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Obergfoell_Nerius

© dpa

Leichtathletik: Duell mit Speer

Bei ihrer letzten deutschen Meisterschaft besiegt Steffi Nerius ihre Dauerrivalin Christina Obergföll. Hinter diesem Duell verbergen sich zwei Geschichten.

Wahrscheinlich ahnte Christina Obergföll schon bei den ersten Schritten etwas. Sie lief an „wie eine Oma“, wie sie sich hinterher erinnerte, das konnte ja nichts werden. Als sich dann die Spitze ihres Speers irgendwo in der Nähe der 59-Meter-Marke in den Rasen des Ulmer Donaustadions bohrte, war sie endgültig bedient. Eine Stunde später stand Obergföll neben der Tartanbahn, riss theatralisch ihre Arme nach oben, fasste sich mit den Händen an den Kopf und verkündete im badischen Singsang: „Nach dem ersten Versuch wusste ich: Heute wird es eine Katastrophe.“

Eine Katastrophe, na ja. Christina Obergföll von der LG Offenburg schleuderte bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften den Speer nicht weiter als 62,09 Meter. Damit landete sie, die Titelverteidigerin, auf Platz zwei hinter Steffi Nerius, die 62,47 Meter warf. Die 27-jährige Obergföll hatte wieder eines der Duelle mit Nerius verloren. 32:26 steht es jetzt für Nerius.

Seit 2003 heißt die deutsche Speerwurf-Meisterin entweder Nerius oder Obergföll. So gesehen ist nicht viel Aufregendes passiert in Ulm. Und doch verbergen sich hinter diesem Duell zwei Geschichten. Der Kampf der Steffi Nerius, als Respektsperson abzutreten, ist die eine Geschichte. Nerius ist jetzt 37 Jahre alt, sie hat 25 Jahre geworfen, wurde 2004 Olympiazweite, 2006 Europameisterin, ihre Bestweite liegt bei 68,34 Meter, sie ist eine Größe. Und damit sie so auch in Erinnerung bleibt, muss sie gut aufpassen, „dass die anderen nicht sagen: Gott sei Dank ist sie endlich weg“.

2009 ist ihr letztes Jahr, für die WM war sie schon vor Ulm qualifiziert, sie will zum Abschied keine „Mitleidstour“. Also muss sie Leistung bringen. Und Obergföll zu schlagen, die Frau, die mit 68,59 Metern die Jahres-Weltbestenliste anführt, „das ist ja nicht schlecht“. Nerius’ Saisonbestweite steht bei 64,80 Meter. „Ich wollte unbedingt noch mal Deutsche Meisterin werden.“ Auf dem Weg, als Größe abzutreten, ist sie durch den Sieg in Ulm einen guten Schritt vorangekommen.

Abseits der Wettkämpfe stellt sie zurzeit sowieso eine Trainingsbestleistung nach der anderen auf. Bei den Kraftwerten, mit dem Speer: „Zeitweise wundere ich mich schon, was ich aus meinem Körper noch alles herausholen kann.“ Ein paar gute Auftritte vor dem Karriereende, dieser Wunsch treibt sie hauptsächlich an. „Ich habe doch mit meinen 68 Metern schon meine große Weite geworfen, ich habe doch meine Olympiamedaille, ich brauche das doch alles nicht mehr“, sagte sie. Ins Finale der WM muss sie natürlich einziehen, noch besser in den Endkampf der besten acht, das ist klar. Sonst wird das nichts mit dem umfassend respektablen Abschied.

Die andere Geschichte, das ist Kampf der Christina Obergföll gegen immens hohe Erwartungen. Natürlich war „Katastrophe“ auch ein Spruch von ihr; was eben so herausplatzt in der ersten Enttäuschung. Erkennbar erstaunt musste sie dann aber schnell feststellen, dass andere das Wort ziemlich wörtlich nahmen. Ob sie denn jetzt Angst vor der WM habe, wurde sie gefragt, Angst um die Medaille, Angst vor einer Blamage.

Der Gedanke liegt nahe, dass auch vielen Zuschauern in Ulm und am Fernseher solche Gedanken durch den Kopf schossen. Da starrte die Frau, die unter den besten sieben Ergebnissen der aktuellen Jahres-Weltrangliste fünfmal auftaucht, die in diesem Jahr allein viermal über 67 Meter geworfen hat, einen Moment lang fassungslos in die Runde. „Nein, natürlich nicht. Ich stecke doch jetzt den Kopf nicht in den Sand“, entgegnete sie. Und so einen Tag, „an dem man mal kein Bein vor das andere bekommt, obwohl man alles probiert, den gibt es eben mal im Sport“.

Aber auch Jürgen Mallow, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, gab der Niederlage einen Anstrich von Grundsätzlichem. „Auch in Deutschland kann man verlieren. Das hat Christina erlebt“, verkündete er fast staatstragend. Durch das Pathos erhöhte er die Bedeutung der Niederlage. „Ich gehe davon aus, dass Christina diese Erfahrung umsetzt“, sagte er. Es klang so, als hätte Christina Obergföll plötzlich eine neue Wurftechnik ausprobiert und wäre an so einem Fehler gescheitert, nicht an der Tagesform.

Die Betroffene sieht das alles viel pragmatischer. „Im vergangenen Jahr hatte ich Glück“, sagte Christina Obergföll. „Jetzt war eben Steffi dran.“

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