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Feierbiest als Schalentier: Louis van Gaal genießt seinen persönlichen Triumph auf dem Münchner Rathausbalkon.

© dpa

Louis van Gaal: Leiter der Leidenschaft

Louis van Gaal musste bei den Bayern viele Widerstände überwinden – auch deshalb ist der Titel ein persönlicher Triumph für den holländischen Perfektionisten.

Bescheidenheit zählt nicht unbedingt zu den hervorstechendsten Eigenschaften des Aloysius Paulus Maria van Gaal aus Amsterdam. Würde er auch nie von sich behaupten. Der Trainer des FC Bayern München hat in den vergangenen Wochen jede Gelegenheit genutzt, seine Qualitäten und Verdienste ins rechte Licht zu rücken. So ist es auch jetzt wieder. Die Mannschaft der Bayern hat gerade die geschlossene Formation für das offizielle Meisterfoto aufgelöst, da drückt Thomas Müller dem Trainer die Meisterschale in die Hand. Van Gaal packt beherzt zu, lässt den Meisterwimpel fallen und reckt die Schale in die Luft.

Es gibt Trainer, die sich so etwas strikt verbitten und sich bewusst ein wenig abseits gehalten hätten. Erst die Mannschaft, dann ich! Van Gaal aber hat noch nie ein Problem damit gehabt, sich in den Vordergrund zu spielen. Das ist die eine Seite an ihm. Die andere ist: Nachdem er seine Triumphgeste gehabt und genossen hat, reicht er die Schale gleich weiter an den ersten Spieler, der gerade neben ihm steht. Es ist der 17 Jahre alte David Alaba, der mit seinen drei Einsätzen nur einen bescheidenen Beitrag zu diesem Titel geleistet hat. Alaba ziert sich ein bisschen. Aber sein Trainer drängt ihm die Schale geradezu auf, und als der junge Mann sie dann über seinen Kopf hält, bricht van Gaal in sein barockes Lachen aus. Es gefällt ihm eben, wenn seine Befehle befolgt werden.

Ein Prozesstrainer

Dieser Titel, der 22. insgesamt für die Bayern, ist ohne Frage ein persönlicher Triumph für Louis van Gaal, und das nicht nur, weil er der erste Trainer aus Holland ist, der sich jetzt Deutscher Meister nennen darf. Es ist vor allem die Art, mit der die Bayern den Titel geholt haben. „Wir spielen auf einem hohen Niveau“, sagt van Gaal. „Attraktiv, immer angriffsorientiert, immer mit viel Pressing.“ Und es ist wohl kein Zufall, dass dies genau der Fußball ist, den van Gaal sehen will. „Er hat der Mannschaft sein System aufgedrückt“, sagt Mittelfeldspieler Thomas Müller.

Durch den Gewinn des ersten von drei möglichen Titeln darf sich van Gaal jedenfalls in der Einschätzung bestätigt fühlen, die er schon bei seinem Amtsantritt im Sommer geäußert hatte: Dieser Verein und ich, wir passen wunderbar zusammen. Es hat jedoch eine gewisse Zeit gedauert, bis die Liaison ihren vollen Zauber entfaltet hat. Der Anfang verlief nicht ohne Irritationen, was aber nicht nur an van Gaal gelegen hat, sondern auch an überzogenen Erwartungen. Das Fachblatt „Sport-Bild“ fällte schon nach zwei Spieltagen und zwei Unentschieden zum Saisonauftakt ein Urteil über van Gaal und seine Arbeit: „Von seinem Konzeptfußball ist bei Bayern nichts zu sehen.“ Ach! Wie auch? „Ich bin ein Prozesstrainer“, sagt der Holländer. „Es dauert immer ein bisschen bei mir.“

Der Glaube der Spieler

Heute kann man über die vorschnellen Urteile nur lachen. „Louis van Gaal ist nicht nur auf dem Platz super. Er ist auch als Mensch hervorragend“, sagt Mark van Bommel. „Ergebnismäßig sah es nicht gut aus am Anfang. Aber wir sind ruhig geblieben.“ Für die Spieler mag das in der Tat zutreffen; als etwa Philipp Lahm im Herbst via Zeitungsinterview den Verein und dessen Entscheidungen aufs Heftigste kritisierte, verlor er kein böses Wort über den Trainer und seine Arbeit.

