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Seinen ersten Kontakt mit Union hatte er beim Kirchentag 1987, auch der fand damals statt im Stadion An der Alten Försterei. Schon damals sei ihm der Klub aus Köpenick sympathisch gewesen.

© dpa

Unions Weihnachtssingen: Der Fußball als Ort der Wunder

Das Stadion an der Alten Försterei wurde zur Adventszeit in eine öffentliche Bedürfnisanstalt umfunktioniert. Unser Kolumnist Frank Willmann fragt sich deshalb, ob die Selbstreinigung des Weihnachtsfestes womöglich aus der Gemeinschaft der Fußballfans kommen kann?

Der Fußball ist vielen Menschen Religion. Dieser Umstand wird in zahllosen Fußballliedern besungen und ist als Statement Standard in den Kurven dieser Welt. Immer wenn die Weihnachtszeit naht, geht durch viele Erdenbürger ein merkwürdiger Schub. Sie stellen sich die Sinnfrage. Naturgemäß fällt es uns schwer, große Lebensfragen einfach zu beantworten. Wir gehen am liebsten den Pfad der Kompromisse. Dennoch sehnen sich viele Menschen gerade um die Weihnachtszeit nach einer großen, allumfassenden Idee, die ihnen Stütze im Leben ist.

Vor fast zehn Jahren hatten einige besinnliche Köpenicker Fußballfreunde eine solche Idee. Lasst uns ins Stadion unserer Herzen gehen, dort Weihnachtslieder singen und einer Weihnachtsgeschichte lauschen. Eine Weihnachtsgeschichte, die von einem pensionierten evangelischen Pfarrer vorgelesen wird! Beim ersten Mal erlebten das nicht einmal hundert rotweiße Union-Fans. Inzwischen sprengt die Zahl der Andächtigen beinahe die Stadionkapazität. Der Bedarf nach einem gemeinschaftlichen Weihnachtserlebnis ist unter Union-Fans riesig.

Das Stadion wurde also zur Weihnachtszeit in eine öffentliche Bedürfnisanstalt umfunktioniert. Der aktuelle Papst, der Katholiken oberster Ansager, forderte seine Schäfchen am 24.12. auf: "durch die glänzenden Fassaden dieser Zeit hindurchzuschauen bis zu dem Kind im Stall von Bethlehem, um so die wahre Freude und das wirkliche Licht zu erkennen".

Eine glasklare Allegorie zum freudvollen Tun der Köpenicker Fußballfreunde des 1. FC Union. Der Papst ist Union-Fan, anders kann ich mir das nicht erklären. Er muss in der Tiefe seiner Seele erkannt haben, was seit zehn Jahren immer mehr Berliner überzeugt. Nicht der schöne Mammon, die hysterische Schenkerei, die unseren Einzelhandel die Backen dick macht, ist der Sinn des Weihnachtsfestes. Es geht um einen höheren Geist. Der augenscheinlich im Fußball zu finden ist. Der Fußball als Sinnbild der Notdurft. Denn es ist blanke Not, die uns den Sinn im Fußball suchen lässt.

Indes etliche Zeitgenossen an der Existenz des Weihnachtsmannes schier verzweifeln, sich innerlich einen Platz auf einem Friedhöfe im oder wenigstens in Stadionnähe umschauen, eröffneten  sich für 18.000 sangesfreudige Union-Fans am 23. Dezember ganz andere, ja unversehrte Welten.

Die Alte Försterei ersetzt die geweihte Kirche

Schaut man sich die Gesichter auf den Fotos an, wird einem schnell klar: Die Leute meinen das ernst. Eine Aura umschließt die ergriffene Masse. Es klingt anachronistisch. Auch ein bissel heidnisch? Bei Kerzenschein, gewandet in die heiligen Farben ihres Klubs trinken sie zaghaft vom Glühwein. Und dann singen sie. Ohne Augenzwinkerei und Verarsche. Sie stehen im strahlenden Licht der Sieger und singen. Singen Weihnachtslieder. Zwischendurch wird ihr Club angefeuert, gepriesen sei der Club. Sogar drei Spieler sollen sich zum Mitsingen auf den Sportplatz verirrt haben.

Das heilige Stadion An der Alten Försterei ersetzt die geweihte Kirche samt althergebrachtem Gedöns. Kann die Selbstreinigung des Weihnachtsfestes aus der Gemeinschaft der Fußballfans kommen? Sind wir Zeugen der Geburt einer neuen Kirche? Zumindest Seat und die HOWOGE haben das Potenzial bereits erkannt, wie man der Pressemeldung des 1. FC Union zum Weihnachtssingen entnehmen kann.

Schaut der deutsche Michel ins weichende Jahr 2011, sieht er nichts als korrupte Politiker und wahnsinnige Raffkes. Dazu ist auch noch der Euro ein bisschen im Arsch. Das ganze deutsche Debakel garniert von einem Krieg in Afghanistan, der bereits 53 deutschen Soldaten und drei deutschen Polizisten das Leben gekostet hat.

Der 1. FC Union Berlin strahlt derweil unschuldig im Heiligenschein des Jahres. Unions Volkstribun und Fan-Präsident Dirk Zingler hat den Sackgang um seine Tätigkeit als Soldat des MfS-Wachregiments souverän abgeschüttelt. Er hat alles richtig gemacht. Letztlich war er nur eine geschmeidige Figur, ein klitzekleines Rädchen im DDR-System. Wie viele andere auch. Und er tat öffentlich Buße. Aus reuigen Sündern können veritable Heilige werden. Seht euch nur die Iglesia Maradoniana an.

Diego Armando Maradona ist ein echter Fußballgott. Mit echter Kirche!  Zu Lebzeiten! In Rosario, im fernen Argentinien, gibt es schon einige Zeit die Kirche des Maradona. Deren Mitgliedern ist Maradona heilig, sein Gottesname lautet D10S. In D10S finden wir das spanische Wort für Gott – Dios. Und die zehn, die heilige Rückennummer die Maradona jahrelang trug. Diverse Prediger halten die Kultstätte in Schuss. Fein herausgeputzt strömt die Schar der Gläubigen. Um so den Alltag hinter sich zu lassen? Der Fußball als Ort der Wunder, der Ekstase, der Erlösung. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Nein, nein. Für Immer!

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