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Das Dorf Lehde ist auf Wasserwegen deutlich leichter erreichbar als über Land.

© Stefan Jacobs

Herbst: Alles Kahn, nichts muss

Das Städtchen Lübbenau kann glänzen - mit seinem Schloss. Und es ist reich. An Fließen, Kähnen, Spezialitätenläden. Ein Rundgang lohnt sich. Oder besser gleich eine Paddeltour.

Wer Brandenburg ein bisschen kennt, denkt beim ersten Besuch in Lübbenau zuerst: na ja - und dann: aha, womöglich sogar: oho. Denn wenn man die übliche Baumarkt- und Bahnhofsödnis hinter sich gelassen hat, winken hier echte Kapitäne an den Straßenecken. Und das sogar werktags mitten im Herbst, wenn die Wiesen noch unter dem Raureif der Nacht schlafen und der gemeine Berliner sich einbildet, er sei der Einzige mit diesem kühnen Plan. Der Plan ist, das Städtchen und den Spreewald jenseits der Hauptsaison zu entdecken. Allerdings nicht in Obhut eines Kapitäns, der mit Wolldecken und geistreichen Getränken um Passagiere für seinen Kahn wirbt. Nein, reglos frieren können wir im Winter noch genug. Wir wollen uns bewegen und selbst den Hut aufhaben - und dieses einmalige Gewirr aus Fließen und Inseln vom Paddelboot aus entdecken.

Doch erst soll die goldene Oktobersonne Land und Leute auftauen. Zeit also, das Städtchen Lübbenau zu entdecken, das eher wie ein in die Breite gegangenes und um eine Etage aufgestocktes Dorf wirkt: Bei den 13 000 Einwohnern sind die aus den eingemeindeten Nachbarorten schon mitgezählt. Das Zentrum um die barocke Nikolaikirche am kleinen Marktplatz leuchtet in den freundlichen Tönen des Aufschwungs Ost. Fachwerk trifft Lehm, süddeutsch üppige Blumenkästen zieren manche Fensterbretter, und vor einem Restaurant trägt sogar der Wein, der an - leider unerreichbar hoch gespannten - Drähten über dem Gehweg rankt. Die Tourismus-Info ist ebenso gut bestückt wie besucht. Elf Flyer weisen den Weg durch elf Viertel. Was bedrohlich nach wund gelaufenen Hacken klingt, sind in Wahrheit höchstens ein paar Quersträßchen. So sind es bis zum „Gurkenviertel“ kaum drei Gehminuten. Es beginnt am Spreewald-Museum im backsteinernen Torbogen-Haus, das seit seinem Bau um 1850 schon Rathaus, Gericht und Gefängnis war. Jetzt führt eine Straße durch, wo einst ein Fließ verlief.

Das Schloss Lübbenau befindet sich wieder in Familienbesitz - als Hotel.
Das Schloss Lübbenau befindet sich wieder in Familienbesitz - als Hotel.

© Stefan Jacobs

Ein ebenso kurzer Weg führt zur „kleinsten Brauerei im Land Brandenburg“. Gebraut wird hier seit 1670 und seit 1928 von Familie Babben. Nur an diesem Tag erst ab 16 Uhr, sodass wir weiterspazieren, an den freundlichen Stahlfiguren des 2008 gestorbenen Rathenower Bildhauers Volker-Michael Roth vorbei: ein Angler auf dem mit Kürbissen dekorierten Geländer am Fließ und an der Kirche ein Spreewälder Sagenbrunnen mit Schlangen- und Baumkönig sowie „Lutken“, bei denen es sich um lokale Zwerge handeln soll. Jedenfalls um Einheimische; das Wort kommt aus dem Sorbischen und bedeutet „Leutchen“.

Die nicht ganz so kleinen Leute trifft man eher am Schloss. 1621 erwarben die Grafen zu Lynar das Lübbenauer Land. Ab 1817 ließen sie das vorherige Renaissanceschloss praktisch neu bauen. Zeitgemäß sollte es sein, also frühklassizistisch mit zwei rechtwinklig zueinander stehenden Flügeln, die die Strahlen der Herbstsonne einfangen im offenen Hof. Zeitgemäß ist das Schloss auch jetzt wieder geworden: Nachdem es von den Nazis okkupiert - Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar wurde als Mitverschwörer nach dem Attentat auf Hitler 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet - und 1945 unter der Parole „Junkerland in Bauernhand“ enteignet worden war, entging es nach einem Intermezzo als Behelfskrankenhaus und Kinderkurheim in den 1970ern nur knapp dem Abriss. Ein Ende als künstlicher Rodelberg - man kann es sich kaum mehr vorstellen, wenn man heute zwischen holzvertäfelten Säulen und der dezent verzierten Eingangstür steht, deren Klinke sich Respekt einflößend auf Stirnhöhe befindet.

