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Reifer Ausreißer. Im September wird Jens Voigt 43 Jahre alt. Foto: AFP

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Tour de France: Jens Voigt: Die Reputation hält länger als die Form

Jens Voigt hat bei seiner 17. Teilnahme an der Tour de France zu kämpfen. Spätestens nach der Frankreich-Rundfahrt dürfte für den 42 Jahre alten Berliner Schluss sein. Oder etwa nicht?

Jens Voigt schreibt Radsportgeschichte. Der im Herbst seinen 43. Geburtstag feiernde Radprofi ist der älteste Mann im Feld. Mit seiner 17. Tour-Teilnahme schließt er auch auf zu den Rekordhaltern Georges Hincapie und Stuart O’Grady. Im Gegensatz zu diesen beiden hat Voigt die Hoch-Epo-Ära, die einen Großteil seiner Karriere beeinflusste, ohne positiven Test oder Geständnisse überstanden. Bei seiner definitiv letzten Frankreichrundfahrt spürt er das Alter.

Es gibt bei dieser Tour de France zwei Jens Voigts. Den einen sieht man morgens voller Tatendrang aus dem schwarzen Mannschaftsbus von Trek steigen und sich wie ein Jungprofi auf sein Rad schwingen. Fröhlich grüßt er nach links und rechts - Voigt ist beliebt im Fahrerlager und bei den Fans. Am späten Nachmittag erlebt man dann den anderen Voigt. Abgekämpft kommt er ins Ziel, oft erst eine Viertelstunde nach dem Sieger. Die Augen sind müde. Er spüre das Alter schon, gibt er zu. „Die letzten zwei Tage nach dem Ruhetag habe ich mich gefragt, ob wir wirklich unglaublich schnell gefahren sind und alle das gespürt haben, oder ob sich doch die 42 Jahre bemerkbar machen“, sagt er. Sein Sportlicher Leiter Kim Andersen glaubt an eine andere Ursache: „Am Anfang der Tour war Jens sehr stark. Jetzt leidet er unter der Hitze.“

17 Teilnahmen an der Tour - das haben vor Voigt erst zwei Sportler geschafft

Zu Beginn der Tour hat Voigt alle noch verblüfft. Auf der ersten Etappe ist er dem Feld davongefahren und hat sich vier Bergpunkte geholt, die am Ende des Tages für das Klettertrikot reichten. Ein schöner Coup, dem Voigt weitere folgen lassen wollte. „Ich schäme mich ja fast, es zu sagen, aber ich hatte auch an den anderen Tagen vor, einen Akzent zu setzen. Ich komme nur nicht weg!“, seufzt er, „ Ich bin nicht mehr ganz so stark wie früher.“

Da war er einer der Ausreißerkönige der Tour. 2001 etwa überquerte er nach mehr als 150 Kilometern Alleinfahrt vor dem Feld als Solist die weiße Linie in Sarran. „Das Schönste sind die letzten 30 Sekunden vor dem Zielstrich. Da fällt die ganze Anstrengung der Etappe von dir ab und dir schießt durch den Kopf, dass dies der Augenblick ist, für den du 20 Jahre lang trainiert hast“, sagt er.

Bei der aktuellen Tour, bei der es am Freitag in die Berge ging, wird ihm wohl ein Tagessieg versagt bleiben. Denn nach seinem Husarenstreich zu Beginn ist die Konkurrenz gewarnt. „Da fahren zwei Hanseln weg – und keiner zuckt. Hebe ich aber meinen Hintern, dann springen 50 Mann auf. Ich denke dann: ’Hey, Leute, ich bin 42, ich kann das sowieso nicht gewinnen’“, sagt Voigt. „Aber das ist die Reputation. Die hält länger als die Form.“

Und so muss der Routinier auf seiner letzten Tour nicht nur gegen Alter und Konkurrenz anfahren, sondern auch gegen das Bild, das seine Rivalen vom Rennfahrer Voigt noch in den Köpfen haben. Trösten mag ihn, dass sogar schon einmal ein 50-Jähriger die Tourstrapazen überstanden hat. Bei der allerersten Tour de France im Jahre 1904 kam Henri Paret nach 2428 km sogar auf Platz 11 an. Er ließ dann aber keine Wiederholung folgen. Auch der acht Jahre jüngere Voigt hat nun genug. Tom Mustroph

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