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Sport: Können wollen, gewinnen wollen

Jürgen Klinsmanns Philosophie entspricht der des FC Bayern. Trotzdem muss er nun anders arbeiten

Natürlich hat Franz Beckenbauer wieder einmal die richtigen Worte gefunden. Charmant, scheinbar gleichgültig und ohne erkennbare Grammatik sagte der Aufsichtsratschef des FC Bayern München also, dass sein Verein, ja, äh, ja also, eine mutige und kluge Entscheidung getroffen habe, und dass ja der Jürgen schon damals, 2004, ganz plötzlich daherkam, „wie die Phönix aus der Asche“. Ohne dass er es selbst gemerkt hätte, hat Franz Beckenbauer die Situation treffend umschrieben: Jürgen Klinsmann, der Bundestrainer, das war schon völlig unvorstellbar, aber nun – Jürgen Klinsmann, der Bayern-Trainer?

„Ich weiß, worauf ich mich einlasse“, hat Jürgen Klinsmann bei seiner Vorstellung am Freitag in München gesagt. Viel wichtiger aber ist: Wissen auch die Bayern, worauf sie sich einlassen? Ja, sie wissen es. „Jürgen Klinsmann wird mit einem Trainerstab kommen wie schon bei der Nationalmannschaft“, berichtete Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef des Rekordmeisters. Schon als Bundestrainer war Klinsmann keine Einzelperson. Er hat nur im Paket funktioniert – im Paket mit Joachim Löw, seinem fußballtaktischen Superhirn; im Paket mit den amerikanischen Fitnesstrainern, die seine Mannschaft für die Anforderungen des WM-Turniers stählen mussten; im Paket mit Oliver Bierhoff, der Klinsmann von aller organisatorischen Kleinarbeit befreite sollte. Klinsmanns Anteil am Gesamterfolg ist trotzdem nicht zu unterschätzen: Er war es, der mit einer Idee begonnen hat. Er trieb seinen Stab bei deren Verwirklichung zu Höchstleistungen – weil Klinsmann den Drang hat, immer perfekt zu sein.

Heute ist es schon fast vergessen, dass Klinsmanns Wirken als Bundestrainer von der Bundesliga lange Zeit mit großer Skepsis begleitet wurde. Das lag auch daran, dass Klinsmann von missionarischem Eifer beseelt war, dass er nicht nur die Nationalmannschaft reformieren wollte, sondern den deutschen Fußball gleich mit. Die Vereine schalteten auf stur, und wenn ihnen die Argumente ausgingen, entschuldigten sie sich damit, dass ein normaler Bundesligaklub die Bedingungen, die Klinsmann habe, ja gar nicht bezahlen könne. Aber die Bayern sind eben kein normaler Bundesligaklub: Sie können mehr möglich machen als jeder andere Verein. Das wusste Jürgen Klinsmann.

Bei seiner Vorstellung wurde der neue Trainer gefragt, ob der FC Bayern ihn aus der Rente zurückgeholt hätte. Da hat er ein bisschen irritiert geschaut. Rentner? „Ich habe mich weitergebildet“, antwortete er, Spanisch habe er gelernt, außerdem sei er in den Berufsalltag zurückgekehrt, „zu meiner Soccersolutions Consulting Company“. Soccersolutions Consulting Company – solche Ausdrücke mag Klinsmann. Weil der Fußball damit nicht mehr danach klingt, was er früher war, nach Grätschen und Grasfressen, sondern nach den Erfordernissen der modernen Zeit.

Das war schon im Sommer 2004 so, als Klinsmann und Bierhoff gerade ihre Verträge beim Deutschen Fußball-Bund unterschrieben hatten und in der Verbandszentrale der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Sie wirkten wie zwei Investmentbanker, die sich gerade in ein Familienunternehmen eingekauft hatten. Die bisherigen Eigentümer saßen daneben, freuten sich, weil sie noch glaubten, sie würden die Jungen für ihre Sache einspannen können. Ein paar Monate später mussten sie dann feststellen, dass die Neuen in Wirklichkeit den Laden übernehmen wollten.