Die staatliche Förderung der Datenverarbeitung rettete das Schloss als Schulungszentrum dieser Branche über die DDR-Zeit. Nach der Wende erhielten die Lynars ihr Schloss zurück und nahmen die Herausforderung an, die der vom Sozialismus gezeichnete vierstöckige Bau mit den beiden mittigen Türmen nun bedeutete - persönlich, aber auch finanziell. So entstand ein Vier-Sterne-Hotel, auf dessen original erhaltener hölzerner Freitreppe Birgit Tanner herbeigeeilt kommt. Eine aufrichtige Freundlichkeit umgibt die Hotelchefin, während sie die neueste Errungenschaft des Hauses zeigt: einen dritten Flügel, den die Grafen in geduldigen Gesprächen mit dem Denkmalschutz aushandeln konnten. Er besteht aus nur einer hohen Etage, die mit ihren bodentiefen Rundbogenfenstern einerseits selbstverständlich und andererseits dezent wirkt. Mit diesem gerade erst fertiggestellten Anbau hat das Haus endlich den Saal, der ihm bisher für große Feiern und Tagungen fehlte.

Wo Wasser ist, darf Fisch nicht fehlen - Stadtbild von Lübbenau.
Wo Wasser ist, darf Fisch nicht fehlen - Stadtbild von Lübbenau.

© Stefan Jacobs

An der einzigen fensterlosen Seite klafft noch ein etwa fünf mal fünf Meter großer offener Rahmen. „Da kommt ein reproduziertes Hammer-Aquarell hin“, sagt Birgit Tanner. Christian Gottlob Hammer hat das Schloss, als es neu war, aus vielen Perspektiven gemalt. Seine Bilder sind ebenso erhalten geblieben wie viele Schätze der Lynars. Nach Haupthaus, Marstall und Orangerie soll später auch das Kanzleigebäude hergerichtet werden - zum Familienmuseum. „Dort sollen all die Fragen beantwortet werden, die uns unsere Gäste so stellen“, sagt Birgit Tanner. Und wie bestellt läuft hinter ihr ein freundlich blickender Mann vorbei, den die Aura eines Adligen umgibt. „Das war übrigens Graf zu Lynar, unser Geschäftsführer“, sagt die Hotelchefin lächelnd. Rochus Graf zu Lynar lebt ebenso wie seine weit gereisten Eltern Beatrix und Guido längst selbst in Lübbenau.

Rochus sei der Stratege, Beatrix die Spezialistin für die Inneneinrichtung und die Farbtupfer im Haus, erzählt Birgit Tanner. Aus ihren langen Jahren in Portugal hat die Gräfin die typischen blau bemalten Fliesen nach Lübbenau geholt, die an warme Urlaubstage erinnern und den Wellnessbereich sowie viele Bäder im Hotel zieren. Die Innenräume vom Marstall und dem neuen Flügel hat die Gräfin komplett selbst gestaltet - vom Parkett über Stuckleisten und Beleuchtung bis zu den Stühlen. Mit Anfang siebzig betreibt sie außerdem ein Einrichtungsgeschäft, das an den wenigen Metern zwischen Schlossinsel und Stadtkern liegt.

Dort zieht es uns jetzt wieder hin - wohl wissend, dass wir noch einmal ins Schloss zurückkehren werden. Denn im Restaurant „Linari“ - so hießen die Lynars, als sie im 17. Jahrhundert aus Italien herkamen - ist Fischzeit. Die gehört zu den herbstlichen Traditionen des Spreewaldes: Wenn die Teiche abgelassen werden, bieten viele Restaurants Menüs aus heimischem Fisch mit originellen Zutaten. Doch Karpfenfilet im Bierteig und mit Flusskrebsen plus Muscheln gefüllte Ofenforelle wollen erarbeit sein. Zeit für die Paddeltour; noch wärmt die Sonne.

Es gibt ein halbes Dutzend Bootsverleihe in Lübbenau. Der Weg zu ihnen führt die Dammstraße entlang, an der erst richtig klar wird, dass dieser Ort kein gewöhnlicher ist. Entlang der Straße ballen sich die Spezialitätenläden: Leinöl, Meerrettich und Gurken sind angesagt. Und hinter den Läden ist Wasser. Das Revier der winkenden Kapitäne, von denen viele inzwischen losgestakt sind ins Reich der tausend Fließe. Doch noch mehr der flachen, fast rechteckigen Kähne sind unter Planen eingemottet. So bleibt mehr Platz zum Paddeln, was durchaus ein Argument für die Nebensaison ist.

Still gleitet der dunkelgrüne Kajak durch den Südumfluter, der den Oberspreewald nach unten hin begrenzt. Querverbindungen, die oft nur wenig breiter sind als ein Paddel, führen ins Herz des Biosphärenreservats. Ihr Wasser ist klar genug, um in vielleicht einem Meter Tiefe den Grund zu sehen, ihre Namen sind so fremd wie die Landschaft: Uska Luke. Wolschina. Moorige Tschummi. Da werden die „Lutken“ nicht weit sein, zumal es ihnen hier gefallen dürfte: Unzugängliches Dickicht wuchert an vielen Ufern. Dazwischen Kürbis- und Gurkenfelder sowie lichter Wald, aus dem die ersten trockenen Blätter ins Wasser taumeln.

