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Reporterin Julieth Gonzalez Theran (l.) in Russland.

© /Deutsche Welle

Sexuelle Belästigung bei der WM 2018: Fußballfans begrapschen Reporterinnen vor laufender Kamera

WM-Reporterinnen in Russland sind mehrfach Opfer sexueller Belästigung geworden. Solche Zwischenfälle gehören bei der WM zum Arbeitsalltag.

Der Mann, der sich ins Bild drängt, trägt Sonnenbrille, ein Trikot der argentinischen Nationalmannschaft und einen Stapel Getränkebecher mit sich rum. Kethevane Gorjestani berichtet gerade für den Nachrichtensender "FRANCE 24" live aus Sankt Petersburg. Sie ignoriert den aufdringlichen Fan so gut es geht. Mit ihrer freien Hand versucht die Reporterin vergeblich, sich den alkoholisiert wirkenden Mann vom Leib zu halten. Er wirft Küsschen in die Kamera, presst seine Lippen auf das argentinische Wappen und drückt Gorjestani einen schnellen Schmatzer auf den Hals. Dann verschwindet er.

Es ist der dritte öffentlich gewordene Fall im Laufe dieser Weltmeisterschaft, bei dem eine Journalistin begrapscht, geküsst und davon abgehalten wird, ihre Arbeit zu machen. Julieth Gonzalez Theran war für die lateinamerikanische Ausspielung des Auslandssenders "Deutsche Welle" (DW) in Moskau unterwegs, als ein russischer Mann die Reporterin an den Schultern packte, eine Hand auf ihre Brust legte und der Kolumbianerin einen unerwünschten Wangenkuss gab. Mit Folgen. Die "Deutsche Welle" veröffentlichte den entsprechenden Videoausschnitt via Twitter. Der Clip wurde mehr als 4.000 mal geteilt.

Ruslan, so lautet der Name des Übeltäters, nahm Kontakt zum Sender auf. Mit Anzug und Krawatte und sichtlich reumütig besuchte er das Moskauer DW-Studio und bat Gonzalez Theran in gebrochenem Englisch um Verzeihung. Es sei nicht seine Absicht gewesen, ihr an die Brust zu fassen. Er habe das alles nur gemacht, weil er mit seinen Freunden eine Wette abgeschlossen hatte.

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Glimpflicher endete die ungewollte Annäherung eines Fans für die brasilianische TV-Journalistin Julia Guimaraes. Sie duckte sich rechtzeitig vor dem Mann weg und fuhr ihn vor laufender Kamera erbost an: "Mach das nicht! Mach das nie wieder! Ich habe dir nicht erlaubt, mich anzufassen. Mach so etwas niemals mit einer Frau, okay? Zeig Respekt!" Aus dem Hintergrund ist zu hören, wie der Betroffene sich kleinlaut bei Guimaraes entschuldigt.

Zwischenfälle dieser Art gehören bei der Weltmeisterschaft zum Arbeitsalltag von Reporterinnen. Guimaraes wurde bereits zum zweiten Mal während einer Aufzeichnung in Russland von einem Fan sexuell belästigt. Dass Körperkontakt ohne Einwilligung der betroffenen Person, bis hin zum Küssen und Grapschen, nichts anderes als sexuelle Belästigung ist, sollte eigentlich keiner Erklärung bedürfen.

Bagatellisierte Belästigung

Dennoch gibt es genügend Personen, die das Verhalten der Männer in den betreffenden Videoausschnitten herunterspielen. Immerhin 6500 Leuten gefällt diese Antwort auf den Tweet der "Deutschen Welle": "Ihr nennt DAS sexuelle Belästigung? Soll das ein Scherz sein? Die Menschen freuen sich einfach." Frei nach dem Motto: Stellt euch bitte nicht so an.

Damit dringt ein im Wirkungskreis des Fußballs immer noch vorherrschendes Frauenbild durch, das sich dieser Tage zwar in Russland konkretisiert, allerdings über die Landesgrenzen des WM-Gastgebers hinaus weit verbreitet ist. Nicht umsonst ist die Ansetzung von Claudia Neumann als Kommentatorin für ein Fußballspiel jedes Mal aufs Neue Stein des Anstoßes für eine mit Stereotypen überfrachtete "Ich hab ja nichts gegen Frauen (im Fußball), aber .."-Diskussion.

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Ähnliches muss die britische Sportjournalistin Vicki Sparks über sich ergehen lassen, die mit der Partie Portugal gegen Marokko als erste Frau ein WM-Spiel im britischen Fernsehen kommentiert hat. Ex-Profi Jason Cundy, der unter anderem für den FC Chelsea spielte, befand: "Für 90 Minuten ist ihre Stimme zu hoch." Bereits vor einem Jahr drohte David Moyes, damals noch Trainer des FC Sunderland, Sparks nach einem Interview im Spaß: "Du bist ein bisschen frech gewesen. Benimm dich. Sonst fängst du dir noch Eine, obwohl du eine Frau bist."

Beide waren dazu gezwungen, sich nachträglich für ihre verbalen Ausrutscher zu entschuldigen. Zu groß war der öffentliche Aufschrei. Trotzdem sprechen alle Fälle zusammengenommen Bände darüber, wie (zu) viele Spieler, Trainer uns Fans nach wie vor die Rolle der Frau im Fußball sehen: Als hoffentlich hübsch anzusehendes, dekoratives Element, das sich im Zweifelsfall aus der sachlichen Einordnung des Spielgeschehens rauszuhalten hat. Gott behüte, der Mann könnte seine Deutungshoheit über einen Sport verlieren, den er schon viel zu lange mit einem geschlechterexklusiven Besitzanspruch belagert.

Niklas Levinsohn

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