Bayerns Entscheidungsträger haben die Ergebniskrise nicht ganz so gelassen gesehen, wie sie das inzwischen glauben machen wollen. Eine „Politik der ruhigen Hand“ habe man damals verfolgt, sagte Präsident Uli Hoeneß am Abend der Meisterfeier. In Wahrheit stand der Holländer am Ende der Hinrunde wohl kurz, sehr kurz, vor der Entlassung. Auch van Gaal blieb das nicht verborgen. „Die Spieler haben mehr an mich geglaubt als der Vorstand“, sagte er nach dem 3:1-Sieg bei Hertha BSC. Im Herbst wurden bewusst brisante Informationen über seinen Führungsstil gestreut, die im Fall des Falles wohl den Schluss hervorrufen sollten: So konnte es nicht weitergehen!

„Er ist nicht zu vergleichen mit irgendjemandem auf der Welt“, sagt Uli Hoeneß heute, was die früheren Irritationen auf freundliche Weise umschreibt. „Er ist ein Unikum.“ Was soll man auch von einem Menschen halten, der sich von den eigenen Töchtern siezen lässt? (Was in Holland übrigens nicht unüblich ist.) Der im Mannschaftshotel eine feste Tischordnung vorgibt und von seinen Spielern verlangt, dass sie beim Essen so lange sitzen bleiben, bis der Letzte fertig ist? Andererseits: Gebietet das nicht die Höflichkeit, der Respekt vor den Kollegen? Torhüter Jörg Butt, mit 35 Jahren der älteste Spieler im Kader der Bayern, findet es jedenfalls „richtig, dass jemand den Weg vorgibt“. Natürlich sei van Gaal stur, er höre sich aber auch die Meinung der Spieler an: „Er ist kein Diktator.“

Van Gaal hat seinen Perfektionismus auf die Mannschaft übertragen

Im Grunde haben die Bayern genau das bekommen, was sie haben wollten – mit allen Nebenwirkungen. Sie haben sich nach einem Trainer gesehnt, der eine klare Idee vom Fußball hat und den Verein mit dieser Idee durchdringt. „Der Trainer hat seinen Perfektionismus auf die Mannschaft übertragen“, sagt Bastian Schweinsteiger. Selbst im letzten Saisonspiel, als es um nichts mehr ging, war das zu sehen. Van Gaal wollte sich nicht mit dem Titel zufrieden geben, er wollte auch, dass seine Mannschaft die beste Abwehr und den besten Sturm der Liga stellte. „Wir haben alle Ziele erreicht“, jubelte der Holländer.

Mit nun 58 Jahren kann van Gaal auf eine bemerkenswerte Titelsammlung verweisen. In drei Ländern hat van Gaal mit vier Vereinen insgesamt sieben Meisterschaften gewonnen. Bei allen Gemeinsamkeiten gab es auch grundlegende Unterschiede. In Amsterdam bei Ajax hat van Gaal erst gegen die Skepsis der Spieler ankämpfen müssen. Ohne den Rückhalt des Vorstands wäre er auf seiner ersten Station als Cheftrainer vielleicht früh gescheitert. Beim FC Barcelona musste er „im ersten Jahr viele Sachen überwinden, um Meister zu werden“, die „eigentlich größte Leistung“ aber sei der Titel mit AZ Alkmaar gewesen, dem Klub aus der Provinz.

Doch auch die erste Meisterschaft mit den Bayern nimmt einen besonderen Rang ein. „Das Kennzeichen dieser Mannschaft waren die Leidenschaft und der große Wille“, sagt van Gaal. Leidenschaft und großer Wille – das gefällt Louis van Gaal. Es sind auch seine Kennzeichen.

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