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© Citypress

Hertha im Trainingslager: Nur keinen Druck machen

"Wichtig ist allein, wo Hertha in drei Wochen steht", sagt der neue Trainer Lucien Favre: Im Trainingslager hütet sich der Verein noch vor Optimismus für die kommende Saison.

Tor für die Stegersbach Tigers! Dem Treffer folgt Krach, schepperndes Trommeln und Gegröle. Der Tonbrei, der auf dem Fußballplatz der kleinen Gemeinde im Burgenland ankommt, ist kein akustisches Vergnügen. Lucien Favre aber lässt sich nicht davon irritieren, dass gleich hinter dem Fußballstadion an diesem Wochenende die österreichische Staatsmeisterschaft im Inlinehockey stattfindet. Konzentriert schreitet der neue Trainer von Hertha BSC seine Schritte zählend den Rasen ab, und setzt dann, so wirkt es, zentimetergenau Plastikhütchen auf das Spielfeld. Dann zitiert der schlanke Coach mit dem schmucken Hertha-Käppi seine Spieler zur taktischen Übung vom Neben- auf den Hauptplatz, einen „Goalie“ brauche er auch, ruft Favre.

Natürlich spielt das Wort „Goalie“ im Wortschatz deutscher Fußball-Bundesligaspieler eine untergeordnete Rolle. Arne Friedrich bestätigt das. Des Trainers Schweizer Fußballdeutsch sei „manchmal schon zum Schmunzeln“, sagt Herthas Mannschaftskapitän. Sonst aber sei die Sprache des neuen Trainers und seines Assistenten Harald Gämperle klar zu verstehen. „Die Mannschaft nimmt die beiden an“, sagt Friedrich. Das lässt sich bei den ausgedehnten Einheiten im Trainingslager erkennen, offensichtlich kämpfen viele Spieler engagiert um ihre Rollen. Ganz unanstrengend sei das nicht, sagt Pal Dardai, der bei Hertha in nun zehn Dienstjahren seinen siebten Trainer erlebt. „So hart haben wir sonst nur bei Jürgen Röber trainiert“, sagt Dardai.

Es ist augenscheinlich, dass der Trainer bei seinen Übungseinheiten besonders viel Wert auf die Dynamik legt. „Es ist im Fußball wie im Leben, du brauchst Schnelligkeit“, sagt Favre. „Wenn du nicht schnell genug bist, bekommst du ein Problem.“ Er habe in den ersten Tagen in Stegersbach auch schon „sehr interessante Beobachtungen“ gemacht. Für Einzelkritik allerdings ist der Schweizer nicht zu haben. „Die Spieler wollen, das sieht man. Insgesamt bin ich zufrieden“ – mit den Spielern, die bei Hertha BSC zufrieden sein wollen. Kevin-Prince Boateng gehört ja nicht mehr dazu, sein Abschied in die Premier League zu Tottenham Hotspur steht bevor. Boateng sagte gestern: „Ich gehe davon aus, dass das bald über die Bühne geht.“ Kapitän Friedrich sieht den Abschied Boatengs übrigens „sehr positiv“, wie er sagt. „Für über sieben Millionen Euro sollte man einen Spieler ziehen lassen. Obwohl mich die Höhe des Angebots schon überrascht hat.“ Boateng habe schließlich erst 43 Bundesligaspiele gemacht, außerdem sei er ja eher verletzungsanfällig, sagt Friedrich.

Hertha kann das Geld sicher gebrauchen, weil sich der momentane Kader noch verbessern lässt. Bislang jedenfalls ist es zu früh für überbordenden Optimismus, was die in drei Wochen mit dem Pokalspiel in Unterhaching beginnende Saison betrifft. Zumal die drei Brasilianer Mineiro, Gilberto (beide bei der Copa America im Einsatz) und Lucio in Stegersbach nicht dabei sind. Neuverpflichtung Lucio wird erst am Montag nach Berlin kommen. Wichtig ist allein, wo Hertha in drei Wochen steht, sagt Friedrich: „Vom physischen Bereich müssen wir dann ganz oben sein. Damit können wir vielleicht kleine Unterschiede wettmachen.“ Unterschiede? Zuversicht hört sich anders an. Nein, sagt Friedrich: „Wir müssen uns ja nicht mit Bayern München messen.“ Außerdem müsse das Team aus der vergangenen Saison die Lehre ziehen, dass zu viel Optimismus nicht immer gut tun muss. Nach einer erfolgreichen Hinrunde fühlte sich Hertha da schon als Spitzenmannschaft, was dann in der durchwachsenen Rückrunde nicht bestätigt wurde. Es sei „zu früh, Saisonziele auszuloben“, sagt Friedrich. „Und dann ist der Kader ja noch nicht komplett.“

Der Schweizer Trainer des Jahres muss in Berlin nicht Meister werden wie zuletzt beim FC Zürich. Außerdem kann der akribische Favre mit Druck umgehen, sagt er. Von seinen Spielern verlange er das aber auch. Am Sonnabend sollte das Testspiel in Stegersbach gegen den kroatischen Erstligisten HNK Rijeka (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch im Gange) bei Temperaturen über 30 Grad zur schweißtreibenden Angelegenheit für die Spieler werden. „Bisher habe ich meine Mannschaft noch nicht unter Druck gesehen“, sagt der Trainer. Es sei interessant zu sehen, wie sie im ersten ernstzunehmenden Testspiel reagieren würde.

Wie seine Spieler im Training reagieren, das hat Favre schon mal „positiv überrascht“, sagt er, als er sie nach dem Training in die Kabine schickt. Der Applaus, der auf den Fußballplatz dringt, gilt allerdings nicht den Hertha-Profis: Im Inline-Hockeystadion haben die Stegersbach Tigers gerade die Mad Dogs Wiener Neustadt bezwungen.

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