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In welche Richtung bewegt sich der Fußball. Oliver Bierhoff (r.), Manager der Nationalmannschaft, bemängelte am Montag die schlechte Stimmung rund um das Team.

© imago images/Jan Huebner

Oliver Bierhoff über die Nationalmannschaft: „Wir sind nicht mehr Deutschlands liebstes Kind“

Oliver Bierhoff beklagt die schlechte Stimmung rund um die Nationalmannschaft und erhofft sich mehr Sympathie für das verjüngte Team und den Erneuerungsprozess.

Oliver Bierhoff kämpfte um die Kontrolle, und es war ein schwieriger Kampf. Seine rechte Hand spielte mit der Wasserflasche, die vor ihm auf dem Tisch stand. Bierhoff schob sie ein Stück nach rechts, weg von den anderen Flaschen. Er drehte sie um ihre Achse und schob sie noch ein Stück nach rechts. Kippte sie zur Seite und schob sie noch ein Stück nach rechts.

Solche Anzeichen von Nervosität kennt man eigentlich gar nicht von Oliver Bierhoff, der nach all den Jahren in der Öffentlichkeit, ein echter Medienprofi ist. Und der natürlich auch weiß, wie man solche Bilder ganz einfach verhindert. Nach ein paar Minuten verbarg der Manager der Fußball-Nationalmannschaft seine Hände einfach unter dem Tisch.

Klar und unverstellt sollte seine Botschaft rüberkommen.

Wenn Bierhoff vor Länderspielen zur Pressekonferenz der Nationalmannschaft gebeten wird, geht es oft um alltägliche Kleinigkeiten, um den Gesundheitszustand von Spieler X oder die Frage, ob denn Torhüter Y diesmal wohl spielen darf. In unregelmäßigen Abständen nutzt Bierhoff seine Auftritte vor der Presse aber auch dazu, von sich aus ein paar Botschaften zu platzieren. Proaktiv heißt das im immer etwas manierierten Marketingjargon.

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Am Montag, zwei Tage vor dem Freundschaftsländerspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Tschechien in Leipzig, war es wieder einmal so weit: Bierhoff fühlte sich durch die allgemeinen Umstände offenbar genötigt, ein paar grundsätzliche Dinge jenseits profaner Aufstellungsfragen anzusprechen. Eine gute Viertelstunde dauerte seine Regierungserklärung ans deutsche Fußballvolk.

Bierhoff warb in seiner Rede für die jungen deutsche Nationalmannschaft, der es gerade schwer fällt, das Land für sich zu begeistern. Obwohl sie Herz und Leidenschaft zeige. Er redete gegen die allgemein schlechte Stimmung an, die sich wie „eine dunkle Wolke“ über der Nationalmannschaft geschoben habe – und die seiner Meinung nach die Falschen in den Schatten stellt. „Mir tut’s immer sehr weh, wie mit den jungen Spielern umgegangen wird“, sagte er. „Die jungen Spieler haben echt unser Vertrauen verdient.“

Die Nationalelf verliert ihre gesellschaftliche Bedeutung

Seit 2004 ist Bierhoff in leitender Funktion für den Deutschen Fußball-Bund tätig. Er hat in dieser Zeit miterlebt, wie die Nationalmannschaft, zunächst befeuert durch die WM im eigenen Land und später durch die sportlichen Erfolge, zu einem ernstzunehmenden gesellschaftlichen Player geworden ist. Genauso aber registriert er gerade einen Bedeutungsverlust, der ihn offenkundig schmerzt. „Es ist einfach so, dass wir mit der Nationalmannschaft Sympathien verspielt haben“, sagte Bierhoff. „Wir sind nicht mehr Deutschlands liebstes Kind.“

Die Stimmung hat sich gedreht. Gegen den Fußball im Allgemeinen, aber auch gegen die prominenteste Mannschaft des Landes im Besonderen. „Die Freude am Fußball, die spürt man gerade nicht“, sagte Bierhoff. Dieses Thema treibt ihn um. Schon vor einem Monat hat er sich dem „Spiegel“ zum Interview gestellt, in dem er sich als einer der führenden Vertreter des Profifußballs in Deutschland durchaus selbstkritisch gab. „Wir müssen aufpassen, dass wir das Rad nicht weiter überdrehen“, sagte er.

Allerdings gilt gerade Bierhoff seinen zahlreichen Kritikern als jemand, der immer besonders kräftig mitgedreht hat; der aus der Nationalmannschaft „die Mannschaft“ gemacht hat, weil sich das mutmaßlich besser vermarkten lässt, und der Begriffe wie „Stakeholder“ in den Fußballdiskurs eingebracht hat. Deshalb werden ihm viele seine Zerknirschung wohl auch nicht abnehmen, selbst wenn Bierhoff sagte: „Das lag mir irgendwie mal so am Herzen.“

Die Pandemie hat die Entwicklung zusätzlich verschärft

Entscheidend wird sein, welche Schlüsse er aus der durchaus zutreffenden Analyse ziehen wird. Dass die Stimmung nicht gut ist und die Nationalmannschaft seit 2018 quasi das WM-Vorrundenaus in einer emotionalen Dauerschleife erlebt, ist keine neue Erkenntnis.

Genauso wenig ist es fair, dass die neue Generation der Nationalspieler mit Leuten wie Serge Gnabry, Leroy Sané oder Kai Havertz weiterhin für die Minderleistung ihrer Vorgänger in Haftung genommen wird. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Unmut sich weniger gegen die jungen Spieler richtet als gegen den alten Bundestrainer Joachim Löw, der trotz Russland 2018 eben weiterhin im Amt ist. Das macht es nicht gerade einfacher, den Neuanfang glaubwürdig als solchen zu verkaufen.

„Wir wollen nicht, dass die Menschen sich vom Fußball verabschieden“, sagte Bierhoff. Eine entsprechende Tendenz war schon vor Corona zu beobachten. Die Pandemie aber scheint diese Entwicklung noch einmal verschärft und beschleunigt zu haben. So wie es in den Jahren 2006 ff. als schick galt, sich als Fan des Fußballs und seiner gesellschaftlichen Kraft zu erkennen zu geben, so scheint es jetzt zum guten Ton zu gehören, sich von diesem durch und durch verdorbenen Business abzuwenden.

Bierhoff empfindet die ganze Stimmung rund um den Fußall als „ein bisschen nebulös“. Es wird vieles zusammengerührt: die Maßlosigkeit des Geschäfts, absurde Gehälter, abstruse Ablösesummen, das Gebaren der internationalen Verbände, die Skandale im und um den DFB. „Der Verband hat in vielen Bereichen unglaublich tolle Arbeit geleistet“, sagte Bierhoff über seinen Arbeitgeber. „Aber wir müssen auch realistisch sein. Der DFB hat nicht dazu beigetragen, dass das Bild besser wird.“

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