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Hat gut lachen: Ante Perisic ist der Star in einer Mannschaft, die sich vom Underdog zum Weltmeisteranwärter mauserte.

© AFP

Kroatien-Star: Ivan Perisic: Von Hertha abgelehnt, von den Kroaten geliebt

Bei Hertha BSC verschmähten sie einst seine Dienste, also musste Ivan Perisic anderswo durchstarten. Nun könnte er seine wechselhafte Karriere bei der WM krönen.

Ivan Perisic spazierte erschöpft durch die Moskauer Nacht. Sein Gesicht leuchtete rot im Licht der Scheinwerfer – könnte an den Anstrengungen der gerade absolvierten Arbeit gelegen haben, oder am Sonnenbrand, kleines Souvenir vom Ausflug nach Sotschi, eine Woche ist das jetzt her. Der Schwarzmeer-Urlauber Perisic ist fotografiert worden bei seiner nicht ganz profigerechten Vorbereitung auf das Viertelfinale gegen Russland und dabei in den kroatischen Zeitungen nicht ganz so gut weggekommen. Alles vergeben und vergessen. Am Mittwoch erhoben sich die Reporter in ihren schachbrettgemusterten Nationaltrikots und applaudierten, sie riefen, nein: kreischten: „Ivan!“ und schwenkten ihre Handykameras. Perisic blinzelte müde zurück. Was war für eine Nacht!

Ivan Perisic hatte vor dem Moskauer Halbfinale gegen England kein besonders gutes Turnier gespielt. „Wie auch Mario Mandzukic“, der andere Held von Moskau, „so ehrlich muss man sein“, sagt Ante Covic. Covic trainiert die U23-Mannschaft von Hertha BSC und ist leidenschaftlicher Kroate, als Fan der Nationalmannschaft, daheim vor dem Fernseher in Berlin. Auch Perisic hat mal für Hertha BSC gespielt. Der Mann, der Kroatien in Moskau ins WM-Finale schoss, mit seinem Ausgleichstor und der Vorlage zum späten Siegtor, er wollte vor neun Jahren unbedingt zu Hertha BSC. Und wurde zurückgewiesen.

Keine Chance bei Hertha

Im Sommer 2009 war Hertha BSC ein seltsamer Verein. Gesegnet mit unerwartetem sportlichen Erfolg, Platz vier in der Bundesliga, nur knapp an der Champions League vorbeigeschrammt. Aber auch zerrüttet von klubinternen Machtspielen, in deren Folge der damals starke Mann Dieter Hoeneß gehen musste und allerlei Unruhe hinterließ. Es drückte die Schuldenlast, kreative Geister wie Andrej Woronin und Marko Pantelic konnten nicht mehr bezahlt werden. Ersatz musste her. Hoeneß‘ Nachfolger Michael Preetz lud zwei Nachwuchsspieler zum Probetraining ein. Den 19-jährigen Andre Ayew aus Ghana und den ein Jahr älteren Ivan Perisic aus Kroatien.

Herthas Trainer Lucien Favre nahm sich viel Zeit für die beiden, er setzte ein Training allein für Ayew und Perisic und ließ die beiden in einem Testspiel gegen den 1. FC Lübars mit blau-weiß gestreiften Leibchen auflaufen, auf dem Sportplatz an der Finsterwalder Straße in Reinickendorf. Perisic bekam das mit der Nummer 19, er schoss zwei Tore, aber für einen Vertrag bei Hertha reichte es nicht. Von Lucien Favre ist bekannt, dass er gern mit jungen Spielern arbeitet, aber mit Ayew und Perisic konnte er nichts anfangen. Das war wohl keine ganz so gute Entscheidung. Ayew, der Sohn des früheren Weltstars Abidi Pelé, stürmt heute in der Premier League für West Ham United. Perisic hat es über Dortmund und Wolfsburg zu Inter Mailand gebracht, auch keine ganz schlechte Adresse. Am Sonntag wird er vielleicht Weltmeister. Und Hertha BSC? Stieg am Ende jener Saison, in der Ivan Perisic vorspielte, in die Zweite Liga ab.

