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Im Finale. Die deutsche Mannschaft hat erstmals seit 2002 wieder ein WM-Finale erreicht. Aus gutem Grund.

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WM 2014 - Fünf Gründe für den Erfolg: Warum Deutschland es ins WM-Finale geschafft hat

Mit dem Einzug der deutschen Mannschaft ins WM-Finale war nicht unbedingt zu rechnen. Nach Startschwierigkeiten brachten Änderungen die Wende. Wir haben uns die fünf Gründe für den Erfolg genauer angeschaut.

Zum achten Mal steht die deutsche Nationalmannschaft am Sonntag im Finale einer Weltmeisterschaft. Gemessen an den personellen Möglichkeiten des deutschen Fußballs ist das keine große Überraschung; gemessen an all den Problemen, die zu Beginn der Vorbereitung aufgetreten sind, musste der Weg der Nationalmannschaft nicht zwingend ins Maracana führen. Was also waren die Gründe für den Erfolg der Deutschen?

FITNESS

Die Laufleistung ist phänomenal. Zumindest hat Philipp Lahm diesen Eindruck gewonnen. Der Kapitän kann nur staunen, welche Strecke der Bundestrainer in den fünf Wochen in Santo André abgerissen hat. Fast jeden Tag, wenn der Morgen noch graut, hat sich Joachim Löw zu seinem persönlichen Workout an den Strand begeben. Die Bilder, die er von seinem joggenden Vorgesetzten gesehen hat, fand Lahm durchaus beeindruckend. Der Bundestrainer ist definitiv fit genug, um auch die letzte Strapaze bei dieser WM der Strapazen zu bewältigen. Die Mannschaft scheint das auch zu sein. Kein Team ist in Brasilien mehr gelaufen als das deutsche. In jedem ihrer sechs Spiele spulte die Nationalmannschaft mehr Kilometer ab als ihr Gegner.

Unter den zehn Spielern mit der höchsten Laufleistung in Brasilien sind vier Deutsche: Thomas Müller (68,8 Kilometer), Toni Kroos (68,3), Philipp Lahm (67,3) und Benedikt Höwedes (66,3). „Grundsätzlich wird es wichtig sein, dass man läuferisch an seine Grenzen geht“, sagt Müller auch mit Blick auf das Finale. Insgesamt kommen die Deutschen bisher auf 695,8 Kilometer; die Argentinier haben rund zwölf Kilometer weniger in den Knochen (683,5) – obwohl sie 30 Minuten mehr gespielt haben. Während die Nationalmannschaft nur einmal in die Verlängerung musste, hat es die Südamerikaner zweimal erwischt, zuletzt im Halbfinale. Dazu hatten die Deutschen nach ihrem Sieg gegen Brasilien einen Tag mehr Pause. „Das tut uns auch mal gut“, sagt Assistent Hans-Dieter Flick.

Fit, fitter, Kroos. Der deutsche Dauerläufer (li.) enteilt dem Brasilianer Fernandinho.
Fit, fitter, Kroos. Der deutsche Dauerläufer (li.) enteilt dem Brasilianer Fernandinho.

© Reuters

STANDARDS

Irgendwann in den nächsten Wochen wird Joachim Löw bluten müssen. Dann wird groß aufgetischt, und der Bundestrainer muss die Rechnung übernehmen. Zum ersten Mal hat der Bundestrainer eine Wette gegen seinen Assistenten Hansi Flick verloren, die er sonst immer gewonnen hat. Löw verfolgt eher den pessimistischen Ansatz, Flick hat sich – wider besseres Wissen eigentlich – als der ewige Optimist hervorgetan. Löw hat wie immer gewettet, dass die Deutschen im ganzen Turnier kein Tor nach Standards erzielen, Flick tapfer das Gegenteil behauptet. Bisher hat Löw seine Gewinnchancen immer dadurch deutlich erhöht, dass er Standards in der kompletten Vorbereitung so gut wie gar nicht hat trainieren lassen. Diesmal setzte sich Flick durch. Auf die Frage nach der Wette hat Löws Co-Trainer bereits nach dem ersten Spiel gegen Portugal geantwortet: „Die hat sich schon erledigt.“ Da hatte Mats Hummels nach einer Ecke von Toni Kroos für die Nationalmannschaft getroffen.

Standards sind eine alte Qualität der Deutschen, die bei der WM in Brasilien wieder neu entdeckt wurde und auf die Thomas Müller auch für das Finale setzt. Natürlich habe man einen Matchplan für das Spiel gegen die Argentinier. „Aber wenn der nicht hilft, machen wir halt ein Standardtor“, sagt Müller. „Da sind wir ja neuerdings die Könige.“ Mehr als ein Drittel ihrer Tore (sechs von siebzehn) sind mittelbar oder unmittelbar nach Ecken, Freistößen oder Elfmetern gefallen. Das ist im internationalen Fußball eine Art Standardwert, von dem die Nationalmannschaft unter Löw bisher allerdings nur träumen konnte.

Hohe Kunst. Mesut Özil (Mitte) bei einem Freistoß gegen Brasilien.
Hohe Kunst. Mesut Özil (Mitte) bei einem Freistoß gegen Brasilien.

© AFP

Zum ersten Mal in seiner Amtszeit als Bundestrainer hat Löw Standards als wichtigen Bestandteil in seinen Lehrplan aufgenommen. „Da steckt wirklich viel Arbeit hinter“, sagt Miroslav Klose, der sein erstes Tor gegen Ghana selbst in der Folge einer Ecke erzielt hat. Das 1:0 im Viertelfinale gegen Frankreich (Hummels) fiel ebenso nach einem Standard wie das 1:0 im Halbfinale gegen Brasilien (Müller). „Das ist definitiv eine Waffe“, sagt Höwedes. Wie effektiv diese Waffe sein kann, haben die Deutschen selbst vor vier Jahren leidvoll erfahren müssen, als sie das WM-Halbfinale gegen Spanien durch ein Eckballtor von Carles Puyol verloren.

