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Home run. „11th Hour Racing“ gewinnt die 4. Etappe nach Newport, USA, vor heimischer Kulisse.

© Sailing Energy / The Ocean Race

„Malizia“ auf der 4. Etappe knapp geschlagen: Zweikampf über 5000 Meilen

Auf dem Weg von Itajai nach Newport sollte es beim Ocean Race traditionell ruhiger zugehen. Das Gegenteil war der Fall. Vorne lieferten sich zwei Teams ein endloses Duell um jeden Meter, weiter hinten krachte es.

Als die „Malizia“ die vierte Etappe des Ocean Race verliert, beruhigt Boris Herrmann die zahlreichen Unterstützer seines Teams mit der Erklärung: „Wir haben heute Morgen 20 Meilen in bösen Wolken verloren. Die Mannschaft kämpft sich zurück.“

Es ist dennoch die Vorentscheidung bei einem Rennen, das über weite Strecken als Zweikampf ausgefochten wurde – zwischen dem US-Team von „11th Hour“ und den „Malizianern“, wie sich Herrmanns bunte Truppe nennt. Über 5500 Meilen segelten die beiden Imoca-Racer von Brasilien nach Amerika in Sichtweite voneinander, immer wieder mit leichten Vorteilen für das unter deutscher Flagge gestartete Boot von Herrmann, der bei dieser Etappe allerdings aussetzte und die Rolle des Skippers an seinen jungen Kompagnon Will Harris abgetreten hatte.

Der 29-jährige Brite erfüllte seinen Job vorzüglich in dem Duell mit Charlie Enright, dessen amerikanisches Team bislang hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Dass die „Malizia“ sich tatsächlich wieder zurückkämpfte, nutzte am Ende aber nichts. 31 Minuten nach dem Etappensieger traf die „Malizia“-Crew in Newport als Zweitplatzierte ein. Was zeigt, wie wenig bei dieser Leistungsdichte über Sieg oder Niederlage entscheidet. Was kann Harris schon für „böse Wolken“?

Duell unter Wolken. Fast die gesamte Strecke von 5000 Meilen, segelten „Malizia“ (vorne) und „11th Hour“ in Sichtweite voneinander.

© Antoine Auriol / Team Malizia / The Ocean Race

In den Playbooks des Ocean Race spielt die Etappe von Brasilien in die USA traditionell keine wichtige Rolle. Ein Zwischending, eine Pflichtaufgabe, nicht der Abschnitt, der den Triumpf herbeiführt. Das tropische Wetter, stickig, heiß und schwachwindig, wird von den Seglern meist als Erholung empfunden nach der stürmischen Durchquerung des „Großen Südens“, wie die Franzosen die antarktischen Breiten nennen.

Der Trennschleifer war schnell zur Hand

Nach dem Start in Itajai lief es mal wieder perfekt für „Holcim-PRB“, als plötzlich gar nichts mehr lief. Kevin Escoffier und seine Mitsegler lagen in Führung und machten Wende um Wende, um sie zu verteidigen, da brach ein Beschlag und der Mast kippte nach hinten wie ein gefällter Baum, knallte aufs Deck und verwandelte die schöne Ordnung an Bord augenblicklich in totales Chaos. Der Trennschleifer war schnell zur Hand, man schnitt los, was vom Mast nicht mehr zu gebrauchen war. Und dümpelte erst unter Maschine, dann mit Notrigg Richtung Rio, das zum Zeitpunkt des Unglücks 160 Meilen entfernt lag.

So endete die makellose Serie von „Holcim-PRB“, die von den bis dahin zu erwerbenden 20 Punkten immerhin 19 einheimsen konnten. Und es schickte erste Schockwellen quer durch die verbliebene Flotte. Es kann immer etwas brechen und kaputtgehen auf Rennyachten. Doch eben auf älteren eher als auf nagelneuen, wie der Fall von „Guyot“ auf der vorausgegangenen Etappe zeigte. Dass sich eine so elementare Befestigung des Vorstags vom Mast lösen könnte, ohne dass Wind oder Seegang es besonders stark belastet hätten, ließ Raum für schlimmste Befürchtungen. Das Teil ist auf allen Imoca-Racern verbaut.

Der Ausfall des 43-jährigen Dominators Escoffier, der zuletzt nur einmal von Boris Herrmanns „Malizia“ geschlagen wurde, woran ein defekter Autopilot nicht ganz unbeteiligt war, gab seinen Verfolgern die Chance, in Punkten gleichzuziehen. Das spornte beide Teams an. Zuletzt trennten sie wieder nur acht Meilen. „wir wollten sie unbedingt schlagen“, sagt „Malizia“-Seglerin Rosalin Kuiper nach der Ankunft, „aber sie haben uns besiegt und es verdient.“

Nach 17 Tagen am Ziel. Damian Foxall, On-Bord-Reporter Amory Ross, Skipper Charlie Enright, Navigator Simon Fisher und Francesca Clapcish (v. li.) bei der Siegerehrung in der Heimatstadt des Teams und seines Sponsors.

