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Christian Schmiedt hat im Boardercross bestmöglich Chancen auf die Top 4.

© imago images/Ralf Kuckuck

Deutscher Para-Snowboard-Trainer im Interview: „Wir versuchen alles im Team zu regeln und zu diskutieren“

Para-Snowboard-Trainer André Stötzer über sein Team aus drei jungen Vätern, die Konkurrenz aus anderen Ländern und die Chancen in Peking.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Herr Stötzer, als Para-Snowboard bei den Paralympics 2014 in Sotschi Premiere feierte, ging mit Stefan Löser ein geübter Leichtathlet für Deutschland an den Start. Wieso gab es keine Snowboard-Profis?

Tatsächlich war es so, dass Stefan Lösler erst sehr kurzfristig dazu kam. So nach dem Motto: Wäre doch auch ganz nett einen deutschen Snowboarder dabei zu haben. Er nahm spontan an einem Rennen teil, um sich zu qualifizieren. Der Deutsche Behindertensportverband war damals noch gar nicht im Bereich Snowboard aufgestellt. Erst 2018 habe ich dann wirklich das Team als Trainer ins Leben rufen können.

Wie hat das genau funktioniert, eine neue Sportart im Verband zu etablieren?

Das war ein sehr hoher, administrativer Aufwand, vor allem zu Beginn. Als der Prozess ein wenig ins Rollen kam war es sehr hilfreich, dass wir die bereits bestehenden Strukturen des DBS sowie der Landesverbände nutzen konnten. Die Snowboardverbände in Süddeutschland waren da sehr nützlich und wir konnten uns an den Strukturen im Ski Nordisch sowie Ski Alpin orientieren. So mussten wir das Rad nicht neu erfinden und konnten uns darauf konzentrieren, spezifische Modifikationen durchzuführen. Aber dennoch: Es war ein langwieriger Prozess.

Mussten Sie gegen alteingesessene Sportarten ankämpfen, als es um die finanzielle Unterstützung ging?

Ich hatte nicht das Gefühl, dass unter anderen Trainern die Angst aufkam, kürzer treten zu müssen. Dadurch dass Snowboard als neue Sportart eingeführt wurde, gab es ja auch neue Gelder. Anders hätte die Situation ausgesehen, wenn Snowboard als Unterkategorie eingegliedert worden wäre. Dann hätte man die Mittel tatsächlich umverteilen müssen.

Zu Beginn Ihrer damals ehrenamtlichen Tätigkeit fehlte jede finanzielle Unterstützung. Sie sagten 2015: „Erfolg ist auch mit geringen Mitteln möglich.“ Würden Sie dieses Statement sieben Jahre später so wiederholen?

Es ist natürlich nicht so, dass die Finanzen automatisch fließen. 2018 begann die Aufarbeit, ich plane da mit etwa sechs Jahren. Die ersten vier sind rum, und ich freue mich auf die weiteren zwei. Ich würde die Aussage aber weiterhin so unterschreiben. Es ist sicherlich möglich, viel herauszuholen. Letztendlich sind die Mittel in erster Linie das, was die Athletinnen und Ahleten mitbringen: Engagement und Vorkenntnisse der Sportler sind entscheidend.

Das deutsche Snowboard-Team für Peking besteht aus drei berufstätigen Amateuren, die alle gerade Vater geworden sind. Würden Sie die drei als Profisportler bezeichnen?

Meine Jungs sind auf jeden Fall Spitzensportler, auch wenn sie einen Hundert-Prozent-Job nebenher haben und sich nicht vollkommen auf den Sport fokussieren können. Die Vaterschaft macht das Training in keinem Fall flexibler, aber da wir alle im süddeutschen Raum oder in der Schweiz wohnen, lässt es sich mit Wochenendtrainings ganz gut handhaben. Allgemein würde ich als Profisportler bezeichnen, wer zu den Paralympics darf.

Wie gestaltet sich unter diesen Bedingungen die Trainingsplanung?

Zu Hause haben die drei alle Personal Training, sind im Fitnessstudio, machen Balance-Übungen und Snowboarden selbst ab und an. Vor der Saison schaffen wir es immer ein-zwei Trainings durchzuführen und anschließend zwischen den Wettkämpfen jeweils ein weiteres. Die Saison geht bei uns ab Oktober los und endet im April. Somit werden im Sommer Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft weiter trainiert. Auch auf dem Skateboard gibt es Übungen zu Körperstabilität und Balance. Natürlich trainieren wir am allerliebsten im Schnee auf der Crossstrecke, aber wenn wir hierfür nach Neuseeland reisen müssten, wäre das Budget auf einmal aufgebraucht.

