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Die Menschen in Russland können ausgesprochen herzlich sein - wenn man sich nur mit ihnen unterhalten könnte.

© REUTERS/Eduard Korniyenko

Fußball-WM in Russland: "Privet" - ein hoffnungsloser Fall

Der richtige Satz zur richtigen Zeit am richtigen Ort – das wünscht sich auch unser WM-Reporter. Er kann nur leider kein Wort Russisch. Also nimmt er Sprachunterricht.

Seit einer halben Stunde irrt der Taxifahrer durch den Moskauer Nachmittagsverkehr. Links, rechts, U-Turn, Kreisverkehr, am Ende wartet immer ein Stau oder eine Baustelle. Ab und zu zeigt der Fahrer in den Himmel und sagt etwas. Vielleicht träumt er von einem Flugtaxi, denn das wäre wirklich vorteilhaft in dieser Riesenstadt. Vermutlich spricht er aber nur übers Wetter. Er hebt jedenfalls den Daumen, und weil ich nichts verstehe, hebe ich auch den Daumen, und dann lächeln wir beide. Als das Taxi nach 45 Minuten vor der Schranke eines Parkhauses hält, sagt der Fahrer wieder etwas, sehr viele Konsonanten, sehr fremde Buchstaben, und ich bin mir sicher, das soll „Wir sind da“ bedeuten. Was allerdings nicht stimmt, denn laut Google Maps liegt mein Ziel, ein Café auf der Straße Arbat, etwa drei Kilometer weiter westlich. „No, no“, sage ich also. „Arbat Street.“ Er schaut mich fragend an, und ich denke: Das ist ja wirklich ein Ding, meine erste und einzige Russischstunde verpasse ich wegen fehlender Russischkenntnisse.

Ich bin nicht besonders talentiert in Sachen Fremdsprachen. Mein Englisch (neun Schuljahre) ist zwar solide, aber ich bin gewiss kein Amerikanische-Filme-gucke-ich-nur-im-Original-ohne-Untertitel-Typ. Mein Französisch (fünf Schuljahre) beschränkt sich hingegen auf einen Satz aus meinem ersten Französischlehrbuch: „Le magnétophone marche.“ Der Kassettenrekorder funktioniert. Eine in heutigen Konversationen eher zu vernachlässigende Aussage.

„Mit deiner Muttersprache sitzt du nur im Hausflur des Lebens. Fremdsprachen öffnen dir alle Türen“, hat der Linguist Frank Smith mal gesagt. Vielleicht war es auch nur ein nachdenklicher Spruch auf einer Postkarte. Stimmt aber irgendwie. Der richtige Satz zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und auf einmal kann ein Leben irre Wendungen nehmen. Alles ist möglich: Drogenkurier in Tijuana, Löwenbändiger bei einem osteuropäischen Wanderzirkus, bester Saufkumpel an der Theke deiner Träume.

Als John F. Kennedy 1963 vor dem Schöneberger Rathaus verkündete, dass er ein Berliner sei, jubelten die Leute. Als Lothar Matthäus ein paar Jahrzehnte später in New York seinem Team „a little bit lucky“ wünschte, lachten die Leute. Aber sie schlossen diesen Mann aus Herzogenaurach auch in ihr Herz.

Seit einigen Jahren habe ich diesen klischeeartigen Traum von Russland: Ich möchte im Speisewagen der Transsibirischen Eisenbahn, irgendwo kurz vor Wladiwostok, mein Glas erheben und einen flotten Spruch raushauen. Etwa: „Da geht er hin, ein Mann wie Steffi Graf.“ Woraufhin der Nachfahre einer russischen Zarenfamilie antworten würde: „Sie sind mir aber ein Spaßmacher.“ Ich würde mit ihm danach ein wenig über russische Stummfilmklassiker aus den Zwanzigern parlieren und mich anschließend wieder der Lektüre von Iwan Gontscharows Roman „Oblomow“ widmen. Natürlich im Original.

„How to talk to a bear“

Auch deshalb treffe ich mich mit den Lehrerinnen des Sprachkurses „How to talk to a bear“, den ich schon wegen des Namens total witzig finde, denn Bären will ich als WM-Tourist natürlich auch sehen. Wie man mit ihnen spricht? Sicher ist: „I hope I have a little bit lucky“ wird mir nicht helfen, wenn ich vor einem stehe. Diese erste Stunde ist also überlebenswichtig.

Der Taxifahrer weiß das alles nicht, und vermutlich wäre es ihm auch egal. Immerhin darf ich ihm nun über Google Maps den Weg zeigen, und nach weiteren 30 Minuten sind wir am Café in der Arbat Street, wo die beiden Lehrerinnen Alena Sokolova und Christina Roslovtseva warten.

„Dobryy den, good day“, sage ich, um ein wenig Eindruck zu schinden, aber Frau Sokolova erklärt: „Förmlich heißt es anders. Bitte sprechen Sie mir nach: ,Zdravstvuyte.‘“ Als ich nach dem dritten Mal meine Zunge zu einem Palstek verknotet habe, geben wir auf. „Sie können auch ,Privet‘ sagen. Das bedeutet ,Hallo‘.“ Bin ich ein hoffnungsloser Fall?

Frau Sokolova – 24 Jahre alt, Sakko, Brille, Typ freundliche Referendarin, die auch mal fünf Minuten vor dem Gong die Stunde beendet – ist der Fußballfan der beiden. Sie unterstützt seit ihrer Kindheit ZSKA Moskau, 2014 war sie in Brasilien, 2016 bei der EM in Frankreich. „Besonders in Brasilien fand ich es schwierig“, sagt sie. „Kaum jemand sprach Englisch.“ Das sollte in Russland nicht passieren. „In Moskau oder Sankt Petersburg kommt man mit Englisch weiter. Aber wie ist es in Saransk? Oder auf den Dörfern?“

Vor der WM starteten die beiden jungen Frauen deshalb einen Online-Sprachkurs, der sich an ausländische Fußballfans richtet. Er kostet 30 Dollar und beinhaltet mehrere Stunden Videomaterial. Die Schüler lernen das Alphabet, die Aussprache, Begrüßungsformeln, fußballrelevante Sätze. Am Ende erhält man eine Abschlussbescheinigung. Bei den Fans kommt der Kurs gut an. Schüler Rodrigo Hilário Paes schreibt: „Die Präsentation ist witzig und niedlich. Die Lehrerinnen geben sich mehr Mühe als andere.“

Ich würde gerne alle Lektionen durchgehen, und klar, man muss mit dem Alphabet anfangen, aber ich habe leider nur diese eine Stunde Zeit. Also lerne ich das, was wirklich wichtig ist: Ein Spiel dauert 90 Minuten? Igra dlitsa devyanosta minut. Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß? Esli u vas der'mo na nogah, u vas der'mo na nogah. Und das Wichtigste: „Da geht er hin. Ein Mann wie Steffi Graf!“ Frau Sokolova schreibt es auf. Und ich spreche es nach: „I vot on. Takoy chelovek kak Shteffi Graf.“

Frau Roslovtseva hebt den Daumen und applaudiert sogar ein wenig. Für eine Drei minus hat es wohl gereicht.

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