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Hatten schon in der Vorrunde das Vergnügen: Trent Alexander-Arnold (l.) und Marouane Fellaini.

© AFP

WM-Finale: Den Franzosen geht es nur ums Nichtverlieren

Wer Drama sucht, sollte das Finale gucken. Fans des schönen Fußball schauen dann allerdings in die Röhre. Ihnen bleibt nur das Spiel um Platz drei.

Man nehme eine große Fußballnation, die an den Glanz vergangener Tage anknüpfen will. Dazu ein bedeutend kleineres Land als Herausforderer, das mit einer goldenen Spielergeneration nach dem größten aller Titel greift. Fertig ist das perfekte WM-Finale. Was auf Frankreich und Kroatien zutrifft, hätte allerdings auch für England und Belgien gegolten. Stattdessen stehen sich die Vorrundengegner der Gruppe G im Spiel um Platz drei gegenüber. Ein Spiel, das unterhaltsamer werden könnte als das eigentliche Endspiel.

„Es ist schade für den Fußball, dass Belgien nicht gewonnen hat“, monierte Chelsea-Torhüter Thibaut Courtois die defensive Ausrichtung der Franzosen und erhielt Beistand von seinem Kapitän Eden Hazard: „Ich verliere lieber mit der Spielweise Belgiens, als mit der von Frankreich zu gewinnen.“ Nun sind zwei enttäuschte Belgier, interviewt unmittelbar nach der Halbfinalniederlage gegen besagte Franzosen, nicht gerade der Inbegriff von Objektivität. Entsprechend leicht fällt es, ihre Aussagen als Klagelieder eines schlechten Verlierers abzutun. Doch bei näherer Betrachtung spielen „Les Bleus“ tatsächlich alles andere als ein weltmeisterliches Turnier. Frankreich, immerhin mit dem wertvollsten Kader der WM nach Russland gereist, erzielte in der Vorrunde ganze drei Treffer. Einer davon ein Elfmeter, ein weiterer ein Eigentor. Mit Italien 1982 kommt nur ein Weltmeister auf weniger Tore in einer Gruppenphase mit drei Partien. Der dritte Treffer gelang den Franzosen übrigens gegen die fußballerische Großmacht aus Peru. Wohlgemerkt durch einen abgefälschten Schuss von Olivier Giroud, der seinem Sturmpartner Kylian Mbappe vor die Füße fiel. Die Südamerikaner hatten in dieser Begegnung mehr Ballbesitz (57 Prozent) und spielten nicht nur mehr (513 zu 396), sondern auch genauere Pässe (81 Prozent Passgenauigkeit zu 77 Prozent) als die Mannschaft von Didier Deschamps.

Am sportlichen Tiefpunkt der Weltmeisterschaft waren die Franzosen ebenfalls beteiligt. Das einzige 0:0 dieses Turniers war eine französisch-dänische Koproduktion mit dem Arbeitstitel „Lustloses Ballgeschiebe zweier Mannschaften, denen ein Unentschieden zum Weiterkommen reicht“. Zwar wäre es unfair, Frankreichs bisher bestes WM-Spiel, das furiose 4:3 im Achtelfinale gegen Argentinien, in der Gesamtbetrachtung zu unterschlagen. Dennoch bleibt insgesamt der Eindruck einer Mannschaft, die sich im Wissen um ihre individuelle Klasse gegen spielerischen Glanz und für defensive Stabilität entschieden hat. Daran ist nichts verwerflich. Solange am Ende des Turniers der zweite WM-Titel nach 1998 steht, wird den französischen Fans die Art und Weise herzlich egal sein. Eine Bringschuld gegenüber dem neutralen Zuschauer gibt es ohnehin nicht.

Entsprechend sollte das Publikum jedoch damit rechnen, dass für die Franzosen im Finale das Nicht-Verlieren erst recht an erster Stelle steht. Schließlich droht die zweite Endspielpleite in Folge nach dem Finale der EM 2016. Schon damals hatte sich eine Mannschaft, von der viele Experten geglaubt hatten, sie könne es eigentlich besser, mit zynischem Pragmatismus zum Titel gemauert. Es scheint, als hätte sich die Équipe Tricolore stilistisch vom Verhinderungsfußball der Portugiesen inspirieren lassen. Lediglich eines von sieben EM-Spielen hatte Portugal in der regulären Spielzeit gewinnen können – das Halbfinale gegen Wales. Immerhin sind das „nur“ zwei Siege weniger, als der andere Teilnehmer dieses WM-Finals in 90 Minuten auf sich vereint. Hatte Kroatien in der Vorrunde noch mit einer weißen Weste geglänzt, so mussten nach der Vorrunde zwei Elfmeterschießen und eine Verlängerung herhalten. Die Kroaten fremdelten gegen Dänemark, Russland und England lange Zeit mit ihrer Favoritenrolle und taten sich schwer, spielerische Lösungen zu finden.

Der Finaleinzug von Mandzukic & Co. ist vor allem ein Triumph der Moral. In allen drei K.o.-Spielen geriet Kroatien in Rückstand. Bloß stehen die Vorzeichen für ein spielerisch hochwertiges Endspiel im Moskauer Luschniki-Stadion statistisch gesehen eben nicht sonderlich gut. Überhaupt fielen in den letzten drei WM-Finals gerade einmal zwei Tore in der regulären Spielzeit. Beide beim 1:1 zwischen Frankreich und Italien im Sommer 2006. 2010 und 2014 ging es jeweils torlos in die Verlängerung. Ganz anders dagegen die Spiele um Platz drei: Zwölf Tore waren es allein in den letzten drei Partien um WM-Bronze. Losgelöst von der Fallhöhe und dem Versagensdruck eines Endspiels, können die Verlierer der beiden Halbfinals – im Wissen um die eigentliche Nichtigkeit des dritten Platzes – unbeschwert aufspielen. Die Partie muss sich nicht dem höheren Zweck des Titelgewinns unterwerfen, sondern ist einzig und allein sich selbst verpflichtet. L'art pour l'art, Fußball um des Fußballs willen. In einem Sport, in dem der Leistungsgedanke immer weiter ausgereizt wird, bietet das „kleine Finale“ eine willkommene Chance zur Rückbesinnung auf die Tugend des schönen Spiels.

Dem haben sich vor allem die Belgier mit einer bewundernswerten Kompromisslosigkeit verschrieben, die beim 2:1-Viertelfinalsieg gegen Brasilien in den besten 90 Minuten dieses Turniers kulminierte. Wird diese Art des Spielens auch nicht mit dem Titel belohnt, so hat sie doch zumindest heute Abend die Aufmerksamkeit des Zuschauers verdient. Kann er sich davon freimachen, am Ende eines Spiels einen (ekstatischen) Gewinner und einen (untröstlichen) Verlierer haben zu müssen, darf er sich auf eine Begegnung der beiden erfolgreichsten Offensiven der WM freuen, die in erster Linie das verspricht, was den Fußball sehenswert macht: Tore.

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