zum Hauptinhalt
Esmeralda Encarnacion Despiau (links) schwimmt eine Extrarunde mit Sara Ghandoura.

© IMAGO/GEPA pictures

Sportgeist bei den Special Olympics World Games: Die schönste Extrarunde der Welt

Eine Schwimmerin aus Saudi Arabien beendet das Rennen zu früh. Ihre Nebenfrau aus Puerto-Rico hängt nach der eigenen Zielankunft noch zwei Bahnen mit ihr zusammen dran.

Von Max Fluder

Der Geruch des Chlors beißt in die Nase. Ein bisschen schwindelerregend ist er schon, aber die Schwimmer*innen bei den Weltspielen von Special Olympics scheint es nicht weiter zu stören. Und die Fans erst recht nicht. Sie tanzen und toben, rufen die Namen der Athlet*innen und klatschen. Besonders übermütige Fans aus Ungarn stürmen gar die Pressetribüne und schreien: „Hungaria! Hungaria! Hugaria!“ Die Sicht von hier aus ist einfach besser. Vorschriften? Sind in diesem Fall anscheinend egal.

Es ist Sonntag, der erste Wettkampftag in der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE). In der Halle ist es warm und feucht, wie nach einem Gewitter im Hochsommer. Doch die Blitze bleiben natürlich aus, stattdessen entladen sich im Takt der Wettkämpfe immer Jubelstürme. Jede*r Athlet*in wird mit Applaus begrüßt – und nach dem Rennen mit einem mindestens genauso großen Applaus überhäuft. Ganz egal, ob die 400 Meter im Wasser in sechs, sieben oder 13 Minuten zurückgelegt wurden. Die Fans tragen die Viertel- und Halbfinals, die als Klassifierzung dienen, mindestens genauso wie die Sportler*innen.

„Die Stimmung ist traumhaft“, sagt Amy Foster, die Mutter einer Athletin. „Amazing“, „fantastic“, das sind die Worte, die die Britin nutzt. Ausdrücke der Begeisterung. Man unterhält sich mit ihr am Bockwurst- und Getränkestand. Ihre Tochter, Charlotte Foster, muss heute zweimal ins Wasser: Gegen Mittag über 25 Meter Freistil und am Nachmittag über 25 Meter Rücken.

Amy Foster ist zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Mann aus Blackpool angereist, einer Stadt an der Nordwestküste von England, ganz in der Nähe von Manchester. Sie freut sich hier zu sein, sagt sie. Und sie freut sich, ihre Tochter anfeuern zu können.

Ein Meisterwerk der Nail Art

Dem Anlass entsprechend ist sie gekleidet: Foster trägt ein T-Shirt des TeamGB, die Kurzform für Team Großbritannien. Ihre Fingernägel hat Foster in den Farben der britischen Flagge angemalt, auf einem Nagel ist die Flagge selbst feinsäuberlich draufzusehen. Ein Meisterwerk der Nail Art. Foster geht mit einer Cola und einem Wasser zurück zu den Rängen, wo sie mit anderen Fans wieder in den Jubel einstimmt. Im Rang neben ihr hat jemand eine Tröte dabei und hört nicht auf, sie zu nutzen.

Es hat seinen Grund, dass das Publikum im SSE so gut drauf ist: In einer sehr warmen Umgebung, auf sehr engen Tribünen stehen die Fans. Viele Freunde*innen und Familienmitglieder sind hier, aber auch ein paar Berliner*innen, die sich das Spektakel anschauen. Das Becken wird bei den Weltspielen einmal halbiert, auf 25 statt 50 Meter Länge. Daher ballen sich auch die Zuschauenden auf nur wenige Quadratmeter. Die gute Stimmung, sie wird regelrecht potenziert. Von Dienstag bis Freitag stehen hier die Finale an, wahrscheinlich wird es dann noch intensiver.

Vielleicht lässt sich die Atmosphäre am besten daran zeigen, wie sehr das Publikum nicht sportlichen Erfolg, sondern Sportgeist gutheißt. 100 Meter Freistil der Frauen, Viertelfinale. Die Schwimmerin Sara Ghandoura aus Saudi Arabien denkt, sie habe bereits nach 50 Metern – also nach zwei von insgesamt vier Bahnen – das Ende des Rennens erreicht.

Es ist ein grober Schnitzer. Bis die Puerto-Ricanerin Esmeralda Encarnacion Despiau auf der Bahn nebenan ihr Rennen nach vier Bahnen als Zweite tatsächlich abschließt – und gemeinsam mit Ghandoura noch deren verbleibende 50 Meter schwimmt. Als die beiden merklich erschöpft das Becken verlassen, ist der Jubel an diesem Sonntag am größten.

Ein kleiner Junge, acht Jahre alt, beobachtet das Spektakel aus der Ferne. Er hat es irgendwie auf die Pressetribüne geschafft. „Der Platz war frei und da habe ich ihn mir genommen“, sagt er auf Englisch. Besser so, als dass der Sitz verkommt. Wen er anfeuert? Niemand, ist seine Antwort. Aber er klatscht für alle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false