Die DFB-Funktionäre, die sich lange im Glanz der Nationalmannschaft gesonnt hatten, bekamen die Veränderungen als erstes zu spüren. Mit Theo Zwanziger, dem neuen Präsidenten, führte Klinsmann einen erbitterten Kampf um das richtige Quartier während der WM. Klinsmann gewann – wie fast immer. Die Funktionäre durften fortan auch nicht mehr mit den Nationalspielern im selben Raum essen. Die Mannschaft sollte ganz bei und für sich sein. So schwebt es Klinsmann auch bei den Bayern vor: „Wir werden ein Energiefeld aufbauen, das den Spielern viel Spaß machen wird. Die Spieler werden fühlen, dass alles auf sie abgestimmt sein wird.“

Es ist im Fußball völlig normal, dass ein Vereinstrainer irgendwann einmal eine Nationalmannschaft übernimmt. Dass ein ehemaliger Nationaltrainer aber zu einem Verein wechselt, gilt als großes Wagnis. Es stimmt ja, dass die Arbeit eines Vereinstrainers nicht zu vergleichen ist mit der eines Nationaltrainers. Entscheidend aber ist, dass die Idee, die Jürgen Klinsmann leitet, sich nicht verändert hat: „Im Prinzip ist es das Ziel, jeden Spieler individuell besser zu machen und dadurch letztlich auch die Mannschaft besser zu machen.“ Das wollte er schon als Bundestrainer. Nur der Weg dorthin wird anders sein.

Als Felix Magath 2004 Trainer bei den Bayern wurde, den Medizinball entstaubte und zu seinem wichtigsten Trainingsmittel machte, war unübersehbar, dass der Marktführer in der Trainingswissenschaft noch viel Luft nach oben hat. Klinsmann wird dieses Vakuum nun füllen, mit seinen Ideen und seinen Leuten. Ob aus dem aktuellen Trainerstab der Bayern jemand bei ihm weitermachen darf, wollte er noch nicht sagen. Bei der Nationalmannschaft hat er sich sein Umfeld nach seinen Wünschen zusammengestellt. Den Beckenbauer-Intimus Holger Osieck lehnte er als Kotrainer ab, Bernd Pfaff musste als Teammanager gehen, ebenso Torwarttrainer Sepp Maier.

Wie Klinsmanns Team aussehen wird, darüber wird von nun an heftig diskutiert werden. Die wichtigste Frage ist: Wer wird sein Assistenztrainer, sein neuer Löw? An der Säbener Straße murmelt man den Namen Steffen Freund, es wäre wieder einer aus der 1996er Europameistermannschaft. Freund ist derzeit Assistent bei der U-20-Nationalmannschaft. Als großer Taktiker hat er sich bisher noch nicht hervorgetan.

Wenn Klinsmann am 1. Juli bei den Bayern beginnt, wird Uli Hoeneß noch einmal tief durchatmen. Mit dem Coup ist über seinen Schatten gesprungen. Hoeneß hat der Verpflichtung eines Mannes zugestimmt, der weit mehr sein wird als nur Trainer. Aber das ist wohl Absicht: Klinsmann soll dem Klub einen neuen Schub verschaffen; er soll eine Revolution beginnen, die den Verein auch international wieder konkurrenzfähig macht. Ob Klinsmanns Ideen und Methoden aus seiner Zeit als Bundestrainer auch im Ligaalltag funktionieren, ist dabei nicht vorherzusehen. Aber genau genommen spielt das auch keine Rolle. Die Bayern holen Klinsmann nicht, weil er es kann, sondern weil er will, dass er es kann. Können wollen, gewinnen wollen, das ist die Philosophie des FC Bayern. Es ist die Grundvoraussetzung, um bei diesem Verein arbeiten zu dürfen.

Jürgen Klinsmann weiß das. Vielleicht sogar besser als jeder sonst.

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