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Praxis im Grunewald. Die Lehrgangsleiter und angehenden Schiedsrichter des Projekts „Fußball Grenzenlos“.

© Christopher Stolz

Projekt „Fußball Grenzenlos“ des BFV: Wie Geflüchtete in Berlin zu Schiedsrichtern ausgebildet werden

Bereits zum zweiten Mal lassen sich geflüchtete Menschen im Berliner Fußball zu Schiedsrichtern ausbilden. Sprachprobleme sind dabei kein Nachteil.

Keine 30 Sekunden sind gespielt auf dem Kunstrasenplatz im Grunewald. Abedaljawad Abedalrahman hat einem Spieler soeben die Gelbe Karte gezeigt, als Stefan Schumacher das Trainingsspiel unterbricht. „Die Körpersprache war gut – aber du bist zu nett“, sagt der Lehrgangsleiter.

Schumacher stellt sich direkt neben Abedalrahman und zeigt ihm mit entschlossener Gestik und Mimik, wie er seiner Entscheidung noch mehr Nachdruck verleihen kann. Mit knappen, unmissverständlichen Sätzen. Abedalrahman hört aufmerksam zu und nickt verständnisvoll. Wie auch die zwölf anderen Anwärter des Projekts „Fußball Grenzenlos“, die sich am kalten Dezemberabend zur Praxiseinheit beim Berliner SC zusammengefunden haben. Normalerweise gehört ein solcher Termin nicht zum Routineprogramm. Doch dieser Schiedsrichterlehrgang ist eben nicht normal.

Ende Januar sind die Schiedsrichter ausgebildet

Zum zweiten Mal nach dem Vorjahr bildet der Berliner Fußballverband (BFV) in dem Projekt geflüchtete Menschen als Schiedsrichter aus. An elf Terminen bringt Stefan Schumacher gemeinsam mit seinem Referenten Ülver Sava den Teilnehmern wichtige Regeln und Verhaltensweisen bei. Bis sie sich nach erfolgreicher Abschlussprüfung Ende Januar dann offiziell Schiedsrichter nennen dürften.

Die Idee dazu kam 2018 auf. Die Gründe dahinter sind der Wille des BFV, etwas für die Integration zu tun, und der Schiedsrichtermangel in Berlin. Viele unterklassige Spiele können nicht mit Schiedsrichtern besetzt werden – was auch mit den Gewaltauswüchsen auf den Amateurplätzen zu tun hat.

Davon will sich Abedaljawad Abedalrahman aber nicht beeinflussen lassen. Er hat sich dem Lehrgang aus einem ganz bestimmten Grund angeschlossen: „Weil ich die Gerechtigkeit liebe“, sagt der 24-Jährige aus Syrien. „Wenn ich Fußball gucke, gibt es immer viele falsche Entscheidungen – und ich möchte es einfach besser machen.“

Leiter und Anwärter. Stefan Schumacher (l.) neben Abedaljawad Abedalrahman.
Leiter und Anwärter. Stefan Schumacher (l.) neben Abedaljawad Abedalrahman.

© Christopher Stolz

Abedalrahman kam 2015 nach Deutschland. In Berlin wohnt er in Pankow und arbeitet in einer Firma, die Zuckerrohrsaft herstellt. In Syrien war er kein Schiedsrichter. „Das ist dort auch nicht in dem Maße möglich, wie in Deutschland. In Syrien gibt es nicht viel Interesse, Schiedsrichter zu werden“, sagt Abedalrahman.

Gerade deshalb ist er froh, nun die Möglichkeit dazu zu bekommen. Am Dezemberabend bekommen Abedalrahman und Co. schon mal einen genaueren Vorgeschmack darauf, was sie erwarten könnte. Das Ziel von Stefan Schumacher ist, einen typischen Spieltag zu simulieren und die Anwärter auf Routinen, die wichtig sind, vorzubereiten.

Der Sportplatz eignet sich ideal dazu, auch Dinge zu zeigen, die Schumacher nicht im Seminarraum in der BFV-Zentrale zeigen kann. Er simuliert mit den Teilnehmern die Begrüßung im Mittelkreis, den Anstoß, das Stellungsspiel. Doch ein Fußballspiel fängt für die Unparteiischen weit vor dem Anpfiff an. Von der Kommunikation über die Passkontrolle bis hin zur Platzbegehung müssen sie an vieles denken. Vieles, das für die Teilnehmer des Projektes „Fußball Grenzenlos“ nicht einfach umzusetzen ist.

