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Boris Herrmann ist derzeit Dritter beim Vendée Globe.

© Team Malizia

Vendée Globe – das Risiko der letzten Meile: „Ich versuche, ruhig zu bleiben“

Boris Herrmann befindet sich 1800 Meilen vor dem Ziel unter den ersten Drei. Seine Ankunft könnte stürmisch werden - in jeder Hinsicht.

Jeder der bislang acht Gewinner des Vendée Globe hat dem Hochseerennen seinen Stempel aufgedrückt. Da war der elegante Hippie Titouan Lamazou, mit seinen langen Haaren und der asketischen Gestalt eines Indianers, der das Rennen vor dreißig Jahren als erster gewann. Er hatte zu den Schülern Eric Tabarlys gehört, beim Vendée Globe verschob er die Maßstäbe dessen, was ein einzelner Segler an Bord eines seinerzeit riesigen Schiffes alleine bewerkstelligen konnte.

Auf ihn folgte 2000 der "Professor" Michel Desjoyeau, der als einziger zweimal antrat und zweimal gewann. Zu seinen Schützlingen zählten spätere Sieger wie "der schreckliche" Vincent Riou, dessen Boote immer leichter waren als die der Konkurrenz. Oder das Wunderkind Francois Gabart, der erst 28 Jahre alt war, als er 2013 als erster über die Ziellinie fuhr und die Strapazen des Duells mit Armel Le Cleac'h aussehen ließ, als sei es bloß ein Spiel für ihn. Ganz im Gegensatz zu seinem Kontrahenten, der sich zweimal hintereinander knapp geschlagen geben musste und der Sache zu viel Gewicht beimaß. "Der Schakal", wie man ihn nennt, siegte schließlich mit der Unerbittlichkeit eines Profikillers.

All diese Namen haben die Geschichte der Nonstop-Soloregatta um die Welt geprägt, weil das Rennen ihnen jeweils die Zeit gab, sich an der Spitze zu etablieren. Und wer vorne war, der definierte den Stil, mit dem sich der Abstand zu den Verfolgern über viele Wochen immer weiter vergrößerte.

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Diese Zeit hat diesmal niemand. Noch nie war das Rennen zu diesem Zeitpunkt so wenig entschieden wie jetzt. Es gab so viele Führungswechsel, Auf- und Abstiege und Ausfälle von Favoriten, dass der Segelmarathon nicht von einer einzelnen Person geprägt wird, sondern von der Turbulenz des Wettkampfs selbst. Und der nimmt wenige Tage vor der Ankunft der schnellsten Skipper im Ziel noch einmal an Fahrt auf.

An der Spitze haben sich drei Boote etwas vom Hauptfeld abgesetzt. Der führende Charlie Dalin steuert die "Apivia" trotz angeblich lädiertem Backbord-Foil mit unvermindert hohem Speed Richtung Azoren. Westlich von ihm hat Louis Burtons "Bureau Vallée 2" ebenfalls eine gute Ausgangsposition für den Schlusssprint gefunden. Und als dritter im Bunde ist Boris Herrmanns "Seaexplorer - Yacht Club de Monaco" mit von der Partie. Sein Abstand zu Dalin beträgt 64 Meilen, was einer Fahrtzeit von vier Stunden entspricht.

Das Hauptfeld dürfte von einer Kaltfront eingeholt werden

"Ich versuche erstmal, ruhig zu bleiben", sagt er am Freitagmittag über die hohen Erwartungen. Da segelt er noch unter den stabilen Bedingungen eines Hochdruckgebiets, das für konstante 20 Knoten Bootsgeschwindigkeit sorgt. Für ihn komme es jetzt darauf an, dass dieser ideale Wind ihn nicht im Stich lasse. Seine Befürchtung ist, dass die Konkurrenz bei den aufkommenden stürmischen Bedingungen der nächsten Tage wieder so schnell sein könnte, wie sie es im Südmeer gewesen war, als Herrmann das Potenzial seines Racers wegen des unruhigen Seegangs nicht abrufen konnte. Dennoch fühlt er sich als "Jäger", während die Teilnehmer vor ihm und jene, die viel länger als er zu den Spitzenreitern zählten, mehr zu verlieren hätten als er.

Seit Überquerung des Äquators am 16. Januar hatte der Deutsche erst unter den tropischen Gewitterböen des "Pot au noir" gelitten, wie der Kalmengürtel auf Französisch heißt, dann unter den Passatwinden mit ihrer aus Nordost heranrollenden Dünung, die die "Seaexplorer" durchrüttelte und die Nerven ihres Skippers strapazierte. Er habe "die Schnauze voll" gab er zu Protokoll. Dabei lief es mit jeder Meile besser für ihn. Die Nichtfoiler verloren merklich an Boden, derzeit liegen sie an Position fünf, acht und neun. Und auch sonst warf ihn kein technischer Schaden zurück.

"Es ist ja nicht so", sagt er auf die Frage nach seinem Ehrgeiz, "dass wir mit mehr Anstrengung schneller werden." Das Rennen werde in dem Moment gewonnen, da einer aus dem Führungstrio eine günstiges Manöver fahren könne, auf das die anderen noch einige Stunden warten müssten. Der dabei gewonnene Abstand sei dann vermutlich uneinholbar.

Tatsächlich dürfte das aus insgesamt neun Booten bestehende Hauptfeld am Montag von einer Kaltfront eingeholt werden, die das Klassement noch einmal durcheinanderwirbelt mit ihren stürmischen Bedingungen. Ab 25 Knoten Wind werden die Racer der jüngsten Generation jedenfalls nicht mehr schneller, sondern müssen gezügelt werden, um nicht in Stücke zu zerfallen.

Bislang hat Herrmann mit seiner vorsichtigen "deutschen Strategie" immer wieder den nächsten Schritt vorbereitet. Bald könnte es keinen weiteren Schritt mehr geben, weil der Sturm den Mann auf der "Seaexplorer" durch die Biskaya und die offene Haustür von Les Sables d'Olonne direkt in die Annalen dieses Rennens fegt, ohne dass er viel dagegen unternehmen könnte.

Am Ende ist es doch eine Frage des Stils.

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