Perisic hat die Zurückweisung in Berlin akzeptiert wie so manchen anderen Rückschlag. Schon mit 17 hatte er sich aus Split Richtung Frankreich aufgemacht, zur Eroberung der Fußballwelt beim FC Sochaux. „Das war eine prägende Zeit“, sagt er heute, „ich bin dort vor allem aus familiären Gründen hingegangen. Ich liebe Frankreich, ich habe die Sprache gelernt und bin sehr glücklich, dass ich am Sonntag im WM-Finale gegen Frankreich spielen darf.“ Aber glücklich ist er dort nicht geworden. Perisic spielte nur in der zweiten Mannschaft und bekam auch dort kaum Einsatzzeiten. Einmal, er hatte wieder mal nur zehn Minuten spielen dürfen, trat er in der Kabine vor Wut die Tür ein. „Inexcusable!“, urteilten die Franzosen – nicht zu entschuldigen!

Perisic wurde nach Belgien zu KSV Roeselare abgeschoben, kam in Berlin nicht an, wanderte weiter zum FC Brügge, schoss dort die meisten Tore der Liga und weckte das Interesse von Borussia Dortmund. Die große Karriere begann. Mit dem BVB wurde er Meister und Pokalsieger, später mit dem VfL Wolfsburg noch einmal Pokalsieger. Perisic hatte grandiose Momente, etwa beim Dortmunder Champions-League-Spiel gegen den FC Arsenal, als er sein erstes Tor schoss, und was für eins. Aber wenn ihm der erste Pass nicht gelang und der erste Torschuss vorbeiging, hatte das oft fatale Folgen für den Rest des Spiels. „Ivan ist ein Kopfspieler“, sagt ein Freund. „Wenn er sich wohlfühlt, vollbringt er große Dinge“, aber das war auch in Dortmund und Wolfsburg nicht so oft der Fall.

Inter Mailand formte den Erfolgsspieler Perisic

Vor drei Jahren kam das Angebot von Inter Mailand, und seitdem erlebt die Welt einen anderen Ivan Perisic. Einen, der an sich glaubt, im San Siro von Mailand wie auch bei den Spielen mit der Nationalmannschaft. Was war das für ein großartiges Tor, mit dem er die Kroaten am Mittwoch im Turnier hielt. Als die Engländer das Halbfinale bei einer 1:0-Führung nach Hause zu schaukeln schienen. Kroatien fiel nichts ein, bis dann eine Flanke in den englischen Strafraum flog. Kyle Walker wollte mit dem Kopf klären, aber von hinten flog Perisic heran, mit gestrecktem Bein verdächtig hoch und nah am Kopf des Engländers. Mit der Sohle kickte Perisic den Ball ins Tor, der Engländer Harry Maguire hob schüchtern die Hand zum Protest und auch den Fuß, um zu demonstrieren, was da gerade vielleicht regelwidrig abgelaufen war, aber das interessierte ansonsten niemanden. „Karate-Kid Perisic“, titelte die kroatische Zeitung „Sata 24“.

Es passte nicht: Lucien Favre wurde mit Perisic nie warm.
Es passte nicht: Lucien Favre wurde mit Perisic nie warm.

© picture alliance / dpa

Der arme Walker, Gegenspieler von Perisic auf dem linken Flügel, hatte auch beste Sicht auf das kroatische Siegtor. Sein Rettungsversuch im Strafraum missriet, Perisic lenkte den Ball mit dem hinteren Teil des Kopfes in den Lauf von Mario Mandzukic und das war es auch schon. Und jetzt? Im Finale gegen Frankreich, das Land, in dem Ivan Perisic als Teenager scheiterte und gegen das doch noch einige Rechnungen offen sein dürften? Persisic sagt, er habe größten Respekt vor Frankreich, „ich liebe dieses Land und seine Sprache“, und selbstverständlich spreche er fließend Französisch.

Als er 2013 im Dienste des VfL Wolfsburg zwei Tore gegen Dortmund schoss, wünschte er sich zur Belohnung zwei Karten für das Champions-League-Finale der Borussia gegen den FC Bayern, und Jürgen Klopp hat sie ihm noch am selben Tag versprochen. Bei Hertha BSC hat Ivan Perisic nie wieder angefragt, aber warum auch? Für einen Tribünenplatz bei der Bundesliga- Relegation gegen Fortuna Düsseldorf? Trainer Lucien Favre wollte Perisic nicht im Team bei Hertha BSC haben.

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