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Müllschlucker. In den Gewässern von Rio liegt so viel Unrat, dass die Wettkämpfe zur Lotterie werden.

© dpa/Lacerda

Olympia 2016 in Rio: Wassersport: Hindernisrennen im Unrat

Segler und Kanuten beklagen vor den Spielen die schlechten Bedingungen in Rios Wassersportrevieren.

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Erik Heil und Thomas Plößel sind so etwas wie Experten im Müllsammeln vor Rio. Insgesamt etwa 90 Tage haben die Berliner Segler vor den Spielen im Revier trainiert, das Plößel das schwierigste der Welt nennt. Mit der Zeit haben sie nicht nur ein Auge für die speziellen Wind- und Stromkanten der Guanabara-Bucht entwickelt, sondern auch für die vielen Dinge, die ihnen sonst so auf See begegnen.

Nach ihren ersten Testfahrten im 49er-Boot berichteten sie aufgeregt von toten Kühen, Unrat und Fäkalien im Wasser. Ende 2015 zog sich der Steuermann Heil während einer Testregatta in Rio Entzündungen an den Beinen und der Hüfte zu. In der Berliner Charité stellte man fest, dass er sich einen multiresistenten Keim eingefangen hatte. Danach appellierte er an die Verantwortlichen in Rio, für saubereres Wasser zu sorgen. Inzwischen sieht der 26-Jährige die Sache fatalistisch: „Das Wasser ist nicht viel besser geworden. Wir haben uns damit arrangiert.“ Auch sein Partner Plößel ist inzwischen abgehärtet genug, um in Rio auf Medaillenjagd zu gehen. „Am Anfang ist man geschockt, aber es ist Gewöhnungssache“, sagt er.

Wie so vieles in Rio, wo eine ganze Reihe olympischer Einrichtungen erst auf den letzten Drücker fertig geworden sind. Was man auch in der Marina von Gloria merkt, dem Jachthafen an der Bucht, aus dem die Segler starten werden. Wenige Tage vor Beginn der Spiele stehen dort große Kräne, heben eine Tribüne aus dem Wasser. Sie war von hohen Wellen hineingerissen worden, vergangene Woche hatte es in Rio gestürmt.

Die Winde, sie werden überhaupt entscheidend dafür sein, welche Wasserbedingungen die Segler vorfinden. Sollte es vor den Wettbewerben stürmisch sein, dann dürfte erfahrungsgemäß viel Müll in der Bucht treiben, den das Meer aus seinen Tiefen nach oben befördert. Das Wetter in Rio, es ist im Winter unberechenbar. Es kann ruhig und sonnig sein, bei 30 Grad und herrlichem Licht. Oder aber kalt, windig, nass und trüb. Dann fallen die Temperaturen auch mal auf 18 Grad.

Besonders die Wassersportler sind herausgefordert

Insbesondere für die Wassersportler ist das natürlich eine Herausforderung. Auch die Ruderer und Kanuten, die in der Lagune Rodrigo de Freitas an den Start gehen, haben mit besonderen Bedingungen zu kämpfen. Zwar ist die Wasserqualität besser als im offenen Meer und Tests des Kanuweltverbands vor einem Jahr zeigten immerhin keine Schwermetalle oder sonstige giftigen Stoffe im Brackwasser. Auch den beißenden Geruch aus verrottendem Abfall und Exkrementen, der je nach Winden aus der Bucht aufsteigt, gibt es in der Lagune nicht. „Wir haben dort schon mehr Sauberkeit als die Segler“, sagt Bundestrainer Rainer Kießler. „Aber wir haben unseren Sportler empfohlen, sich nach jedem Lauf die Hände zu waschen, zu duschen und die Hände zu desinfizieren. Vor allem, wenn es regnet. Dann läuft das Abwasser aus der Umgebung in die Bucht.“

Dennoch schimpft der Kanurecke Kießler über die Lagune zwischen Ipanema und Copacabana: „Das sind die schlechtesten Bedingungen, die ich je bei Olympia erlebt habe.“ Sein Athlet Max Hoff spricht von einem „Lotteriespiel“. Kießler: „Es ist blöd, wenn du vier Jahre dafür trainierst, eine Lotterie zu spielen.“

Probleme verursachte bei den Testwettkämpfen im September 2015 vor allem die geringe Wassertiefe auf manchen Bahnen. Teilweise wurden 2,15 Meter unterschritten. Kießler: „Das ist nicht fair, je flacher das Wasser, desto größer der Widerstand fürs Boot.“

