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Nur mit Willenskraft? Den Schlussanstieg nach Ax-3-Domaines bewältigte Froome (Gelbes Trikot) mit einer Leistung von 446 Watt – nur zwei weniger als 2001 Armstrong.

© Reuters

Tour de France: Die wundersame Reise des Christopher Froome

Mit Leistungen wie aus der Vergangenheit dominiert der Gesamtführende Christopher Froome die 100. Tour de France. Wie glaubwürdig ist der britische Radrennfahrer?

Christopher Froome ist ein schmaler, schlanker Mann mit sanfter, leiser Stimme. Hätte er nicht das Gelbe Trikot am Leib, würde kaum jemand Notiz von ihm nehmen. Aber im Körper dieses äußerlich unscheinbaren Burschen arbeiten Kraftwerke, die ihn ins Zentrum aller Aufmerksamkeit rücken. Jedenfalls in Frankreich, bei dem Radsportereignis, das als das größte der Welt gilt und das drittwichtigste Sportevent nach Olympischen Spielen und Fußball-WM darstellt.

Bei der ersten Bergetappe dieser Tour legte Froome einen Ritt hin, der alle Münder offenstehen ließ. In 23 Minuten und 14 Sekunden beim Aufstieg nach Ax-3-Domaines am Sonnabend war er nur wenig langsamer gewesen als Lance Armstrong bei dessen Bestzeit im Jahr 2001 und sogar etwas besser als Jan Ullrich 2003. Die beiden haben Dopinggeständnisse abgelegt, eine Dekade später. Dies sei die Leistung „eines Mutanten“, sagte der Sportwissenschaftler und frühere Festina-Trainer Antoine Vayer.

Froome, 28 Jahre alt, kennt die Zweifel. Deshalb hört sich seine Beteuerung, dass er nicht dope, ein wenig anders an. Er sagt nicht nur: „Ich bin zu 100 Prozent sauber“, sondern gibt ein Versprechen in die Zukunft ab: „Ich bin mir sicher, dass meine Ergebnisse auch nach zehn Jahren oder zwanzig noch Bestand haben.“

Das Versprechen, auch nach Einsatz zukünftiger Kontrollmethoden noch unbefleckt zu sein, ist gegenwärtig wohl die einzige argumentative Möglichkeit, die ein Radprofi hat, um Vertrauen in seine Leistungen zu erbitten. Es liegt etwas verzweifelt Prophetisches darin.

Gegen den Propheten auf dem Rennrad lässt sich die Wirkungsweise des Antifettsucht-Medikaments Aicar ins Feld führen, die perfekt zum hohen Energieumsatz in sehr schlanken Muskeln passt. Aicar „steigert die Mitochondrienzahl, also die Anzahl der Kraftwerke der Muskelzellen, und führt zu einem geringeren Fettaufbau“, erklärte noch vor Beginn der Tour der Kölner Dopinganalytiker Mario Thevis. Weil es noch keinen Test gibt, der die körpereigene Produktion von Aicar von der Zuführung des Mittels von außen unterscheiden kann, ist die Substanz derzeit nicht sanktionierbar. Gleiches galt vor 15 Jahren noch für Epo. Die 44 positiven Nachkontrollen der Tour von 1998 zeigen, mit welcher Chuzpe Radprofis damals durch die Maschen schlüpften.

„Chris hat ein großes Herz und riesige Lungen“, sagt der Trainer von Froome

„Wenn die Vergangenheit Gegenwart und Zukunft mitformt, dann ist es ganz natürlich, dass man Dopingfragen auch jetzt stellt“, gibt immerhin Froomes Teamchef Dave Brailsford zu. Auf der Suche nach alternativen Erklärungen dafür, warum Froome so gut sein kann wie die großen Doper vor ihm, gelangt man zum Training nach der „Reverse Periodization“-Methode, die der frühere Schwimmtrainer Tim Kerrison bei Sky einführte. Dabei werden zunächst große Kraftintensitäten trainiert. In der Folgezeit wird versucht, dieses Niveau über einen immer länger werdenden Zeitraum zu halten und die Ausdauer zu verbessern. Das könnte die frühen Saisonerfolge Froomes und seine gegenwärtige Überlegenheit erklären.

Brailsford weist zudem auf „genetische Vorteile“ Froomes und „Lernzuwächse“ beim Umgang mit diesen Vorteilen hin: „Chris hat ein großes Herz und riesige Lungen. Er hat sich früher sehr tief belastet und war deshalb auch oft kaputt. Diese Diskontinuitäten hat er abgestellt, als er sich an Bradley Wiggins orientierte. Der ist ein Meister des dosierten Krafteinsatzes. Und Froome hat dabei gemerkt, dass es so ja viel leichter geht.“

Ein weiterer Aspekt ist die Bilharziose, eine Parasitenkrankheit, die der „weiße Kenianer“ aus seiner afrikanischen Heimat mitgebracht hat. Sie lässt ausgerechnet die roten Blutkörperchen weniger werden, die den Sauerstoff transportieren. Die Krankheit kann rückwirkend für den Wechsel von mal erstaunlich guten und mal erstaunlich schlechten Leistungen Froomes in der Vergangenheit verantwortlich gemacht werden. Als sie 2010 diagnostiziert wurde, war das Erstaunen groß, dass Froome trotz dieser Beeinträchtigung überhaupt Profisportler sein konnte. Ihm wurde prophezeit: „Wenn du die Krankheit in den Griff kriegst, kannst du Toursieger werden.“

Einzuwenden ist: Genetische Vorteile wurden auch bei Jan Ullrich konstatiert. Die Überwindung einer Krankheit wurde auch bei dem vorher bekannten texanischen Radprofi Lance Armstrong als Erklärung für seinen Aufstieg präsentiert. Richtige Aufklärung würde allenfalls eine Untersuchung dessen bieten, was physiologisch im Körper des Christopher Froome vorgeht.

Gegenwärtig muss man entscheiden, ob man den Beteuerungen des Rennfahrers glaubt. Oder sein Urteil gegebenenfalls bis auf die Fertigstellung des Aicar-Tests verschieben.

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