Wie sieht das auf internationaler Ebene aus?

Das ist sehr länderspezifisch. Die USA ist da sicher ein Vorreiter und bietet zum Beispiel durch Renten bei Militärverletzungen finanzielle Sicherheit. Zudem gibt es viel mehr Angebote für den Breitensport, aus dem dann auch der Spitzensport wachsen kann. Aber auch andere Nationen, seien es die Chinesen, Japaner, Holländer, Franzosen, Italiener sind gut dabei. Es ist schwer zu sagen, wer hier die Top-Nation ist. Zumal es sehr von der individuellen Leistung abhängt. In Australien gibt es auch Snowboarder, die sich dank langjährigen Erfolgs selbst finanzieren können.  

Wie ist die Stimmung in der deutschen Mannschaft? Was zeichnet Ihre Gruppe aus?

Einer meiner drei Sportler meinte letztens im Interview, wir seien „ein cooler Haufen“. Das passt meiner Meinung nach sehr gut. Wir sind gut zusammengewachsen und es gibt kein Hierarchiegehabe. Auch wenn ich als Trainer Anweisungen gebe, versuchen wir alles im Team zu regeln und zu diskutieren. Das Feedback der Athleten spielt für mich eine enorm wertvolle Rolle.

Sie selbst sprachen kürzlich davon, dass „trotz meiner Erfahrungen auf dem Snowboard auch irgendwo Grenzen erreicht“ seien: „Irgendwann kann ich den Jungs nichts Neues mehr zeigen.“ Was bedeutet das für Ihre weitere Arbeit und für die nächsten Schritte im deutschen Para-Snowboardsport?

Wir müssen uns sicherlich weiterentwickeln. Dies ist weniger die Geschichte einer einzelnen Person, als vielmehr Teamarbeit. Hierbei sollten wir verstärkt in den Austausch treten, und ich würde mich freuen mehr KollegInnen hinzuziehen zu können.

Sie sind selbst als Orthopädietechniker tätig und stehen seit 20 Jahren auf dem Snowboard. Wie oft vermischen sich ihre Trainertätigkeiten mit der hauptberuflichen Profession?

Bei mir klappt das insgesamt ganz gut. Hier und da ist es hilfreich, dass ich die Kombination aus Snowboardfahrer und Techniker in mir trage – aber das ist keine Voraussetzung.

Wie schätzen Sie konkret die Chancen Ihrer Athleten in Peking ein?

Ganz gut. Chris (Christian Schmiedt, Anm. d. R.) hat im Boardercross bestmöglich Chancen auf die Top 4. In jedem Fall sehe ich ihn in den Top 8. Unter den Top 16 in beiden Disziplinen haben alle drei Chancen. Trotzdem bleibt es spannend. Das Feld ist leistungsmäßig sehr eng und im Boardercross weiß man nie, ob man vielleicht hinausgeschossen wird.

Wie genau funktioniert das System im Boardercross?

Das Rennen beginnt mit einer Startsektion mit kleinen Hindernissen und umfasst insgesamt eine Strecke von 1 km oder etwas mehr. Gestartet wird in Vierergruppen, aufgeteilt in Abhängigkeit des Abschneidens in den Qualifyern. Die besten 2 kommen jeweils in die nächste Runde. Es ist ein sehr spannendes Format, da die AthletInnen nicht nur gegen die Zeit sondern direkt gegeneinander antreten. Manchmal batteln sich auch die ersten zwei oder drei so sehr, dass der zunächst Letztplatzierte doch noch erster wird. Technisch ist es sicher die anspruchsvollere der beiden Disziplinen.

Welche ist die zweite Disziplin?

Banked Slalom ist eine Art breiter Slalom mit Stellen, an denen der Schnee jeweils aufgetürmt ist. Hier wird in zwei Rennen die Zeit gemessen und der bessere Durchlauf gewertet. Die Disziplin ist es schwieriger zu trainieren, da kaum in einem Skigebiet solch eine Strecke existiert. Meistens treten die AthletInnen dennoch in beiden Disziplinen an, das jeweils in drei verschiedenen Kategorien in Abhängigkeit davon wo eine Lähmung oder Amputation lokalisiert ist: obere Extremitäten, zwischen Knie und Hüfte oder unterhalb des Knies .

Lilith Diringer

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