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Anja Mittag erzielte mehr als 100 Tore allein für Turbine Potsdam.

© Matthias Koch/Imago

Fußballerin Anja Mittag im Interview: „Turbines Kooperation mit Hertha halte ich für einen guten Weg“

Als eine der erfolgreichsten Fußballerinnen beendet Anja Mittag ihre Karriere. Ein Gespräch über ihre Zeit in Potsdam, große Spiele und einen besonderen Ball.

Anja Mittag, 35, war Olympiasiegerin, Welt- und dreimal Europameisterin. Sie hat 158 Länderspiele bestritten. Auf Vereinsebene hat sie mehr als ein Dutzend Titel geholt, darunter im Jahr 2010 die Champions League mit Turbine Potsdam. Mittag hat auch in Schweden und Frankreich gespielt. Nun ist sie Individualtrainerin beim Frauenteam von RB Leipzig.

Frau Mittag, Sie haben Ihre Profikarriere 2002 bei Turbine Potsdam begonnen. War der Frauenfußball vor fast zwei Jahrzehnten völlig anders als heute?
Zu Anfang hatten wir keine einheitliche Trainingskleidung. Da kam jede Spielerin, wie sie wollte. Eine im Dortmund-Trikot, eine in einem XL-Pullover …

Und Sie?
Das weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich in einem alten Trikot der Nachwuchsnationalmannschaft.

Was hat sich während Ihrer Karriere geändert?
Die Entwicklung war enorm. Alles ist viel professioneller geworden. Der Fußball ist inzwischen deutlich athletischer. Ernährungsberatung oder Verletzungsprophylaxe gab es früher nicht. Ich bin froh, dass ich das alles miterleben durfte. Trotzdem sehe ich auch noch Luft nach oben.

In welcher Hinsicht besonders?
Beispielsweise was die mediale Aufmerksamkeit angeht. Oder in Bezug auf finanzielle Faktoren. Wobei sich da gut was getan hat, wenn ich vergleiche, wie viel ich zu Anfang und wie viel im späteren Verlauf meiner Karriere bekommen habe.

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Sie haben in der vergangenen Saison in der Regionalliga für RB Leipzig gespielt. Mitte vergangener Woche haben Sie nun mitgeteilt, dass endgültig Schluss ist mit dem aktiven Fußball. Wo liegt der größte Unterschied, den Sie jetzt schon bemerken?
Ich kann nun fast alles selbst bestimmen. Wenn jemand fragt, ob ich Lust auf Fußballtennis habe, muss ich nicht mehr nachdenken: Passt das in den Trainingsplan? Bin ich müde? Habe ich muskuläre Probleme?

Der Entschluss aufzuhören, kam sicher nicht über Nacht.
Ich hatte den Gedanken in der Tat seit längerem. Es war vor allem eine Motivationsfrage. Die Entscheidung fühlt sich komplett richtig an.

Wenn Sie sich nur ein Spiel aus Ihrer Karriere komplett angucken könnten, welches wäre das?
Schwer.

Dann zwei.
Letztens hat das ZDF unser Olympiafinale von 2016 gezeigt. Das habe ich mir in voller Länge angesehen.

Deutschland hat 2:1 gegen Schweden gewonnen.
Das andere Spiel, das ich übrigens wirklich die ganze Zeit schon gucken will, finde ich nirgends: Das 1:0 im EM-Halbfinale 2013 in Schweden gegen Schweden, ein Spiel auf sehr hohem Niveau und ich habe zu der Zeit in Malmö gespielt.

Finden sich bei Ihnen zu Hause viele Erinnerungen an die Karriere?
Das meiste ist irgendwo verstaut. Aber zwei Sachen haben es in die Wohnung geschafft, die Goldmedaille von Olympia und der Spielball von meinem 150. Länderspiel. Das war in den USA.

Unvergesslicher Moment. Anja Mittag wurde 2007 Weltmeisterin mit Deutschland.

© Ulmer/Imago

Sie haben einmal gesagt, dass Sie gern mit einem Camper durch Europa fahren würden. Ist dafür jetzt Zeit?
Ich fange mit der Ostsee an. Meine früheren Mitspielerinnen Tabea Kemme und Josephine Henning, mit denen ich sehr gut befreundet bin, haben beide einen Camper.

Von Leipzig ist es nicht weit in Ihre Heimatstadt Chemnitz. Werden Sie es nun öfter nach Hause schaffen?
Bei meiner Familie war ich zuletzt schon oft. Ein Grund sind die Krautrouladen meiner Mutter. Die macht niemand besser als Mama.

Mit Josephine Henning haben Sie im Frühjahr den Podcast „Mittags bei Henning“ ins Leben gerufen.
Ich war mal Gast bei einem Podcast. Als ich danach herumgeschaut habe, ist mir aufgefallen, dass es wenig Frauen gibt, die über Fußball sprechen. Und ich habe kaum etwas zum Frauenfußball gefunden. Ich habe dann Josi gefragt, ob sie Bock hat. Wir haben großen Spaß daran.

Olympiasiegerin Tabea Kemme oder Weltmeisterin Lindsey Horan aus den USA waren bereits zu hören. Wen hätten Sie außerdem gern einmal als Gast?
Die Liste ist lang. Silvia Neid beispielsweise oder Serge Gnabry. Und ganz toll wären Toni und Felix Kroos, die einen gemeinsamen Podcast haben.

