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Köhler

© dpa

Interview: Schüler fragen, der Bundespräsident antwortet

Horst Köhler war das erste deutsche Staatsoberhaupt, das sowohl die Olympischen als auch die Paralympischen Spiele besucht hat. Menschen mit Behinderung sind dem Bundespräsidenten ein persönliches Anliegen - was er im Interview mit den Schülerredakteuren der Paralympics Zeitung noch einmal unterstreicht.

Durch die Sehbehinderung seiner Tochter Ulrike, die als Teenager aufgrund einer Krankheit erblindete, weiß der deutsche Bundespräsident aus eigener Erfahrung, wie hoch die Leistungen der Athleten und Athletinnen mit Behinderung einzuschätzen sind. Bei den Paralympischen Sommerspielen in Athen und Peking sowie den Winterspielen in Turin war Horst Köhler persönlich vor Ort, das Projekt der Paralympics Zeitung hat er dabei aufmerksam verfolgt. Leider muss der Bundespräsident bei den Paralympischen Winterspielen in Vancouver aus Zeitgründen von zu Hause mit den Athleten fiebern – jedoch nicht minder enthusiastisch, als er das vor Ort in Kanada getan hätte, wie er unserer Schülerredaktion gegenüber bemerkt.

Herr Köhler, Sie haben als erster Bundespräsident Deutschlands nicht nur die Olympischen, sondern auch die Paralympischen Spiele besucht – was hat Sie dazu bewegt?

Ich will helfen, dass den Paralympioniken die öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, die sie verdienen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen selbstverständlich ist. Der Sport hilft sehr, diesem Ziel näher zu kommen. Und daher freue ich mich, dass immer mehr Menschen in aller Welt die Paralympischen Spiele verfolgen und sich von den großartigen Spitzenleistungen der Athletinnen und Athleten begeistern lassen.

Durch die Sehbehinderung Ihrer Tochter Ulrike haben Sie selbst erlebt, welche Schwierigkeiten eine Behinderung für eine Familie bedeutet. Was haben Sie empfunden, als Sie die Entschlossenheit und die Leistungen der paralympischen Athleten beobachten konnten, die sich außergewöhnlichen Herausforderungen stellen mussten?

Ein Unfall oder eine Krankheit können das Leben verändern. Mit einem Mal vor der Erkenntnis zu stehen, dass alles unabänderlich anders wird, das erschüttert. Und eine Behinderung nicht als Einschränkung, sondern als Herausforderung zu empfinden – das ist leichter gesagt als getan. Da ist es gut zu wissen, dass man nicht alleine ist. Es gibt Vorbilder, die zeigen, wie man auch mit einer Behinderung am gesellschaftlichen Leben selbstbestimmt teilhaben kann. Die paralympischen Spitzensportler machen anderen Menschen mit Behinderung Mut, den Weg zum Sport zu finden und ihr Leben aktiv zu gestalten.

Ihre Tochter Ulrike hat ihr Abitur auf der Blindenstudienanstalt Blista in Marburg absolviert. Wäre es nicht sinnvoller heutzutage, im Sinne der Gleichstellung Sehbehinderte oder beziehungsweise auch Körperbehinderte eine Regelschule besuchen zu lassen?

Wir waren froh, dass es die Blista gab. Die Regelschule meiner Tochter war leider auf einen Fall wie ihren überhaupt nicht eingestellt. Und meine Tochter sieht ihren Aufenthalt in der Blista sehr positiv. Dennoch halte ich es für richtig, dass Kinder mit und ohne Behinderung möglichst gemeinsam an einer allgemeinen Schule lernen, als Regel, die natürlich auch Ausnahmen kennen darf. Dazu verpflichtet auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Hier ist ein Umdenken im Gange, das den Forderungen und Wünschen vieler Eltern und Schüler entspricht. Ich denke, wir sind dabei, das Können und Engagement unserer qualifizierten Förderpädagogen künftig deutlich mehr als bisher für den gemeinsamen Unterricht an Regelschulen zu nutzen. Wie das gelingen kann, will ich mir in Kürze bei einem Schulbesuch in Schleswig-Holstein anschauen: Dort ist in den vergangenen Jahren besonders viel dafür getan worden, um mehr gemeinsamen Unterricht zu ermöglichen. Von guten Beispielen zu lernen – darum geht es mir, darum sollte es im Bildungswesen insgesamt gehen.

