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Sport: Romantiker und Selbsttäuscher Eine englische Meinung zu Harry Redknapp

Es gibt kein englisches Wort für Fremdschämen. Wenn man die in der „Daily Mail“ in einer Serie veröffentlichte Autobiografie von Harry Redknapp liest, denkt man, dass die Zeit reif ist für eine passende Übersetzung.

Es gibt kein englisches Wort für Fremdschämen. Wenn man die in der „Daily Mail“ in einer Serie veröffentlichte Autobiografie von Harry Redknapp liest, denkt man, dass die Zeit reif ist für eine passende Übersetzung. Redknapp hat uns mal wieder daran erinnert, dass er im Frühling 2012 als der vom Volk bevorzugte Kandidat für den Job als englischer Nationaltrainer galt. Was haben wir uns da fremdgeschämt.

Ich bin auch ein überzeugter Anhänger der Demokratie. Aber Gott sei dank wird das westliche Ideal des Wahlrechts nicht bei der Wahl eines Fußballnationaltrainers angewandt. Statt die Forderung des Volkes zu beachten, hat sich der englische Fußballverband FA für Roy Hodgson entschieden.

Achtzehn Monate später kann Redknapp aber die Entscheidung der FA immer noch nicht nachvollziehen. „Respekt vor Hodgson“, sagt er, „aber jeder wollte mich. Die Spieler haben sich sogar bei mir gemeldet, um mir das zu sagen. Bei der FA gibt es aber noch Snobismus, und Roy passte besser zu dieser Welt.“

Vielleicht hat Redknapp vergessen, dass er sich damals im Gericht gegen Vorwürfe der Steuerhinterziehung verteidigen musste, nachdem er ein Konto in Monaco unter dem Namen seines Hundes erstellt hatte. Da hatte er dem Richter erklärt, dass er nichts bewusst hinterziehen könne, denn: „Ich bin so schlecht organisiert wie keiner auf der Welt. Ich kann nicht schreiben. Ich kann nicht mal eine Mannschaftsaufstellung aufschreiben.“

Laut Gericht war er schließlich unschuldig. Aber da es letztendlich darum ging, ob er Analphabet oder Meisterkrimineller war, ist es eigentlich kein Wunder, dass die FA ihn nicht verpflichtet hat. Trotzdem kann Redknapp nicht verstehen, warum seine Popularität allein nicht ausreichte. Es ist einfach zu erklären: Roy Hodgson hat die Schweiz bei einer WM trainiert und diese Nation bis auf Platz drei in der Fifa-Weltrangliste geführt. Dazu ist er in Schweden sieben Mal Meister geworden, und in Finnland wurde er für seine Dienste am Fußball zum Ritter geschlagen. Gegen solche Leistungen zählen Popularität und ein FA-Cup wenig, Harry, tut mir leid. Am besten probierst Du, Premierminister zu werden. Da ist Popularität etwas mehr wert.

Redknapps Fußballerfolg basiert auf enormem Aktionismus auf dem Transfermarkt. Hodgson hat dagegen das Talent, das Beste aus einer mittelmäßigen Mannschaft herauszuholen. Der Verband hat wohl erkannt, dass er einen Talent-Ökonom, nicht einen charmanten Felix Magath brauchte.

Das einzig gerechtfertigte Argument, das Redknapp geboten hat, war, dass er schöneren Fußball als Roy Hodgson fordert. Aber letztendlich ist er immer noch so englisch, dass es wohl Baked Beans in seinem Blutfluss gibt: der natürliche Nachkomme des Erbes von Rinus Michels ist er definitv nicht.

In einer Fußballnation, die längst von Hysterie und Selbstüberschätzung beherrscht wird, hat Hodgson ein bisschen Realismus eingeführt. England weiß jetzt endlich, wie fest seine Mannschaft zum Mittelmaß gehört

Der gute alte Romantiker Redknapp täuscht sich jedoch weiterhin darin, dass England zu den Großen gehört. Seit so vielen Jahren, in denen die Nationalelf das Gegenteil bewiesen hat, ist so eine Einschätzung einfach nur peinlich. Und für Harry dürfen wir uns alle ein bisschen fremdschämen.Kit Holden

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