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Hier fliegt ein Oberbayer. Andreas Wellinger stammt aus Ruhpolding – bisher auch keine Hochburg der Skispringer. Foto: Reuters

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Nachwuchsförderung: Brandenburg auf dem Sprung

Bei den Skispringern stellt sich der deutsche Verband breiter auf – nun gibt es auch Talente aus der Berliner Region.

Vielleicht, vielleicht, ganz vielleicht wird der Sieger der Vierschanzentournee 2022/23 aus Berlin stammen. Oder zumindest aus Brandenburg, denn der Sportliche Leiter der Abteilung Skisprung im Deutschen Skiverband (DSV) neigt dazu, Nachwuchsspringer aus dem 70 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegenen Bad Freienwalde konsequent als „Berliner“ zu bezeichnen. „Neulich haben mich bei Nachwuchsspringen zwei Elfjährige aus Berlin unheimlich beeindruckt“, sagt Horst Hüttel, „die haben in Bad Freienwalde eine unheimlich aktive Zelle.“ Und warum soll nicht aus diesen beiden „Berlinern“ im Skispringen etwas werden? Horst Hüttel sagt: „Katja Seizinger kam ja auch aus dem Ruhrgebiet.“

Die Voraussetzungen im Deutschen Skiverband sind jedenfalls geschaffen, um aus talentierten „Berlinern“ Skispringer der Weltklasse zu formen. Der 17 Jahre alte Andreas Wellinger gilt zurzeit bei der Vierschanzentournee (das Auftaktspringen von Oberstdorf war nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe beendet) als bestes Beispiel dafür, dass die Nachwuchsförderung im Deutschen Skiverband wieder funktioniert. Er stammt aus dem oberbayerischen Ruhpolding, einem Ort der bisher ebenfalls nicht für seine Skispringer bekannt war. Inzwischen darf der Schüler des Skigymnasiums Berchtesgaden bereits am traditionellen Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen (Montag Qualifikation 13.45 Uhr, Dienstag Erster Durchgang 14 Uhr, live in der ARD) teilnehmen.

„Die Beispiele Andreas Wellinger und Karl Geiger zeigen uns, dass man junge Kinder über zehn, zwölf Jahre aufbauen kann, mit unseren Schanzen und unseren Trainerteams, und sie sich dann so entwickeln können, dass sie zur erweiterten Weltspitze gehören“, sagt Horst Hüttel, „das ist für uns konzeptionell wichtig.“ Es zeigt ihm vor allem, dass er und der Bundestrainer Werner Schuster seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2008 konzeptionell einiges richtig gemacht haben.

Vor vier Jahren war es schlecht um den deutschen Skisprung-Nachwuchs bestellt. Die Verantwortlichen hatten in den Jahren des Skisprung-Booms um Sven Hannawald die Nachwuchsarbeit vernachlässigt. Dabei ist es wichtig in einem Land, in dem nur etwa 1000 Menschen skispringen, jedes einzelne Talent umfassend zu betreuen. „Das System war vorher extrem dezentral“, sagt Horst Hüttel, „die Standorte Oberstdorf, Hinterzarten, Oberhof und Klingenthal haben alle nach ihren eigenen Philosophien gearbeitet.“ Inzwischen steuern Horst Hüttel und Werner Schuster die Arbeit in den vier deutschen Skisprung-Standorten zentral.

Die Arbeit des Deutschen Hockey-Bundes diente als Vorbild

Als Vorbild diente ihnen unter anderem die Arbeit des Deutschen Hockey-Bundes. „Bernhard Peters war bei einem Trainersymposium dabei“, berichtet der Skisprung-Sportchef des DSV, „dort wird auch Wissen gebündelt und dann in die Landesverbände und Altersetappen gestreut.“ Wichtig sei auch gewesen, dass das aktuelle System konsequent aufgebaut worden ist. „Wir haben nicht Konzepte begonnen, die wir zwei Jahre später über Bord geworfen haben“, sagt Hüttel.

Und sie haben Experten wie den Tiroler Trainingswissenschaftler Harald Pernitsch hinzugezogen. Dieser steuert nun zentral und individuell das Athletiktraining aller deutschen Kaderathleten in den vier Stützpunkten. „Bis 2014 versuchen wir, das noch längerfristig zu gestalten“, sagt Horst Hüttel. Auch der Psychologe Oskar Handow soll in Zukunft vermehrt hinzugezogen werden. Und Junioren-Trainer Bernhard Metzler hat gezeigt, dass sich unter ihm Athleten entwickeln können, die wie Karl Geiger und Andreas Wellinger direkt den Sprung aus dem C- in den A-Kader schaffen können. „Bernhard Metzler ist ein ganz wichtiger Mann für uns“, sagt Horst Hüttel.

Dass dieser wie Weltcupteamtrainer Stefan Horngacher aus Österreich stammt, ist für Bundestrainer Werner Schuster, ebenfalls Österreicher, nicht ungewöhnlich. „Das System, aus dem die besten Springer rauskommen, wird von den anderen Nationen genau durchleuchtet“, sagt Werner Schuster, „im Fußball gibt es auch viele holländische Trainer, weil man weiß, dass Ajax Amsterdam eine gute Nachwuchsarbeit macht.“

Noch immer gibt es Probleme bei der Infrastruktur

Horst Hüttel und Werner Schuster sehen sich noch längst nicht am Ende ihrer konzeptionellen Arbeit. „Das große Manko des deutschen Skisprungs ist nach wie vor die Infrastruktur“, sagt Horst Hüttel, „wir haben zu wenig gute Nachwuchsschanzen mit Aufstiegshilfen.“ Er will in den nächsten drei Jahren insgesamt 15 Schanzen mit Liftanlagen für jeweils rund 40 000 Euro ausstatten, um das Training für den Nachwuchs effektiver zu gestalten. Damit dürften auch die Chancen der beiden elfjährigen „Berliner“ auf eine erfolgreiche Karriere im Skispringen noch besser stehen.

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