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Wer den Spielball erbeutet, beherrscht das Spiel in der Champions League - eine Überzeugung José Mourinhos

© picture-alliance/ dpa

Startrainer im Portrait: José Mourinho: Mein Feind, der Ball

José Mourinho ist einer der besten Trainer der Welt – und war einer der lausigsten Fußballer. Über die Wurzeln des streitbaren Portugiesen, der mit Real Bayern und Barcelona schlagen will.

Es ist der 16. Mai 1982 und Sporting Lissabon feiert vorzeitig den 16. Meistertitel. In der portugiesischen Liga sind nur noch zwei Spiele zu absolvieren und als letzter Heimgegner ist der Rio Ave FC bei der Party zu Gast. Die bescheidene Truppe aus Vila do Conde im Nordwesten Portugals kommt mit 17 Spielern nach Lissabon. Mitgereist ist auch ein Nachwuchskicker namens José Mário. So nah wie an diesem Sonntag sollte er seinem Erstligadebüt nie wieder kommen.

Warum wir Ihnen dies erzählen? Weil es der Anfang einer Weltkarriere ist. Von José Mário dos Santos Félix Mourinho. Den heute 49-Jährigen kennen die Fußballfans als Trainer von Real Madrid. Am Dienstag traf José Mourinho im Halbfinale der Champions League auf Bayern München. Am Samstag ringt er im „Clásico“ mit dem FC Barcelona um die spanische Meisterschaft, bevor am Mittwoch das Rückspiel gegen Bayern steigt. Es ist das Niveau, auf dem der „Special One“ zu Hause ist. Aber wo er, sein unstillbarer Ehrgeiz und der umstrittene Charakter herkommen, wissen die wenigsten.

Bei Rio Ave verletzt sich kurz vor Spielbeginn der Verteidiger Figueiredo. Trainer Félix Mourinho ruft seinen Sohn José Mário herbei. Er soll in den Kader rücken, sein erstes Ligaspiel winkt. Doch dem Präsidenten des Klubs, José Maria Pinho, schmeckt es nicht, dass der Trainer seinen Sohn aufbieten möchte. Nach einer kurzen Unterredung des Präsidenten mit dem Trainer ist José Mários Traum, erstklassig zu spielen, vorbei. Das Resultat ist eher unbedeutend für die Geschichte; aber Sporting gewinnt 7:1.

Spielzerstörer. Mourinho weiß, wie man den Ball an der Seitenlinie aus dem Spiel nimmt.
Spielzerstörer. Mourinho weiß, wie man den Ball an der Seitenlinie aus dem Spiel nimmt.

© AFP

Die Fußballtradition der Familie ist gebrochen. José Mourinhos Onkel war Präsident von Vitória Setúbal und Vater Félix einer der besten Torhüter in der Geschichte des Klubs. „Mein Vater war ein Top-Spieler und mein Traum war es, so zu werden wie er“, erzählte Mourinho Jahre später , „wenn du merkst, dass du es nicht schaffst, dann ziehst du all deine Motivation daraus. Ich wollte jemand wirklich Großes im Fußball werden.“

„Sein Kopf war schneller als seine Füße“ - Der Taktiker Mourinho

Mourinho hätte eine Managementkarriere in der Wirtschaft einschlagen können, wie es seine Mutter für ihn wollte. Aber keine Anerkennung wäre wohl so erfüllend gewesen wie die im Fußball.

Nach seiner Torwartkarriere hatte sein Vater Félix Mourinho beschlossen, Trainer zu werden. Mit kleinen Klubs konnte er einige beachtliche Erfolge feiern, mit Rio Ave erreichte er etwa einmal das portugiesische Pokalfinale.

Er war ein ganz anderer Trainertyp, als es sein Sohn einmal werden sollte. Arroganz oder Beleidigtsein waren ihm fremd, ein schlichter Mann, der freundlich zu jedermann war. In all den Jahren bekam er Hilfe von seinem Sohn, der für ihn minutiöse Berichte über die gegnerischen Mannschaften verfasste. Der Sohn wollte ihm auch als offensiver Mittelfeldspieler nacheifern.

Der junge José Mário war 18 Jahre alt, als er sich Rio Ave anschloss, die Mannschaft eines Fischerortes, die sein Vater trainierte. So, wie er zuvor Jugendspieler gewesen war bei den Klubs, die sein Vater als Profi-Trainer betreute.

In der „Streichholzschachtel“, dem engen Stadion von Rio Ave, hatte Félix Mourinho 1981/82 eine schlagkräftige Truppe geformt, die mit Rang fünf die beste Platzierung der Klubgeschichte erreichte. Für José Mario war darin kein Platz.