TEAMGEIST

Das Campo Bahia ist erst seit fünf Wochen in Betrieb, doch schon jetzt gibt es konkrete Pläne für eine umfangreiche Erweiterung. Wie man hört, hat der Betreiber bereits die beiden Nachbargrundstücke erworben, nachdem sich das Lager der deutschen Mannschaft als deutlich zu eng herausgestellt hat. Das liegt an einem zusätzlichen Gast, der sich im Campo häuslich eingerichtet hat. „Der Teamgeist ist einfach da“, hat Miroslav Klose berichtet. Nicht nur das: Der Teamgeist hat sich regelrecht breit gemacht.

In den vergangenen Wochen hat es kaum einen Tag gegeben, an dem die Nationalspieler und/oder die sportliche Leistung nicht auf den besonderen Teamgeist in ihrem Camp verwiesen haben. Die fast schon penetrante Erwähnung hätte einen fast stutzig machen müssen. Doch anders als bei der EM 2012, als der tolle Teamgeist wohl doch nicht so toll gewesen ist, entsprechen die Berichte diesmal offensichtlich der Wahrheit. Und dafür ist auch die Location direkt am Strand verantwortlich, um die es vor dem Turnier so viele Debatten gab. „Wir haben ein Camp gefunden, was uns sehr positiv beeinflusst“, sagt Joachim Löw. An Annehmlichkeiten hat es deutschen Nationalspielern traditionell noch nie gefehlt. Das Campo aber scheint alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt zu haben – auch im internationalen Vergleich. Miroslav Klose hat während des Turniers Fotos von seinen Mannschaftskollegen bei Lazio Rom zugeschickt bekommen: „So schön wie bei uns war’s bei denen nicht.“

ERSATZBANK

Vor dem ersten WM-Spiel hat der Bundestrainer den Begriff von den Spezialkräften in seinem Kader geprägt. Früher hat man ganz profan von Ersatzspielern gesprochen, bei Stürmern gerne auch von Jokern. Löw aber liebt es in diesen Tagen ein bisschen martialischer. Allerdings hat sich seine schnelle Eingreiftruppe im Laufe der WM mehr oder weniger als Ein-Mann-Unternehmen herausgestellt. Im Grunde ist nur André Schürrle als Spezialkraft den Anforderungen des Bundestrainers vollauf gerecht geworden. In fünf von sechs Spielen wurde er eingewechselt, trotzdem ist er mit drei Toren zweitbester Schütze der Deutschen in Brasilien – und bester Joker der WM. „Man hat in jedem Spiel gesehen, dass die Einwechselspieler noch etwas Schwung gebracht haben“, sagt Bastian Schweinsteiger.

Reiche Bank. André Schürrle (l.) trifft regelmäßig nach seiner Einwechslung.
Reiche Bank. André Schürrle (l.) trifft regelmäßig nach seiner Einwechslung.

© dpa

Mindestens ebenso wichtig für das Gemeinwohl ist das Verhalten jener Spieler, die gerne Spezialkräfte wären, es aber nicht sein dürfen. In dieser Hinsicht profitieren die Deutschen von der Struktur in ihrem Kader. Die Positionen 15 bis 21 sind mit meist jungen, meist unerfahrenen Spielern besetzt, die froh sind, überhaupt in Brasilien dabei zu sein. Das gilt selbst für Kevin Großkreutz. Der könnte von seiner Vita andere Ansprüche stellen, will aber nach seinen Verfehlungen vor dem Turnier mit aller Macht beweisen, dass er auch brav sein kann. Das ist anders als vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft, als ein Riss durch den Kader ging. Bastian Schweinsteiger hat später geklagt, dass auf der Ersatzbank nicht immer ungeteilte Freude herrschte, wenn die Mannschaft ein Tor erzielt hatte. „Jetzt spürt man noch mehr den positiven Teamgeist“, sagt er. „Da ist keiner sauer, wenn er auf der Bank sitzt.“

Schön flexibel. Joachim Löw (l.) hat in Brasilien auf die Bedingungen vor Ort reagiert.
Schön flexibel. Joachim Löw (l.) hat in Brasilien auf die Bedingungen vor Ort reagiert.

© dpa

TRAINER

Ein guter Trainer ist ein Mann mit Prinzipien und einer klaren Linie. Ein sehr guter Trainer ist ein Mann, der weiß, wann er mit seinen Prinzipien brechen und von seiner Linie abweichen muss. Vielleicht wird man später einmal sagen, dass die WM in Brasilien das Turnier war, bei dem Joachim Löw von einem guten zu einen sehr guten Trainer geworden ist – weil er flexibel auf alle Herausforderungen reagiert hat. Mit Blick auf den Gesamterfolg ist er von seinem Primat des schönen Spiels abgewichen – zugunsten einer neuen Körperlichkeit. Genauso wenig dogmatisch hat Löw nach langen Debatten Philipp Lahm doch wieder in die Viererkette versetzt und aus dem neuen 4-3-3-System das gewohnte 4-2-3-1 gemacht. Das alles hat der Mannschaft gut getan. Dass Löw nun bei seinen Kritikern als Umfaller dasteht – geschenkt. Im anderen Fall hätte man ihm Sturheit vorgeworfen.

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