BFV lässt Sprachniveau der Geflüchteten feststellen

„Die Neulinge wissen oft nicht, dass zum Schiedsrichtersein viel mehr als das Pfeifen gehört“, sagt Stefan Schumacher. Der 34-Jährige ist Hauptverantwortlicher der Schiedsrichter-Anfängerkurse beim BFV. Schumacher selbst ist seit 20 Jahren Schiedsrichter, pfeift in der Berlin-Liga sowie Futsal-Regionalliga. Da er den Kurs bereits zum zweiten Mal leitet, weiß er, dass sich bei den Geflüchteten, „die größten Schwierigkeiten bei administrativen Sachen ergeben“. Auch deshalb hatte der BFV frühzeitig das Sprachniveau der Teilnehmer feststellen lassen.

Die Geflüchteten haben ein gutes Sprachniveau, trotzdem ist während des Lehrgangs immer jemand dabei, der auf Arabisch übersetzt. Die Teilnehmer, deren Muttersprache Persisch ist, verstehen so gut Deutsch, dass sie keinen Übersetzer brauchen. Einer der Arabisch sprechenden Teilnehmer, auf den das auch zutrifft, ist Abedaljawad Abedalrahman.

„Das Deutsch im Lehrgang ist nicht schwer zu verstehen, ich brauche den Übersetzer nur selten“, sagt er. Für ihn ist klar, dass es nur möglich ist, Deutsch zu lernen, wenn man viel Kontakt mit Leuten hat, die Deutsch sprechen. Wie auf der Arbeit zum Beispiel. Oder eben womöglich bald als Schiedsrichter.

Im Deutschkurs habe er zwar viel gelernt. Doch es gibt dann doch einen Punkt, in dem ihm dieser nicht helfen konnte, bevor er zum Schiedsrichterlehrgang kam. Denn die fußballspezifischen Fachbegriffe sind ein ungewöhnlicher Teil der Sprache. Damit sich die Anwärter auch diese gut merken, haben sich die Übersetzer etwas einfallen lassen.

Theorie im Grunewald. Den Großteil der Ausbildung absolvieren die Geflüchteten in der BFV-Zentrale.
Theorie im Grunewald. Den Großteil der Ausbildung absolvieren die Geflüchteten in der BFV-Zentrale.

© Carsten Koall/dpa

Es ist nicht zwingend erforderlich, dass die Teilnehmer Deutsch sprechen, weil sie die Spielberichte beispielsweise auch auf Arabisch, Türkisch oder Persisch verfassen können – es gibt im Schiedsrichter-Ausschuss Mitglieder, die diese Sprachen sprechen. Und doch ist es wichtig, dass die Teilnehmer die teilweise abstrakten Begrifflichkeiten einmal gelernt haben. Zwar könnten die Übersetzer alles übersetzen, aber manche Wörter müssen die Teilnehmer auch auf Deutsch können, um bei Treffen der Lehrgemeinschaften beispielsweise folgen und sich austauschen zu können. Deshalb übersetzen sie manche Signalwörter nicht.

Überhaupt kommt den Übersetzern eine wichtige Rolle zu. Sie müssen Vertrauenspersonen der Lehrgangsleiter sein, weil diese ja nicht mitbekommen würden, wenn ein Übersetzungsfehler passiert. Stefan Schumacher legt die richtige Interpretation und Übermittlung gewisser Weise in fremde Hände.

Zwei dieser Hände gehören Mustafa Gumrok. Er ist Vorsitzender des FC Karame, einem migrantenlastigen Verein. Gumrok ist seit 1991 Mitglied des BFV, selbst aber kein Schiedsrichter. Für ihn ist klar: „Integration geht nur über Weiterbildung.“ Deshalb ist er begeistert vom Schiedsrichterlehrgang für Geflüchtete. So begeistert, dass er bereits im vergangenen Jahr vier angehende Schiedsrichter hinschickte. Einer von ihnen hat bis heute schon über 100 Spiele absolviert. Diesmal sind sogar fünf des FC Karame dabei. Einer von ihnen ist Abedaljawad Abedalrahman.

