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Iker Casillas

© dpa

Spanien - Italien 4:2 n.E.: Der Weltmeister ist draußen

Es war ein schwacher, torloser Kick über 120 Minuten. Dann entschied das Elfmeterschießen. Weltmeister Italien verliert im EM-Viertelfinale 2:4 und scheidet aus. Spanien spielt am Donnerstag im Halbfinale gegen Russland.

Der Weltmeister verabschiedet sich aus Europa. Zwei Jahre nach dem Triumph von Berlin scheiterte Italien gestern schon im Viertelfinale beim Versuch, auch die Europameisterschaft zu gewinnen. Vor 50000 Zuschauern im Wiener Ernst-Happel-Stadion war Spanien nach 120 torlosen Minuten und anschließendem Elfmeterschießen die glücklichere Mannschaft. Um 23.22 Uhr setzte der eingewechselte Cesc Fabregas den entscheidenden Treffer.

Zuvor hatte Torhüter Iker Casillas die Schüsse von De Rossi und Di Natale pariert und der Italiener Gianluigi Buffon bei Daniel Güizas Elfmeter das bessere Ende für sich gehabt. "Am Samstag haben wir im Training vier Durchgänge lang Elfmeter geübt", sagte Spaniens Trainer Luis Aragones. "Iker Casillas ist nicht gerade bekannt als Elfmetertöter, aber ich war mir sehr sicher, dass er heute hält. Er hat im Training daran hart gearbeitet." Der Gelobte selbst erinnerte an ein weniger schönes Spiel: "Mein letztes Elfmeterschießen war bei der WM 2002, im Viertelfinale gegen Südkorea. Damals habe ich keinen Elfmeter gehalten und wir sind ausgeschieden."

Aragones gab gern zu, dass er zwar mit dem Ergebnis, aber nicht mit dem Spiel zufrieden war. "Das war kein gutes Spiel, von uns nicht und von den Italienern auch nicht", sagte der spanische Trainer. "Das Tempo war sehr langsam."

Sein italienischer Kollege Roberto Donadoni fand nach einem für sein Team enttäuschenden Turnierverlauf eher trotzige Worte. "Ich bin sehr traurig über das Ergebnis", sagte Donadoni. "Aber sportlich bin ich mit der Mannschaft sehr zufrieden, das Ergebnis ist nicht so wichtig. Wir können erhobenen Hauptes dieses Turnier verlassen. Es ist mir egal, ob die Mannschaft in der ersten Runde ausscheidet, im Viertelfinale oder später. Entscheidend ist, dass wir alles versucht haben. Ich kann den Spielern keinen Vorwurf machen."

Zu seiner eigenen Zukunft sagte Donadoni nur, dass er sich darüber keine Gedanken mache, da die Entscheidung darüber ohnehin nicht bei ihm liege. Er verwies auf eine Klausel in seinem Vertrag, nach der Italiens Fußballverband nach der EM entscheiden dürfe, ob die geplante Verlängerung bis 2010 tatsächlich in Kraft tritt. Verbandspräsident Giancarlo Abete wollte gestern am späten Abend zunächst kein Bekenntnis zu Donadoni ablegen. "Darüber werden wir in den nächsten Tagen reden", sagte er und klang dabei wenig aufmunternd für Donadoni.

Die Spanier besiegten nicht nur die Italiener, sondern auch den Fluch, bei großen Turnieren nie weit zu kommen. Das ist nun endlich anders. Im Halbfinale treffen sie am Donnerstag in Wien auf Russland. "Russland ist eine großartige Mannschaft", sagte Elfmeter-Held Casillas. "Wir haben das Gruppenspiel zwar 4:1 gewonnen, aber keiner soll sich einbilden, dass wir jetzt leicht das Finale erreichen. Was vor zwei Wochen war, interessiert jetzt nicht mehr."

Das Publikum bekam gestern Abend zwar ein dramatisches Ende beschert, aber es hatte sich wohl mehr erwartet vom Duell der Giganten aus Südeuropa. Erst in der Verlängerung wurde das Spiel ein wenig munterer, als die Italiener endlich ihre Deckung ein wenig lockerten.

