zum Hauptinhalt
Augen zu und durch: "Es ist auf jeden Fall was ganz anderes als im zentralen Mittelfeld. Meiner Meinung nach ist es schwerer", sagte Sebastian Rudy zu der ungewohnten Aufgabe als Außenverteidiger.

© dpa

Joachim Löw sucht den neuen Philipp Lahm: Sebastian Rudy: Plötzlich Außenverteidiger

Joachim Löw muss improvisieren, weil gute deutsche Außenverteidiger nach dem Rücktritt von Philipp Lahm rar sind. Erster Versuch: Sebastian Rudy.

Es lässt sich wirklich nicht behaupten, dass die Einsätze als rechter Außenverteidiger Sebastian Rudy unvergessliche Momente in seiner Karriere als Fußballer beschert haben. Die Position ist dem 24-Jährigen nicht gänzlich fremd; er hat sie nicht nur gelegentlich in der Jugend bekleidet, sondern auch schon als Profi in einem Freundschaftsspiel für die TSG Hoffenheim. Gegner, Ergebnis, sonstige Details? Sie waren Rudy entfallen. „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern“, sagte er. Die Verwendung auf ungewohnter Position hatte bei ihm keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Am Sonntagabend in Dortmund dürfte das anders gewesen sein.

Beim 2:1-Sieg gegen Schottland kam Rudy zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz für die deutsche Nationalmannschaft. Das dritte Länderspiel seiner Karriere war also per se ein besonderes für den Hoffenheimer; dass er zudem als rechter Außenverteidiger in der Startelf gestanden hatte, machte es noch ein bisschen besonderer. „Überrascht war ich schon“, sagte Rudy, der im Verein im zentralen Mittelfeld spielt, „aber es hat ganz gut funktioniert.“

Joachim Löw versuchte gar nicht erst, die Versetzung als einen lange gehegten Plan zu verkaufen

Erst nach dem Abschlusstraining hatte er von der ungewöhnlichen Idee des Bundestrainers erfahren. „Er hat mich gefragt, ob ich mir das zutraue“, berichtete Rudy. „Ich hab’ es mir natürlich zugetraut.“ Joachim Löw versuchte hinterher gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, als wäre die Versetzung das Ergebnis eines schon lange gehegten Plans gewesen. Sie entsprang eher einer spontanen Eingebung: „Ich hab ihn mal im Training auf diese Position gestellt und gesehen, dass er in der Spielauslösung nach vorne sehr gut sein kann.“

Dass Löw auf dieser Position improvisieren muss, ist keine neue Erfahrung. Seit Jahren fehlt es dem deutschen Fußball an Außenverteidigern internationaler Klasse; der Rücktritt von Philipp Lahm (siehe: Kommentar zum Rücktritt) hat das Problem noch einmal verschärft. Mit Philipp Lahm besaß der Bundestrainer zumindest einen halben linken und einen halben rechten Außenverteidiger von Weltklasseformat. Diesen Anforderungen wird bisher keiner seiner möglichen Nachfolger gerecht. Auch in Zukunft wird Löw daher zu kreativen Lösungen greifen müssen. „Wir werden auf dieser Position das eine oder andere probieren“, sagte er. „Ich werde in den nächsten Wochen nachschauen, wie diejenigen spielen, die ich im Kopf habe.“

Bei der WM besetzte Joachim Löw die Außenpositionen mit gelernten Innenverteidigern

Schon während der Weltmeisterschaft hat der Bundestrainer den Mangel mit Ideenreichtum gekontert, indem er die Außenpositionen mit gelernten Innenverteidigern besetzt und auf diese Weise das defensive Element gestärkt hatte. Für die anstehende EM-Qualifikation mit Spielen gegen Schottland, Georgien oder Gibraltar hält Löw so viel Vorsicht für übertrieben. Die Gegner sind nicht gerade für ihre offensive Wucht bekannt; sie werden sich gegen den Weltmeister eher in der eigenen Defensive einigeln.

Nicht geändert hat sich hingegen, dass sich Löw auch weiterhin in fremden Ressorts bedienen muss, um die Lücken auf den Außenpositionen zu schließen. Der Stuttgarter Antonio Rüdiger ist vom Bundestrainer zum offiziellen Kandidaten befördert worden; auch er spielt beim VfB normalerweise in der Innenverteidigung. „In der Defensive macht er einen starken Eindruck“, sagte Löw. Weil gegen die Schotten andere Qualitäten gefragt waren, vertraute der Bundestrainer die beiden Planstellen einem zentralen Mittelfeldspieler (Sebastian Rudy) und einem früheren Stürmer (Erik Durm) an.

Sebastian Rudy bereitete das 1:0 vor

Dass beide sich vor allem in der Offensive auszeichneten, war kein Zufall. Die Außenverteidiger waren ausdrücklich angehalten, sich am Angriffsspiel zu beteiligen. Rudy bereitete das 1:0 mit einer zielführenden Flanke auf Thomas Müller vor, Durm gelangen auf der anderen Seite einige dynamische Vorstöße. „Die Außenverteidiger haben es ordentlich gemacht. Ich war sehr zufrieden mit den Ansätzen“, sagte Löw. „Aber beide Spieler sind jung und müssen noch ihre Erfahrungen sammeln.“ Das gilt vor allem für ihr Verhalten in der Defensive.

Schon im Test gegen Argentinien hatte sich gezeigt, dass Erik Durm mit dem Weltklassemann Angel di Maria deutlich überfordert war. Auch am Sonntag unterlief ihm ein Stellungsfehler, der direkt nach der Pause der ersten Chance der Schotten voranging. Auf der anderen Seite ließ sich Sebastian Rudy vor dem Ausgleich zum 1:1 von Ikechi Anya überlaufen, als er sich tief in der gegnerischen Hälfte nur auf den Ball konzentrierte, anstatt seinen Gegenspieler im Blick zu behalten. Wahrscheinlich war es auch diese Erfahrung, die ihn zu einem ersten fundierten Urteil über seine neue Position verleitete: „Es ist auf jeden Fall was ganz anderes als im zentralen Mittelfeld. Meiner Meinung nach ist es schwerer.“

Folgen Sie der Tagesspiegel-Sportredaktion auf Twitter:

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false