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Ricardinho erzielte beim 4:0 gegen Japan zwei Treffer.

© Reuters

Blindenfußball bei den Paralympics: Superstar Ricardinho zaubert für Brasilien

Die brasilianischen Blindenfußballer haben bei den Paralympics noch nie verloren – und auch in Tokio liegen sie schon wieder auf Gold-Kurs.

Er dribbelt den Ball um seine Gegner herum, holt aus – Tor! Dann fällt Ricardinho seinen Teamkollegen in die Arme. Nicht langsam, nicht tastend – und doch tragen all seine Mitspieler auf dem Platz schwarze Masken über den Augen. Gegen die japanische Blindenfußballmannschaft erzielte der Stürmer der Brasilianer am Montag seine ersten beiden Treffer bei den Paralympics in Tokio. Nach dem Auftaktsieg gegen China liegt der Titelverteidiger damit bereits wieder voll auf Gold-Kurs.

„Fußball liegt den Brasilianern im Blut – das ist ein großer Druck, denn die Brasilianer erwarten immer, dass sie gewinnen“, sagte Ricardinho der Nachrichtenagentur AFP: „Die Brasilianer erwarten Ergebnisse, weil wir das Potenzial haben, Meister zu werden. Wenn niemand etwas von uns erwartet, wäre es sehr schlecht.“

Ricardinho: Der Name des blinden Ausnahmefußballers erinnert nicht nur an die brasilianische Fußball-Legende Ronaldinho: Er macht diesem auch ernsthaft Konkurrenz. Die brasilianische Nationalmannschaft, in der er als Superstar gilt, hält weiter seine außergewöhnliche Serie. Seitdem die Fünfer-Version im Blindenfußball zu Spielen 2004 in Athen paralympisch wurde, hat das Team alle Gold-Medaillen gewonnen und keines der bis heute 24 Spiele verloren.

Nur der Torhüter darf ohne Augenbedeckung spielen

Kaum eine Fußballmannschaft kann wohl eine solche Erfolgsserie vorweisen. Doch kann man Blindenfußball und Sehenden-Fußball überhaupt vergleichen? Ein Blick ins Regelwerk verrät: Das ist schwierig – denn die Unterschiede sind immens.

Zuerst natürlich der offensichtlichste Unterschied: Beim Blindenfußball sind die Spieler auf dem Feld blind im Sinne des höchsten Schweregrads B1. Um eventuelle Unterschiede in der Sehschädigung auszugleichen, tragen die Spieler Augenklappenbinden und -pflaster. Einzig und allein die Torhüter dürfen auf dem Feld ohne spielen. Sie und die Guides der jeweiligen Mannschaft, die hinter dem gegnerischen Tor stehen, sowie die Trainer und Trainerinnen an den Banden rufen ihrem Team zur Navigation zu. Neben Blinden und Sehenden spielen auch Frauen und Männer zusammen: Eine durch und durch inklusive Sportart also. Im Fußball selbst befinden sich Rasseln, damit die Blinden ihn durch Geräusche orten können. Ein Blindenfußball-Team besteht aus nur fünf Personen, die Spieldauer beträgt insgesamt 50 Minuten.

Der Sport wird in mehr als 40 Nationen weltweit gespielt – Brasilien aber liegt weit voraus. Ein wichtiger Grund dürfte es sein, dass die Sportart ihre Ursprünge in Südamerika hat: Schon in den 1960er-Jahren wird diese spezielle Form des Fußballs in Brasilien organisiert gespielt. Im Gegensatz zu Deutschland, wo dies erst seit 2006 der Fall ist. Weltmeisterschaften finden seit 1998 in zweijährigen Abständen statt.

Eine frühe Förderung der Spielerinnen und Spieler bringt in Brasilien also Top-Talente wie Ricardinho hervor, die einen Sieg nach dem anderen einfahren. Ricardinho selbst jedoch plante zunächst keine Karriere im Blinden-, sondern viel eher im Sehenden-Fußball. Doch im Alter von sechs Jahren begann seine Sehkraft zu schwinden.

Ein Grundschullehrer entdeckt sein Talent

„Als ich als Kind begann mit einem Fußball zu spielen, hat es sich für mich leicht angefühlt. Von dem Moment an, habe ich davon geträumt, Fußballer zu werden“, verrät er in einem Interview mit dem japanischen Sender WOWOW.

Im Alter von acht Jahren, so erklärt die Dokumentation über Ricardinho (mit bürgerlichem Namen Ricardo Alves), kommt es zu einer Netzhautablösung: Ricardinho ist blind. Auf den gezeigten Fotos sieht man einen unglücklich wirkenden Jungen, der seinen Traum vom Fußballspielen begraben muss – so vermutete er zu dem Zeitpunkt noch.

Doch dann entdeckt ein Grundschullehrer sein Fußball-Talent und beginnt, Ricardinho zu trainieren. „Als ich herausgefunden habe, dass ich wieder Fußball spielen kann, war mein Herz plötzlich wieder voller Hoffnung“, sagt er über diese Zeit. Als Ricardinho 15 ist, bringt sein Lehrer ihn zu einem Blindenfußball-Team: Er ist der jüngste Spieler von ihnen. Dort startet Ricardinho seine Fußballer-Karriere: Sein Traum wird wahr, wenn auch in unerwarteter Form.

Sein Lehrer von damals zieht Bilanz: „Wenn er sein Augenlicht nicht verloren hätte, wäre er womöglich niemals der Top-Athlet geworden, der er heute ist.“

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.

Katharina Kunert

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