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Das Training von Radprofis ist stets eine einsame Angelegenheit, so wie hier das des Tour-Favoriten Alberto Contador in Rotterdam.

© dpa

Radsport: Start der 97. Tour de France: Gute Laune, schlechte Laune

Auch an der 97. Tour de France scheiden sich die Geister. Beim Prolog der Radprofis in Rotterdam werden am Samstag Hunderttausende eine konstruierte Realität bejubeln.

Das Symbol ist sorgsam gewählt: An den Pforten von Europas größtem Seehafen startet an diesem Samstag die 97. Tour de France. 198 Fahrer aus 31 Nationen nehmen die 3641 Kilometer zwischen Rotterdam und Paris in Angriff. Tourdirektor Christian Prudhomme lobt vor allem die internationale Ausrichtung der Gastgeber und deren Potenzial, dem Event durch frenetischen Beifall einen starken Impuls zu verleihen. „Hunderttausende begeisterte Zuschauer, die in ununterbrochenen Reihen im Herzen von Rotterdam klatschend und winkend den Start der Tour begrüßen“, lautet seine Vision, die wohl Wirklichkeit werden wird.

Prudhomme käme der Enthusiasmus in den Niederlanden zupass. Denn die permanenten Dopingskandale haben den Mythos der Tour erodieren lassen. Wer eben noch gefeiert wurde, kann gleich morgen, nach Auswertung der Dopingtests, als Betrüger entlarvt werden. Jeder, der gewinnt, sieht sich der Skepsis des skandalerfahrenen Beobachters ausgesetzt. Der Dramatiker René Pollesch bekommt schlechte Laune, wenn er die Helden, mit denen er sich gerade noch identifiziert habe, wenig später als Bösewichte demaskiert finde, erklärte er in einer von der Wochenzeitung „Freitag“ abgedruckten Fachsimpelei mit Pepe Danquart, dem Regisseur des Dokumentarfilms „Höllentour“.

Zu dieser latent schlechten Stimmung kommt in diesem Jahr noch die Konkurrenz mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika hinzu. Das weltweit drittwichtigste Sport-Event muss sich mit den Aufmerksamkeitsbrocken zufriedengeben, die das zweitwichtigste Event nach Olympia übrig lässt. Die größte Kollision findet ausgerechnet beim Prolog statt. Der frisch gebackene deutsche Zeitfahrmeister Tony Martin muss sich bei seiner 8,9 Kilometer langen Runde durch Rotterdam nicht nur mit dem besten Zeitfahrer des Jahrzehnts, dem Schweizer Fabian Cancellara, auseinandersetzen. Er strampelt auch gegen Lahm, Schweinsteiger und Özil an, die zeitgleich Messi & Co. aus dem Wettbewerb kegeln wollen.

Erst nach dem Finale von Johannesburg kann die Tour die gewohnte Sommerherrschaft antreten. Zwölf bis dreizehn Millionen Zuschauer erwartet Rennveranstalter ASO an der Strecke. Mehr als 3800 Stunden TV-Berichterstattung zählte er 2009. Damit vergrößert sich die reine Rennzeit – der Sieger Alberto Contador benötigte 85 Stunden, 48 Minuten und 35 Sekunden – um mehr als das Vierzigfache.

Die Tour de France ist in erster Linie ein Medienereignis. Ihre Bedeutung wächst mit der Kommunikation über sie. Unter den medialen Schwingungen verschwindet fast das reale Event. Das über Twitter und Mikrofone ausgetragene Duell zwischen dem allenfalls für einen Podiumsplatz infrage kommenden Lance Armstrong und dessen Intimfeind Alberto Contador überstrahlt bislang den sportlichen Zweikampf der Bergkönige Contador und Andy Schleck.

Tourchef Prudhomme bemüht sich, eine von ihm bevorzugte Realität zu konstruieren. Er kaschierte die scharfen Auseinandersetzungen um die richtige Antidopingstrategie zwischen der französischen Antidopingagentur AFLD und dem Radsportweltverband UCI und pries stattdessen den mühsam erzielten Kompromiss zwischen AFLD und UCI sowie dem Vermittler, der Weltantidopingagentur Wada, als „gute Zusammenarbeit eines Dreigestirns“. UCI-Präsident Pat McQuaid stellt gern das Blutpass-Monitoring seines Verbands als vorbildhaft heraus, hält Informationen über dessen Mängel aber meist unter Verschluss. Der mit dem Blutdopingmittel Epo erwischte Schweizer Radprofi Thomas Frei gestand freimütig, lange Zeit das Kontrollprogramm mit Mikrodosierungen umgangen zu haben. Michael Ashenden, einer der Wissenschaftler, die die UCI bei der Auswertung des Blutmonitorings beraten, hält Freis Aussagen und auch die des 2006 bei seinem Toursieg gedopten Floyd Landis über die Manipulierbarkeit des Programms für glaubhaft. Er wunderte sich darüber, dass die Werte einiger Fahrer in einem ungewöhnlich engen Bereich lagen. „Wir wissen, sie haben etwas gemacht, besonders im letzten Jahr“, sagte er dem US-Sender ESPN.

Erst wenn sich bis in die Spitzen von UCI und ASO die Haltung durchsetzt, den Zweifeln nachzugehen, anstatt die Probleme zu verharmlosen, hat die Tour Aussichten, nicht nur mit einer konstruierten Realität gute Laune zu produzieren.

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