„Sein Vater hatte ihn mitgebracht“, erinnert sich Álvaro Costa, ein bekannter portugiesischer Fernsehkommentator. „Er war Teil der Reservemannschaft und spielte mittwochs. Ein offensiver Außen, eine Nummer sieben. Allerdings limitiert. Man erzählte sich, dass Präsident Pinho nicht wollte, dass er in der ersten Mannschaft spielt.“ Mourinho junior machte nur ein Spiel für Rio Ave in der ganzen Saison, in der dritten Runde des portugiesischen Pokals.

João Malheiro, Schriftsteller und Fußballkenner, ist seit damals mit Mourinho befreundet. „Man sah früh, dass sein Kopf schneller war als seine Füße“, sagt Malheiro. „Er spielte aus taktischer Sicht tadellos, aber technisch hatte er nicht das gleiche Niveau. Deshalb hat er den nächsten Schritt nie geschafft.“

Der nächste Schritt für José Mário war Belenenses. Ein Lissabonner Traditionsverein, der 1982/83 in der Zweiten Liga spielte. Trainer war wieder sein Vater. José Mário spielte kaum, aber schrieb Geschichte. Beim höchsten Sieg der Klubgeschichte, 17:0 gegen Vila Franca, kam er zur Halbzeit ins Spiel – und erzielte einen Hattrick. Der vielleicht einzige Höhepunkt seiner kurzen Spielerkarriere.

Mourinho tauschte die Fußballschuhe gegen seinen Notizblock aus

Nebenbei half er seinem Vater weiter als Scout und zeigte früh sein Talent, Taktiken und Spieler zu analysieren. Er beschloss, Sportwissenschaft an der Technischen Universität Lissabon zu studieren. Seine Mutter Maria Júlia, eine Grundschullehrerin, war die treibende Kraft hinter dem Studium. Bisweilen erpresste sie ihn und drohte, er dürfte dem Vater nicht weiter zur Hand gehen, wenn er keine gute Noten nach Hause brächte.

Von Belenenses verschlug es Mourinho zu Sesimbra. Hier trennten sich erstmals die Wege mit seinem Vater. Aber José Mario entschied sich auch deshalb für das Fischerdorf bei Setúbal, um nahe an seinem Zuhause zu wohnen. Kapitän der Zweitligaelf war damals Turibio Macedo. „Eines Morgens erschien er zum Training und trug Bücher über Fußballtaktik und -methodik unter dem Arm. Ich sagte zu ihm: ,Hör mal, Kumpel, man spielt mit den Füßen, nicht mit Büchern.“ Macedo erinnert sich noch gut an den 20-Jährigen Mourinho. „Er war nicht sehr aufgeweckt und hat viele Bälle verloren. Ich glaube, er hat früh gemerkt, dass die Fußballkarriere nichts für ihn ist.“

José Mário schulte mit der Zeit zum Verteidiger um und bewies auf seiner letzten Station, dass er durchaus schon sein heutiges Temperament besaß. Joaquim Chora war Mourinhos Teamkamerad bei Comércio e Indústria. „Ich sagte ihm einmal, er soll auf einen gegnerischen Stürmer achten. Ein übler Typ, sehr aggressiv. Doch nach zehn Minuten hatte er die Rote Karte gesehen – weil er dem Stürmer eine Kopfnuss verpasst hatte.“

Das Streben nach Perfektion war schon zu erkennen. Mit einer Stoppuhr zählte Mourinho, wie viele Liegestütze seine Mitspieler pro Minute schafften. Und er hatte bereits sein berühmtes Notizbuch in der Hand, um sich Details aus der Trainingsarbeit aufzuschreiben. Früh war sein Kontrollwahn zu spüren, der ihn später dazu später brachte, seinen Eltern Interviews über ihn zu verbieten.

Als er mit 24 Jahren seine Karriere beendete, war er trotz seines jungen Alters Kapitän bei Comércio e Indústria. „Er war ein Anführer, taktisch vorbildlich und hart, wenn es sein musste“, erinnert sich Luís Lourenço, der zwei Mourinho-Biografien geschrieben hat. „Das Studium war aber seine Priorität.“

Mourinho bildete sich fort und schaffte es schließlich in den Profifußball. Mit 27 Jahren wurde er Assistenztrainer, bei Estrela da Amadora, Ovarense, Sporting Lissabon, FC Porto und FC Barcelona. Dann Cheftrainer bei Benfica Lissabon, União de Leiria und  Porto. Der Rest, die Titel mit Chelsea, Inter und Real, sind Geschichte. Eine, die am 16. Mai 1982 mit einer Enttäuschung begann.

Der junge Mourinho wollte Profi werden, wie sein Vater. Aber der Kopf war schneller als die Füße

Tiago Beato

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