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Staatsmann am Ball: Bastian Schweinsteiger im WM-Viertelfinale gegen Frankreich

© dpa

WM 2014 - Deutsche Nationalmannschaft: Bastian Schweinsteiger: In Ehren ergraut

Das Spiel von Bastian Schweinsteiger wirkt erhaben, unantastbar, dominant – wenn er fit ist.

Bastian Schweinsteiger tat das, was ein Spieler auf seiner Position tun sollte, bevor der Ball kommt. Er scannte die Umgebung, blickte einmal konzentriert nach links, drehte den Kopf und blickte konzentriert nach rechts. Bastian Schweinsteiger saß im Pressezelt der Nationalmannschaft in Santo André, es war Tag 29 der deutschen Fußballer auf der Insel an der Atlantikküste – und Schweinsteiger musste sich erst einmal ein Bild von der ungewohnten Umgebung machen. Der Münchner, 29 Jahre alt, 106 Länderspiele, Vizekapitän der Nationalmannschaft, gilt immer noch als Wortführer innerhalb des Teams, doch in der Öffentlichkeit ist zuletzt der Eindruck entstanden, als hätte er seine Stimme verloren. Vier Wochen hat Schweinsteiger geschwiegen. Bis zum gestrigen Sonntag.

Einmal, nach dem Vorrundenspiel gegen Ghana und seinem ersten Einsatz bei der Weltmeisterschaft in Brasilien, zog Schweinsteiger seinen Rollkoffer durch die Mixed-Zone, den offiziellen Kontakthof für Spieler und Journalisten. Einen Schritt hinter ihm lief sein Münchner Vereinskollege Mario Götze. Wann immer Schweinsteiger angesprochen wurde und fast unmerklich seinen Kopf schüttelte, konnte sich Götze ein schadenfrohes Lachen nicht verkneifen. Was ist los mit ihm, fragten sich die Journalisten: Hadert er mit seiner Rolle als Joker und Wackelkandidat? Ist er sauer auf die Medien? Fühlt er sich ungerecht behandelt? „Ich habe mich mehr darauf konzentriert, fit zu sein und gesund zu werden“, sagt Schweinsteiger nun also. „Ich bin nicht so der Freund von viel Drumherumreden. Ich sprech‘ die Dinge lieber intern an.“

Zehn Jahre ist es her, dass Schweinsteiger, damals noch in der Rolle des lustigen Schweini, sein erstes Turnier mit der Nationalmannschaft bestritten hat; zwei Jahre später, bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land, gab er mit seinem Kumpel Lukas Podolski das lustigste Duo des deutschen Fußballs seit den 74ern WM-Maskottchen Tip & Tap; doch während Podolski stets der alberne Poldi geblieben ist, der immer noch durch die Mixed-Zone läuft und bei Interviews seiner Kollegen wie ein Pferd wiehert, hat sich Schweinsteiger mehr und mehr mit einer Aura der Ernsthaftigkeit umgeben. Er ist gewissermaßen in Ehren ergraut.

Schweinsteiger hat sich mit einer Aura der Ernsthaftigkeit umgeben

Sein Imagewandel wird auch durch seine neue Rolle auf dem Platz unterstrichen. Aus dem Wusler von der Außenbahn ist der Stratege in der Mitte geworden. Schweinsteiger gefällt sich auch auf dem Feld als Staatsmann: erhaben, unantastbar, dominant – so ist sein Spiel in den guten Momenten. In den schlechten hingegen wirkt es inzwischen leicht ergraut. „Wir haben alle ein bisschen Farbe bekommen“, sagt Schweinsteiger über die vier Wochen in Brasilien. Doch ob die WM 2014 für ihn einmal bunt schillern oder in der Erinnerung eher grau daherkommen wird, das ist noch nicht abschließend geklärt.

„Es ist ideal für mich, so wie es gelaufen ist“, sagt Schweinsteiger selbst, der sich kurz vor Ende der Bundesligasaison am Knie verletzt und dadurch wesentliche Teile der Vorbereitung verpasst hatte. Im ersten Gruppenspiel gegen Portugal blieb Schweinsteiger 90 Minuten auf der Bank, im zweiten wurde er eingewechselt, im dritten und im Achtelfinale stand er in der Startelf und wurde später ausgewechselt – im Viertelfinale gegen Frankreich durfte er zum ersten Mal komplett durchspielen. „Ich fühle mich sehr gut“, sagt er. „Ich habe jetzt auf hohem Niveau viele Minuten gespielt.“

Die Deutung seiner Auftritte aber fällt immer noch zwiespältig aus. Die einen loben seine ordnende Hand so wie Torhüter Manuel Neuer, der nach dem Achtelfinale gegen Algerien befand: „Er hat Kontrolle in unser Spiel gebracht, den Rhythmus bestimmt.“ Die anderen vermissen die natürliche Präsenz im zentralen Mittelfeld, die seine Auftritte früher ausgezeichnet hat. Gegen Algerien gewann Schweinsteiger 31 Prozent seiner Zweikämpfe; gegen Frankreich waren es nur noch 14. Ganze 59 Mal war er im Viertelfinale am Ball. Auf diesen Wert kommt er in guten Spielen schon zur Pause.

Die Deutung seiner Auftritte fällt immer noch zwiespältig aus

Schweinsteiger hat selbst einmal gesagt: „Wenn ich körperlich völlig gesund bin, dann bin ich gut.“ Das aber ist er offensichtlich noch nicht. Bei seinem ersten WM-Einsatz stand er 25 Minuten auf dem Platz; danach sah er so aus, als hätte er einen Boxkampf über die volle Distanz hinter sich. Das Problem potenziert sich für die deutsche Mannschaft noch dadurch, dass sich sein Nebenmann Sami Khedira in einer ähnlichen Situation befindet. Auch er ist nach seiner langen Verletzungspause längst nicht auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit. Deshalb war es auch kein Zufall, dass das deutsche Mittelfeld gegen die Franzosen nie die Deutungshoheit über das Spiel erlangte.

Und trotzdem werden Khedira und Schweinsteiger wohl auch am Dienstag wieder gemeinsam die Doppel-Sechs bilden, wenn sie im Halbfinale auf den WM-Gastgeber treffen. Dass die Brasilianer dabei auf ihren verletzten Superstar Neymar verzichten müssen, hat Schweinsteiger glaubhaft bedauert. „In großen Spielen sollten alle großen Spieler auf dem Platz stehen“, sagte er. Es klang ein bisschen so, als spräche Bastian Schweinsteiger auch über sich selbst.

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