Zuvor hatten die Spanier zwar deutlich dominiert, aber was hilft das gegen eine Mannschaft, die das Verteidigen zur hohen Fußballkunst erhoben hat? Die italienische Abwehr war gestern so vielbeinig wie lange nicht, und sie stand gewohnt gut. Das 0:3 zum Turnierauftakt gegen die Niederlande war eben nicht ihr Standard.

Aber nach vorn ging lange Zeit wenig, ohne den nach der zweiten Gelben Karte gesperrten Andrea Pirlo. Für ihn hatte Donadoni Alberto Aquilani aufgeboten und die Rolle des Spielmachers weitergereicht an den zuletzt so starken Daniele De Rossi. Doch der konnte das Spiel der Italiener nicht auf das Niveau heben, das sie beim 2:0 über Frankreich zumindest angedeutet hatten.

Hinzu kam, dass Luca Toni einmal mehr vergebens seiner Form nachlief. Diese Europameisterschaft ist nicht sein Turnier. Fast alles, was ihm beim FC Bayern gelingt, läuft in diesen Tagen schief. Etwa sein Kopfball nach schöner Flanke von Antonio Cassano. Toni sprang hoch und wuchtete den Ball Richtung Tor, traf aber nur den Kopf des mit gesprungenen Carlos Marchena.

Oder kurz vor Schluss der regulären Spielzeit, als er einen artistischen Seitfallzieher versuchte und damit vor seinem einschussbereiten Kollegen Fabio Grosso klärte. In der Bundesliga wird Tonis unorthodoxer Stil gern als Intuition ausgelegt. Wenn aber der Erfolg ausbleibt, wie in diesen Tagen in der Nationalmannschaft, wirkt er einfach unbeholfen.   Das spanische Spiel war konstruktiver angelegt, aber längst nicht so furios wie in der Vorrunde. Wahrscheinlich litt der Rhythmus auch darunter, dass Aragones beim bedeutungslosen Spiel gegen Griechenland nur eine bessere B-Mannschaft aufgeboten hatte, von der gestern nur Andres Iniesta auf dem Platz stand.

Xavi, das Genie aus Barcelona, riss das Spiel wie gewohnt an sich, aber es fiel im schwer, seine beiden Stürmer Erfolg versprechend einzusetzen. Von Fernando Torres, später ausgewechselt, war so gut wie gar nichts zu sehen. Und  auch David Villa, der mit vier Toren der bislang erfolgreichste EM-Schütze, tat sich schwer mit der dichten italienischen Abwehr, die sich mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit um ihn kümmerte. Schon nach einer Viertelstunde trat ihm Massimo Ambrosini gegen das Standbein und da dies im Strafraum geschah, hätte es einen Elfmeter geben müssen.

Der deutsche Schiedsrichter Herbert Fandel aber ließ weiter spielen, wie auch später bei einer weiteren strittigen Szene, als Grosso dem Spanier David Silva am rechten Strafraumeck auf den Fuß trat. „Hijo de puta!“ riefen die spanischen Fans, was wir mal geglättet übersetzen mit „Sohn einer Frau die ihr Geld auf der Straße verdient“.

Fandel verabschiedet sich mit einer nicht ganz überzeugenden Leistung von der EM. Zum Einsatz kommt er bei diesem Turnier nicht mehr, weil keines der vier Länder, die im Halbfinale stehen, nun noch einen Schiedsrichter stellen darf.

In der zweiten Halbzeit ließ der spanische Angriffsmut immer weiter nach, und Aragones schickte nach einer Stunde Cesc Fabregas für den entkräfteten Xavi auf den Platz. Fabregas mag sich beim FC Arsenal zu einem der besten Spielgestalter der Welt entwickelt haben, in der Nationalmannschaft ist auf dieser Position Xavi gesetzt, und zusammen mag Aragones die beiden nicht spielen lassen.

Auch gestern gelang Fabregas nicht so viel wie gewohnt, aber er hatte die Nerven, den entscheidenden Elfmeter zu verwandeln. Das entschädigt für viele ungewohnte Minuten auf der Ersatzbank.

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