Seit 2016 gibt es Trainerlehrgänge für Geflüchtete

Es gibt bereits seit Ende 2016 Trainerlehrgänge für Geflüchtete. Dort hat der BFV dann erfahren, dass es auch Interesse daran gibt, Schiedsrichter zu werden. Die Vereine, die auch schon Mitglieder zu den Trainerlehrgängen geschickt haben, sind stark vertreten – so auch der FC Karame. Der BFV ist auch in Flüchtlingsunterkünfte gegangen, um potenzielle Schiedsrichter zu rekrutieren.

Für die Lehrgangsleiter ist der Kurs mit den Geflüchteten anstrengender als ein gewöhnlicher. „Der Lehrgang ist eine Herausforderung“, gibt Stefan Schumacher zu. Normalerweise gibt es bei Anfängerlehrgängen fünf Termine, diesmal sind es elf – aufgrund der Übersetzungen dauert es eben doppelt so lange. Es gibt einen genauen Plan, welche Regel wann im Laufe des Lehrgangs besprochen wird, es gibt auch Hausaufgaben für die Teilnehmer. Besprochen werden müssen natürlich auch organisatorische Punkte. In jedem der zwölf Bezirke gibt es eine Lehrgemeinschaft, Schulungen sind einmal pro Monat. Jeder Schiedsrichter muss fünf im Jahr besucht haben, um Spielklassen aufsteigen zu können.

Das ist auch das Ziel von Abedaljawad Abedalrahman. „Ich will nicht immer die gleiche Klasse pfeifen und ein bisschen Karriere machen. Ich kann nicht anfangen und das Ziel haben, in der untersten Liga pfeifen zu wollen“, sagt er. Und um nicht in der untersten Liga anzufangen, muss er seinen Paten überzeugen.

Gestik und Mimik. Stefan Schumacher macht aus den Geflüchteten Schiedsrichter.
Gestik und Mimik. Stefan Schumacher macht aus den Geflüchteten Schiedsrichter.

© Christopher Stolz

Die Paten, die den Schiedsrichter zugewiesen werden, kommen aus den Lehrgemeinschaften. Diese Paten sind erfahrene Schiedsrichter und begleiten die Neulinge in den ersten Spielen auf dem Platz. Nach mindestens drei bis zu fünf Spielen ist die Patenschaft beendet, der Pate schätzt den Neuling dann ein für die Spielklasseneinstufung.

Zu Beginn fangen die Schiedsrichter-Neulinge in den unteren Klassen an – dort, wo Gewalt gegen Schiedsrichter im Berliner Fußball am häufigsten vorkommt. Das haben auch die Geflüchteten mitbekommen. Bevor sie sich überhaupt entschieden, am Lehrgang teilzunehmen, wollten sie von Stefan Schumacher wissen, wie sie darauf vorbereitet werden.

Auch Abedaljawad Abedalrahman. „Ich denke, die Aufgabe als Schiedsrichter ist gut, aber natürlich nicht einfach. Es hängt immer davon ab, wie ein Spiel läuft und auch davon, wie die Spieler sind – ob sie Respekt haben vor dem Schiedsrichter“, sagt er. Angst davor, im Spiel angegangen zu werden, habe er aber nicht.

Nonverbale Kommunikation ist entscheidender als Sprache

Dass dieses Problem aufgrund der Sprachbarriere noch größer ist als ohnehin schon, glaubt Stefan Schumacher nicht. Für ihn ist die nonverbale Kommunikation entscheidender als die eigentliche Sprache. „Körpersprache hinterlässt mehr Eindruck als das gesprochene Wort“, sagt Schumacher. Auch im internationalen Fußball sprechen nicht alle perfekt Englisch – verständigen können sich Schiedsrichter und Spieler trotzdem. Nicht umsonst heißt ein Leitspruch, mit dem Schumacher im Lehrgang für einige Lacher sorgte: „Ein guter Schiedsrichter hört schlecht, aber sieht gut.“

Von großen Problemen der elf Schiedsrichter aus dem vergangenen Jahr kann Schumacher nicht berichten. Im Gegenteil. Es sei sogar von Vorteil, dass die Schiedsrichter manchmal nur Gestik und Mimik nachvollziehen können. Wenn sich ein Spieler aufbrausend verhält oder abwertend in die Richtung der Schiedsrichter, gibt es einfach eine Gelbe Karte.

Wie er diese ausspricht, hat Abedalrahman jetzt gelernt und will es schon bald in einem richtigen Spiel umsetzen. Entschlossen, unmissverständlich – und eben nicht mehr so nett.

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