Sie haben die Hoffnung aufgegeben, dass sich etwas verbessert

Dazu kommt „ekliges Gras überall“, wie Kießler sagt. „Wer eine solche Schlingpflanze am Paddel oder am Steuer erwischt, ist zum Verlieren verurteilt. Da bleibt man praktisch stehen.“ Der Trainer hofft, dass die Ruderer, die vor den Kanuten auf die Lagune müssen, „uns das vorher saubermähen“. Tatsächlich hat es in Rio wenige Tage vor den Spielen Baggerarbeiten in der Lagune gegeben. Die Wettkampfbahnen wurden auf die vorgeschriebene Tiefe von vier Metern gebracht. Die Sportler hoffen, dass damit auch die Pflanzen verschwinden.

Die Hoffnung auf eine Verbesserung ihn ihrem Revier haben die Segler aufgegeben. Die Maßnahmen der Organisatoren, etwa die Barrieren an den Zuflüssen und die Müllsammelschiffe, haben nur mäßigen Erfolg gezeigt. Die Bucht, die drittgrößte der Welt, ist einfach schon zu lange als Müllhalde und Toilette missbraucht worden. Und wenn es heftig regnet, wird neuer Abfall hinein gespült, der in Rio häufig achtlos weggeschmissen wird. Das Regenproblem hat die Bucht mit der Lagune gemein. „Es ist auf jeden Fall wieder schlimmer geworden“, sagt Anika Lorenz. „Im Mai ging es noch, aber bei unseren letzten Trainingsfahrten schwamm jede Menge Gerümpel im Wasser.“

Der Müll als eine Art Sonderdisziplin

Lorenz bildet mit Victoria Jurczok das Berliner Team im 49erFX. Auch die beiden kennen das Revier in Rio eigentlich schon, doch die Bucht hält auch für Geübte immer wieder Überraschungen bereit. Bei einer ihrer letzten Testfahrten, „da schwamm irgendein Körper im Wasser“, sagt Lorenz. „Wir haben lieber unseren Trainer vorgeschickt, um nachzusehen. Es war ein toter Hund.“

Solche Erlebnisse haben Erik und Thomas Plößel schon zuhauf gemacht. Um sich selbst vor weiteren Infektionen zu schützen, tauschen die beiden deutschen Medaillenanwärter nun ihre Neoprenanzüge häufiger aus und desinfizieren sich bei jeder Gelegenheit. Ansonsten nehmen sie den umhertreibenden Müll inzwischen als eine Art Sonderdisziplin wahr. Durch ihre Erfahrung mit der Bucht hoffen sie, sich als Müllexperten eine Art Heimvorteil erarbeitet zu haben. „Ich stelle mir einfach vor, das ist der Tegeler See“, sagt Plößel. Die beiden glauben sogar zu wissen, unter welchen Bedingungen sich in welchen Bereichen der Bucht besonders viel Abfall ansammelt. „Man muss eben ein paar Sachen berücksichtigen“, sagt Heil. „Wie gehst du damit um, wenn mal eine Plastiktüte am Schwert oder Ruder ist? Da brauchst du eine Strategie, um das zu lösen.“

Manche Hindernisse sieht man in den Wellen gar nicht

Um das Hindernisrennen vor Rio besser bewältigen zu können, haben die deutschen Segler ihre Rennboote ein wenig umgebaut, sozusagen zu Geländevehikeln. Das betrifft vor allem das Schwert, das den Rumpf unter Wasser stabilisiert. „Normalerweise sitzt das Schwert richtig eng und hat kaum Spiel“, sagt Plößel. „Da musst du dich hinknien und mit voller Wucht und dem ganzen Körper ziehen, damit du es nach oben bekommst.“ Doch im olympischen Segelrevier erweist sich das Schwert oft genug als Bremsklotz, wenn sich dort Plastiktüten und anderer Unrat verfangen. „Man merkt das sofort, das Boot wird abrupt langsamer", sagt Anika Lorenz. „Wir haben das Schwert jetzt besonders locker leichtgängig gemacht, damit man es auch mit einer Hand bedienen kann. Wenn wieder irgendwas festhängt, springt einer zum Schwert und zieht es kurz hoch.“

Diese Strategie hilft aber nicht bei allen Hindernissen. Bei den letzten Testfahrten knallten jede Menge Äste und sogar ganze Baumstämme gegen die Boote. „Die sieht man unter den Wellen manchmal gar nicht“, sagt Lorenz. „Die haben uns richtig unser Boot zerschrammt.“ Sie lächelt und schiebt dann nach: „Glücklicherweise haben wir ein Ersatzboot dabei.“

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