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WM 2014 - Kritik an der Fifa: Die Inszenierung der Mannschaftsaufstellungen

Die Mannschaftsaufstellungen im Fernsehen kommen bei dieser WM als Einspielfilm daher. Die Spieler sollen wie Gladiatoren wirken. Stattdessen erwecken sie Gefühle zwischen Scham und Mitleid.

Wäre der Schauspieler Klaus Kinski nicht bereits 1991 von uns gegangen, hätte er bei der Weltmeisterschaft in Brasilien sicherlich Fifa-Berater werden können: ein im weißen Anzug durchs Land rennender Spiritus Rector, vor dem das Publikum sich lustvoll fürchtet. Der den brennenden Laden im Griff hat. Nicht nur die ihm eigene Hybris hätte ihn für ein solches Amt prädestiniert. Er wusste unter anderem auch sehr genau, wie man megalomane Bauprojekte im Dschungel zu einer kathartischen Notwendigkeit erklärt, brütende Hitze und kleinkarierte Kritik von Leuten wie Ottmar Hitzfeld einfach weglacht. „Ich werde Berge versetzen“, ließ er zu Lebzeiten beinah täglich wissen. Es war gewissermaßen sein Frühsport. Und niemand hätte ihm je widersprochen. Kein Fußballtrainer, kein Journalist und auch kein Berg.

Ein Stadion in Manaus für 206 Millionen Euro, das nach ein paar Spielen kein Mensch mehr braucht, weil der lokale Fußballverein bloß in der fünften brasilianischen Liga herumdümpelt? Ein Pappenstiel! Als „Fitzcarraldo“ plante Klaus Kinski im gleichnamigen Spielfilm von 1982 sogar, eine Oper am Ufer des Amazonas zu errichten – und ließ zu deren Finanzierung einen Flussdampfer über eine bewaldete Anhöhe ziehen, mit dem er Kautschuk im großen Stile zu transportieren gedachte. „Die Eroberung des Nutzlosen“, nannte sein kongenialer Regisseur Werner Herzog das irrsinnige Unterfangen, das ja tatsächlich ins Bild gesetzt wurde. Ein derart entwaffnender Slogan ist den Fifa-Baulöwen für ihre Arena da Amazonia leider nicht eingefallen.

Alles auf Geheiß der Fifa

Noch dringender hätten allerdings die Athleten diesen genialischen Kinski gebraucht. Als Schauspiellehrer nämlich. Lektion 1: die Kinski’sche Schraube. Wie dreht man sich ins Bild, ohne wie ein zufällig vorbeikommender Tourist dazustehen, der einfach mitten in die Dreharbeiten hineingelatscht ist? Auf Geheiß der Fifa und ihrer inszenierungswütigen Regisseure mussten sich die Fußballer im Vorfeld des Turniers für zwei Sekunden filmen lassen, bewegte Porträtaufnahmen moderner Gladiatoren sollten es wohl werden. Sie drehten sich nach links, noch in der Drehung verschränkten sie die Arme vor der Brust und versuchten angestrengt, möglichst heldenhaft dreinzuschauen. So werden sie uns nun schon seit Anbeginn dieser WM jeweils nach den Nationalhymnen präsentiert, zweimal elf Männer – die aber gar nicht rüberkommen wie grimmige Berufskämpfer, sondern ... anders. Ganz anders. Peinlich berührend anders zumeist.

Manche, etwa Joe Hart (England), sehen aus wie zwölfjährige Mädchen, wenn sie festgestellt haben, dass ihre Mütter in ihren Tagebüchern rumgeschnüffelt haben: enttäuscht, beleidigt, konsterniert und wütend darüber, dass sie noch nicht so erwachsen sind, wie sie sich fühlen. „Menno!“, wollen sie noch rufen, aber da sind sie schon nicht mehr im Bild. Manche, etwa Shinji Okazaki (Japan), sehen aus wie ebenjene Mütter, wenn man sie frei heraus gefragt hat, ob sie denn in letzter Zeit ein bisschen Gewicht zugelegt hätten. Manche, etwa Kyle Beckerman (USA), sehen aus, als wären sie soeben wegen Tierquälerei verhaftet worden. Manche, etwa Luka Modric (Kroatien), sehen aus wie das Tier, das gequält wurde.

All diese Laiendarsteller haben gemein, dass ihnen offenbar nicht viel Zeit blieb, für ihren kurzen Auftritt zu üben. Sie fesseln sich selbst mit ihren Armen und können sich innerhalb der ihnen zur Verfügung stehenden zwei Sekunden auch nicht mehr befreien (Oscar Duarte, Costa Rica). Sie wissen nicht, wo sie ihre Hände lassen sollen (Ioannis Maniatis, Griechenland) oder verstecken sie lieber gleich schamhaft in den Achselhöhlen (erstaunlicherweise fast alle Spieler Kolumbiens). In ihrer existenziellen Alleingelassenheit schmusen nicht wenige mit sich selbst wie Kwado Asamoah (Ghana) oder verfallen einfach in Duldungsstarre wie Aurelien Chedjou (Kamerun): Er schaut nur tieftraurig in die Kamera und scheint uns WM-Zuschauer zu fragen: „Habt ihr das wirklich gewollt?“

Robben in Kinski'schen Sphären

Natürlich nicht. Uns hätte ein Passfoto gereicht, ruhig mit dem gewinnenden Charme des Desolaten. Wie bei den Panini-Bildchen der achtziger Jahre: hier ein Schnauzbart, da ein Schielen oder eine Warze auf der Wange. Allzu schön sind wir ja selber auch nicht, also was soll’s denn?

Aber wenn man uns schon diese Armeverschränkungsfilmchen zumuten muss, dann doch bitte in professioneller Ausführung – und das geht eben nur mit erwähnter Schraube, die einst Klaus Kinski erfand: Er positionierte sich gleich neben der Kamera, drehte sich dann aus dem Off geradezu erschreckend plötzlich ins Bild und war einfach da – sein Gesicht in der Totalen. Bezwingende Präsenz. Ein kühner, durchaus angsteinflößender Heros, wie die Fifa ihn wohl gern gesehen hätte.

Der einzige von insgesamt 736 WM-Spielern, der in Kinski’sche Sphären vordringt, ist übrigens Arjen Robben. Ein ausgewiesener Schauspieler, wie seine Gegner wissen. Und nicht zuletzt einer, der so unermüdlich durch die brasilianische Hitze rennt, dass man ihm ohne Weiteres zutrauen würde, nach dem Abpfiff des siegreichen Finales noch schnell einen Flussdampfer über eine bewaldete Anhöhe zu ziehen. Ein Mann, der Berge versetzen kann. Und weiß, wie man seine Arme verschränkt.

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