Gab es bei den vergangenen Paralympischen Spielen in Athen, Turin und Peking, bei denen Sie ja jeweils anwesend waren, ein Ereignis, das Sie besonders beeindruckt hat?

Es gab so viele tolle Wettkämpfe und faszinierende Momente, zum Beispiel beim Sledgehockey oder beim Tischtennis, dass ich kein einzelnes Ereignis herausheben will. Mich haben der Wille und die Lebensfreude der Sportler angefasst. Davon kann man lernen.

Sind Ihnen bei den Paralympics beim Ambiente oder auch im Umgang der Menschen miteinander Unterschiede zu den Olympischen Spielen aufgefallen?

Olympische Spiele und Paralympics bieten beide sportliche Spitzenleistungen. Aber bei den Paralympics geht es immer noch einen Tick fröhlicher, unverbrauchter, ja familiärer zu.

Wie erklären Sie das zu beobachtende Phänomen, dass die Paralympics mit jeder Durchführung einen weiteren Schritt aus dem Schatten der Olympischen Spiele treten?

Die Paralympics sind heute nach den Olympischen Spielen die weltweit größte Sportveranstaltung. Das ist eine großartige Erfolgsgeschichte, die sich herumspricht. Millionen von Menschen in aller Welt erleben die hervorragenden Leistungen der Paralympioniken und fiebern bei ihren spannenden Wettkämpfen mit. Ich freue mich darüber, dass die Berichterstattung von Spitzenereignissen im Behindertensport in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Da hat sich eine Menge getan.

Bei den Paralympischen Winterspielen 2006 in Turin haben Sie betont, dass wir alle – auch die Menschen ohne Behinderung – etwas von den paralympischen Sportlern lernen könnten. Worin sehen Sie die Vorbildfunktion der Sportler konkret?

Es geht um die Bewältigung schwieriger Lebenssituationen. Wie man sich nicht fallen lässt, wie man sich Ziele setzt.

Was macht Deutschland denn, um die körperliche Aktivität von Jugendlichen zu fördern?

Deutschland ist eine Sportnation, das fängt bereits in der Schule an. Und setzt sich in über 90 000 Sportvereinen fort, in denen rund 9,5 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Menschen aktiv sind. Diese Ausgangslage ist nicht schlecht, aber die Konkurrenz durch andere Freizeitbeschäftigungen wie zum Beispiel Computerspiele ist groß. Wenn der Sport auch in Zukunft für Jung wie Alt attraktiv bleiben soll, müssen die Verantwortlichen im wahrsten Sinne des Wortes ständig am Ball bleiben.

Welchen Eindruck haben Sie bislang von den Paralympics in Kanada? Werden Sie noch selbst hinreisen können?

Ich wäre gern in Vancouver dabei gewesen, leider ließ sich das nicht einrichten. Aber natürlich fiebere ich mit unserer Mannschaft mit und drücke unseren Paralympioniken ganz fest die Daumen.

Die Fragen stellten Leonie Arzberger, 19 Jahre, Dom-Gymnasium Freising, Haag an der Amper; Cameron Farnden, 18 Jahre, Kitsilano Secondary School, Vancouver; Tassilo Hummel, 18 Jahre, Gymnasium Neckargemünd, Neckargmünd; Raphael Menke,18 Jahre, Auguste-Viktoria-Gymnasium, Trier; Annemieke Overweg, 18 Jahre, Lessing-Gymnasium, Uelzen; Veronique West, 17 Jahre, Kitsilano Secondary School, Vancouver.

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