Ende August wollen Sie im Endspiel des Sachsenpokals mit RB gegen Phoenix Leipzig noch einmal auflaufen. Trainieren Sie vorher wieder?
Natürlich. Diesen Anspruch habe ich mir selbst gegenüber.

Fehlt Ihnen der Pokal in der Titelsammlung?
Nein, den habe ich schon mit Erzgebirge Aue gewonnen, vor sehr langer Zeit.

Sie waren bereits in der abgelaufenen Saison Individualtrainerin bei RB Leipzig. Da bleibt alles wie bisher?
Größtenteils. Ich möchte die Spielerinnen weiterentwickeln und biete verschiedene Dinge wie Torschussformen an. Während des Trainings kann ich das Trainerteam jetzt mehr unterstützen, da ich nicht mehr auf dem Platz stehe.

RB Leipzig ist kein normaler Zweitliga-Aufsteiger. Ist der Durchmarsch das Ziel?
Die Mannschaft ist sehr jung. Und wir werden nicht noch einmal eine 35 Jahre alte Anja Mittag holen (lacht). Unser Ziel ist erst einmal der Klassenerhalt.

Das klingt defensiv.
Das mag komisch klingen. Aber darum geht es zunächst. Um dann zu gucken, was möglich ist, und bestenfalls in der Saison danach den Aufstieg ins Visier zu nehmen.

Seit 2013 ist entweder der VfL Wolfsburg oder der FC Bayern Meister geworden. Sind diese Klubs dem Rest auf Dauer enteilt – oder nur, bis Leipzig kommt?
Bis Leipzig kommt (lacht). Im Ernst: Wolfsburg und die Bayern haben sicherlich einen Wettbewerbsvorteil. Sich ganz auf Fußball konzentrieren zu können, ist etwas anderes, als acht Stunden zu arbeiten und um 20 Uhr zu trainieren.

Bei RB Leipzig beendete Anja Mittag ihre Karriere im Juli 2020 - ein Spiel steht aber noch aus.

© Hartenfelser/Imago

Frauen-Bundesligisten unter dem Dach eines Männer-Bundesligisten, ist das in der Zukunft der Schlüssel zum Erfolg?
Langfristig wird das so sein, und es ist gut für den Frauenfußball. In England ist das längst Normalität. Ich hoffe aber, dass die reinen Frauenvereine nicht aus der Bundesliga verschwinden. Turbine Potsdam geht eine Kooperation mit Hertha BSC ein. Das halte ich für einen guten Weg.

Unabhängig von der Kooperation wird der ehemalige Hertha-Profi Sofian Chahed neuer Trainer bei Turbine.
In Schweden ist so etwas durchaus gängig. In Deutschland bisher nicht. Ich finde es super, dass ein früherer Profi Trainer bei einem Frauenteam wird.

Sie haben Turbines erfolgreichste Zeit miterlebt: Europacup-Triumphe, Meisterschaften, Pokalsiege. Ist das dauerhaft vorbei?
Ganz oben reinzukommen, wird immer schwerer. Aber Chancen, zu den ersten drei oder fünf zu gehören, sehe ich für Turbine immer. In Potsdam ist es für gegnerische Teams nie einfach. Dort existiert eine Fankultur, die es woanders so nicht gibt.

Wie sehr verfolgen Sie die Entwicklungen?
Von allen Vereinen habe ich dort am längsten gespielt, ich habe viele Freunde in Potsdam. Mein Herz wird auch immer für Turbine schlagen.

Sie haben in sechs Vereinen gespielt und dadurch einige Städte kennengelernt: Wo wohnt es sich am schönsten?
In Deutschland auf jeden Fall in Potsdam. Knapp dahinter kommt Leipzig.

Was macht Potsdam aus?
Die vielen Seen, die absolut tolle Innenstadt, die vielen schönen Gebäude und auch die Nähe zu Berlin machen Potsdam sehr lebenswert.

Ihr Favorit außerhalb Deutschlands?
Malmö. Und Schweden generell. Ich mag die Lebensqualität, das Essen und die Einstellung der Menschen dort.

Steht sportlich die Zeit bei Turbine Potsdam oder beim FC Rosengard in Malmö ganz oben?
Ich will nicht das eine über das andere stellen. Ich bin mit 17 zu Turbine gekommen, bin da erwachsen geworden, und wir haben sehr viele Erfolge zusammen gefeiert.

Im Jahr 2011 sind Sie trotzdem nach Schweden gewechselt.
Die Entscheidung war genau richtig, sportlich und auch menschlich. So habe ich mich in die Nationalmannschaft zurückgekämpft. Und ich habe die Sprache richtig gut gelernt.

Bei Turbine war Bernd Schröder fast zehn Jahre Ihr Trainer. Wie hat Sie das geprägt?
Das war eine harte Schule, nicht immer einfach. Unser Umgang war und ist bis heute respektvoll. Allerdings war es auch spannend, danach andere Trainerpersönlichkeiten zu erleben, mit flachen Hierarchien und einer anderen Mentalität.

Was wären Sie eigentlich geworden, wenn es als Fußballerin nicht geklappt hätte?
Ich hatte in der Zeit bei Erzgebirge Aue eine Ausbildung zur Bürokauffrau angefangen. Als ich gesagt habe, ich werde mal Profi, wurde ich belächelt. So nach dem Motto: Ja, ja, Anja, mach mal. Aber ich hatte mein Ziel stets vor Augen. Ich habe die Ausbildung abgebrochen, als ich zu Turbine gegangen bin. Da habe ich dann eine Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau absolviert. Ansonsten hätte es mich gereizt, Polizistin zu werden.

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