm-Weltverbands Fina hatten gerade beschlossen, dass das 25-Kilometer-Rennen bei der Weltmeisterschaft in Melbourne in zwei Teilen stattfindet. Am Sonntagvormittag Ortszeit wird der zweite Teil gestartet. Der erste endete gestern nach 12,5 Kilometern zwangsweise bei Windstärke zehn. In den meterhohen Wellen drohten Begleitboote zu kentern, Trainer wären fast von den Pontons gespült worden, auf denen sie Flaschen ins Wasser reichten, dazwischen tauchten immer wieder Marathonschwimmerinnen auf, bevor sie wieder in den Wellen verschwanden.

Der Wettkampfleitung war das alles zu gefährlich, Abbruch aus Sicherheitsgründen. Akzeptabel, die Deutschen hatten kein Problem damit. Das eigentliche Problem begann erst nach dem Abbruch. Denn niemand wusste, was nun Sache ist. Hatte Kamrau-Corestein Gold gewonnen? Sie führte schließlich mit rund vier Minuten Vorsprung. Und holte Maurer Bronze? Sie lag nur ein paar Meter hinter der Russin Natalia Pankina. Oder wird das Rennen einfach neu gestartet?

Bei Weltcups geht es von vorne los, wenn noch nicht die Hälfte der Rennstrecke absolviert ist. Sonst zählen die Platzierungen zum Zeitpunkt des Zwangsendes. Allerdings sind Rennabbrüche sehr selten. Das Problem ist nur, dass es ungeschriebene Gesetze sind. Bei einer WM aber wird strikt nach Regeln verfahren. Allerdings stellte sich heraus, dass es im Fina-Reglement keine klaren Regeln gibt zu einem Abbruch. Das war bisher nicht aufgefallen, weil es bei einer WM noch nie einen gegeben hatte. Und so entschlossen sich die Fina-Verantwortlichen „zur dümmsten aller Entscheidungen“, wie Maurer sagte. Sie kreierten einen völlig neuen Wettbewerb: eine Art Verfolgungsrennen im Langstreckenschwimmen. Britta Kamrau-Corestein darf heute genau vier Minuten vor Pankina ins Wasser. Maurer darf zwei Sekunden nach der Russin loslegen.

Aber wer sagt denn, dass Maurer genau zwei Sekunden hinter Pankina lag? Und dass Kamrau-Corestein exakt vier Minuten Vorsprung hatte? In dem Wellenchaos hatten die Schiedsrichter keine Zielmarke, an der sie die Rückstände messen konnten. „Wie wollen die das denn genau ermitteln?“, fragte Kamrau-Corestein. „Außerdem bin ich schon 13,2 Kilometer geschwommen, als abgebrochen wurde. Bei mir war kein offizielles Boot.“

Und wie sollte sich die 25-Jährige aus Rostock jetzt wieder fit machen für die nächste Etappe am folgenden Tag? „Ich habe keine Kohlehydrate mehr. So schnell kann ich gar nicht genügend essen.“ Britta Kamrau-Corestein hat 2006 den Gesamt-Weltcup gewonnen, in Australien sagte sie voller Verachtung: „Ich muss den Fina-Leuten nichts mehr zeigen.“ Vielleicht doch. Nach einer Sekunde fiel ihr ein: „Wenn ich aus dem Wasser komme, könnte ich denen den dicken Finger zeigen.“

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