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Schülerreporterin Anastasija machte den Sotschi-Stadttest.

© Thilo Rückeis

Paralympics Tagebuch: Folge 6: Der Sotschi Stadttest

Die Folge von heute dreht sich nicht um Sport an sich. Ich hatte die Gelegenheit mit Sergej Grinj zu sprechen, einem sehbehinderten Aktivisten aus Sotschi. Mit ihm machten ich, meine Kollegin Christina und Fotograf Thilo den Sotschi-Stadttest. Doch ist es für die Nachwuchsjournalisten der „Paralympics Zeitung“ wichtig, ob Sotschi für Menschen mit den Behinderung zugänglich ist oder nicht?

Noch während wir zum Treffen fuhren, waren wir sicher, dass der Artikel eher traurig, als lebensfroh werden würde. Sergej wohnt am Stadtrand, wo es keine Rampen und keine Bodenleitsysteme gibt. Wir sahen nur den schmutzigen Weg, der schon ein bisschen kaputt war, zerbrochene Treppen und Pfützen überall. Sergej wartete schon auf uns.

„Jeder sucht sich eine Wohnung, die zu ihm passt. Diese hier passt zu mir, das Gebiet scheint mir gut. Und den Weg kenne ich schon, deswegen brauche keine spezielle Zeichen oder Hilfe“, sagt Sergej.

Unser Test fängt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln an. Sergej hat ein Gerät, das ihm laut die Nummern der vorbeifahrenden Busse nennt. Als wir einsteigen und einige ältere Damen, die schon im Bus sitzen, verstehen, dass Sergej blind ist, bieten sie ihm ihren Platz an. Aber er lehnt ab. „Auch wenn ich eine Behinderung habe, bin ich immer noch ein Mann“.

In der Mitte der Stadt erklärt uns Sergej: „Früher gab es nur Signalampeln. E war nicht immer sehr angenehm für uns Blinde. Heute sagen die Ampeln die Straßen, die man überqueren will, auch an. Außerdem stehen Mülltonnen jetzt nicht mehr am Wegesrand, sondern dahinter, denn Blinde brauchen die Bordsteinkante, um sich zu orientieren“. 

Im Sozialamt, wo wir am Anfang hingehen, bittet Sergej eine Beamtin um eine Auskunft. Man erklärt ihm alles und schreibt die Öffnungszeiten auf. Kurz darauf bemerkt die Abteilungsleiterin uns Journalisten und fängt an, uns sehr aktiv zu erklären, wie alles hier auf Menschen mit Behinderung ausgerichtet ist. Die Beamtin zuvor hatte ihm alles sehr freundlich erklärt, auch ohne zu wissen, dass er in Begleitung von Journalisten ist

Und doch erzählt Sergej: „Nicht immer läuft es so gut wie heute. Zum Beispiel, wenn ich zur Post gehe. Die Rampen, Bodenleitsysteme – alles ist in Ordnung. Aber wenn ich eine Mitarbeiterin der Post um Hilfe bitte, schreit sie mich an und sagt, ich soll jemanden anderen fragen. „Ich bin alleine, und ihr seid hunderte von Menschen!“, sagt Sergej. Es muss doch Verständnis geben, ansonsten helfen die ganzen Geräte für Menschen mit Behinderung nichts.

Dann gehen wir zur Bank. Ein Mitarbeiter hilft Sergej mit dem Geldautomaten. Er ist sehr höflich. Nach der Bank besuchen wir einen Park, den Riviera-Park.. „Alles hier ist sehr klug gemacht. Zum Beispiel stehen die Bänke nur an einer Seite des Weges. An der anderen benutzen die Blinde den Bordstein, um sich zu orientieren. Das erscheint wie eine Kleinigkeit,  aber doch eine sehr wichtige. Und die Wegweiser und Hinweisschilder haben Reliefaufschrift, die ich ertasten kann, denn die Brailleschrift beherrschen nur 2 Prozent der Blinden.“

Schließlich erreichen wir das Kunstmuseum Sotschi, wo Sergej arbeitet. Er kommt jeden Tag 2,5 Stunden früher zur Arbeit, um auf dem Platz vor dem Museum zu joggen oder Rollschuh zu laufen. Auf dem Platz ist das Bodenleitsystem für Blinde manchmal falsch verlegt, Sergej erklärt, dass die Bauarbeiter noch keine richtige Erfahrung hatten, als es gebaut wurde. Im Museum zeigt er uns eine besondere Ausstellung, die „Berühr‘ die Bilder“ heißt. Die Ausstellung hilft blinden und sehenden Menschen, Gemälde durch den Tastsinn zu erfahren. Zum Schluss schenkt Sergej dem Fotograf  Thilo ein Bild, das er selbst gemalt hat. Ich frage ihn, ob er glücklich ist. Sergej lächelt und sagt: „Sieht man das denn nicht?“

Nach dem Spaziergang gehen Christina, Thilo und ich zum Meer, und sprechen über das, was wir heute erlebt haben. Diese heißen Paralympischen Winterspiele sind echt schön. Und noch schöner ist, dass die Stadt wegen der Spiele sich sehr verändert hat, und jetzt kann man bestimmt sagen, dass Sotschi wirklich für Menschen mit Behinderung gemacht ist.     

Anastasija Arinushkina

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