© Sailing Energy / The Ocean Race

Die Erleichterung über den Erfolg war Charlie Enright deutlich anzusehen. Dass er ausgerechnet als Erster in seiner Heimatstadt Newport eintraf, war eine große Genugtuung für den von Rückschlägen und technischen Problemen gebeutelten 41-jährigen Amerikaner, der schon zwei Ocean-Race-Teilnahmen in den Knochen hat. Zumal „11th Hour“ sich nun wieder punktgleich mit „Malizia“ auf den zweiten Rang schiebt, nur einen Punkt hinter „Holcim-PRB“. „Für uns ist das ein Neustart“, sagt Enright mit Blick auf die bevorstehende Transatlantik, die doppelt gewertet wird.

Einen herben Rückschlag musste „Guyot Environnement“ hinnehmen, als in der Nacht zu Dienstag der Mast des europäischen Teams brach. Die Mannschaft um Skipper Benjamin Dutreux und mit dem Deutschen Robert Stanjek an Bord steuerte durch einen starken Sturm, den die beiden führenden Yachten zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich gebracht hatten, als sich die Katastrophe aus noch ungeklärtem Grund ereignete. Stanjek lag in seiner Koje, als er zwei „krasse Stampfer“ registrierte. Dann brach Tumult aus.

Resteverwertung. Sébastièn Simon (li.) und Robert Stanjek arbeiten an einem Notrigg auf „Guyot“, nachdem die Rennyacht im Sturm einen Teil des Mastes verloren hat.

© Gauthier Lebec / GUYOT environnement - Team Europe / The Ocean Race

Dutreux mochte es zunächst nicht glauben. „Oh, nein, nein“, rief er verzweifelt, „nein, bitte nicht.“ Aber es war eine Tatsache, dass der Mast in die aufgewühlte See gestürzt war und möglichst schnell losgeschnitten werden musste.

Zunächst erwog Dutreux noch, wenigstens das Großsegel zu retten, das sie im 3. Reff gesetzt hatten, aber es war vergeblich. Mit dem Mast gingen Großsegel, und zwei Vorsegel verloren, eine Schadenssumme von einer geschätzten halben Million Euro.

Dann habe ich nur vernommen… oh, der Mast!  

Robert Stanjek (42) nach der Havarie

In einer ersten Stellungnahme zeigt sich Stanjek ernüchtert und deprimiert von dem Vorfall. Schon auf der ersten Etappe hatte das Außenseiter-Team nach einem guten Start mit technischen Pannen zu kämpfen, die es weit zurückwarf. Anschließend gingen wichtige Segel kaputt, so dass man nicht mehr konkurrenzfähig war. Die Südmeer-Etappe hatte man aufgeben müssen, weil sich Teile des Rumpfs aufzulösen begannen. Und nun der Mast.

„Ich weiß auch nicht, ob man da immer so von Pech sprechen kann. Es hat sich aber nicht falsch angefühlt, was wir hier gemacht haben“, schreibt Stanjek der „Yacht“. Sie hätten jedenfalls nicht auf die Tube gedrückt bei 40 bis 45 Knoten Wind aus SW, ihre Priorität war, den Sturm heile zu überstehen.

Der Verlust 600 Meilen vor Newport stellt das deutsch-französische Team vor ernste Probleme. Es ist fraglich, ob es das Ocean Race fortsetzen kann. Zwar hält die Imoca-Klasse einen Ersatzmast für solche Fälle vor, aber eben nur einen, und der ist auf dem Weg nach Newport um dort auf das Deck von „Holcim-PRB“ gestellt zu werden. Woher ein zweiter Mast kommen soll, ist unklar.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass „Guyot“ noch eine weite Strecke durch Nordatlantik und Golfstrom zurücklegen muss, um die US-Küste zu erreichen. Unter Motor schafft das Boot lediglich 3-4 Knoten, es dürfte also lange dauern, bis mit der Instandsetzung begonnen werden kann, und so läuft dem unter großen Mühen von dem Berliner Manager Jens Kuphal vorangetriebenen Projekt die Zeit davon.

„Wir segeln das Boot mittlerweile 20 Prozent schneller als es der Theorie nach sein müsste“, sagt „Malizia“-Skipper Harris unterwegs einmal. Eine steile Lernkurve ist eine Perspektive, die ein solches Rennen auch für jene lohnenswert macht, die nicht Erster werden. Ob „Guyot“ das auch von sich sagen kann?

Abgeschlagen sind Stanjek & Co sehr früh gewesen. Doch nun kommt noch das Gefühl hinzu, vom eigenen Boot verlassen zu sein.

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