Lehde ist Touristenmagnet, Fußgängerzone und Wassersportrevier.
Lehde ist Touristenmagnet, Fußgängerzone und Wassersportrevier.

© Stefan Jacobs

Doch was wie Urwald scheint, lichtet sich schon nach kurzer Fahrt zu einem Dorf: Lehde. Das zweisprachige Ortseingangsschild steht am Ufer vor einem dieser klischeeschönen Spreewald-Heuschober. Im Ort gelten Durchfahrtsbeschränkungen für Sportboote, damit in der Stoßzeit kein Verkehrschaos entsteht: Von 11 bis 16 Uhr dürfen auf manchen Fließen nur Kähne durch dieses Freilichtmuseum mit reetgedeckten dunklen Holzhäusern, vor denen Kürbisse und Maiskolben in der Sonne leuchten. Jedes Grundstück hat eine Parkbucht für den Kahn; viele sind nur auf dem Wasserweg und über hölzerne Fußgängerbrücken erreichbar. Die Briefkästen stehen für den Postkahn gut erreichbar am Ufer. Am Ortsrand ankert der Wertstoffsammelkahn. Restmüll- und Feuerwehrkahn sind ebenso vorhanden wie ein extrabreiter Pontonkahn mit Auffahrrampe für Baufahrzeuge. Für Sperrgut wie Rinder und Heuberge werden zwei Kähne nebeneinandergebunden, aber deren Kapitäne sollten sich gut auskennen, denn die Fließe sind schmal. Am Freilandmuseum gibt es einen Paddelbootparkplatz. Zeit für einen Kaffee und einen Blick ins Spreewälder Leben des 19. Jahrhunderts. Waschtrog und Spinnrad sind plausibel in dieser Umgebung. Wäre der Satz nicht schon so verschlissen, möchte man sagen, die Zeit sei stehen geblieben in diesem Inselreich. Zumindest ist sie angehalten worden: Das ganze Dorf steht unter Denkmalschutz. Ein Touristenrummelplatz, ja. Aber wenigstens ist er echt.

Wenn Lehde einen Nachteil hat, dann ist es der allzu kurze Rückweg nach Lübbenau. Die Detailkarte vom Verleih, die man als Neuling besser nicht über Bord wehen lässt, verzeichnet ein Wasserwegenetz, das für eine Woche reichen dürfte. Der Verleiher hatte außerdem davon gesprochen, dass man in fünf Tagen nach Berlin paddeln könne; das entsprechende Angebot werde zunehmend nachgefragt. Allerdings hat er in unserem Fall die Rechnung ohne Bierteigwels und Krebsmuschelforelle gemacht, die uns im Schloss erwarten. Und wenn erst wieder Reif auf den dunklen Wiesen liegt, sind wir bei den Pinguinen ohnehin besser aufgehoben. Im Bad Spreewelten, wo man neben den fischigen Vögeln schwimmen kann, ist es auch an kalten Herbstabenden schön warm. luebbenau-spreewald.com, www.spreewald-lehde.de

Eines der vielen Wassergrundstücke in Lehde. Auf den meisten stehen solche reetgedeckten Holzhäuser.
Eines der vielen Wassergrundstücke in Lehde. Auf den meisten stehen solche reetgedeckten Holzhäuser.

© Stefan Jacobs

In der Umgebung

Freizeit

Salzgrotte im Spreewald. Entspannung zwischen Stalagmiten und Stalaktiten: Auf einer Liege, eingekuschelt in eine warme Decke, kann man in einer aus Meer- und Himalayasalz gestalteten Grotte ein wenig den Alltag hinter sich lassen. Eine Sitzung dauert 45 Minuten und kostet neun Euro. Lübbenau, Ehm-Welk-Straße 21,  Tel. (03542) 939 97 24, www.salzgrotte-im-spreewald.de

Kultur

Fischzeit im Spreewald. Im Oktober laden Gasthäuser und touristische Anbieter in Lübbenau, Lübben und Burg dazu ein, mehr über den Spreewälder Fisch zu erfahren. Dabei kann man einem Fischer beim morgendlichen Fang über die Schulter schauen und so die Traditionen des örtlichen Fischfangs kennenlernen. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche kulturelle und kulinarische Angebote rund um Karpfen, Aal, Zander und Hecht. Termine für die Fischzeit 2016 finden sich ab April unter: luebbenau-spreewald.com

Essen & Trinken

Gasthaus Bubkow-Mühle. Gemütliches und rustikales Restaurant mit eigenem Bootsanleger und Kahnabfahrtsstelle vor der Haustür. Hier gibt es frische Fischgerichte wie gedünstetes Zanderfilet in Spreewaldsoße oder geräucherte Forelle. Einfache Kost, dafür regional und frisch, wie die Küche verspricht. Die Fleischgerichte stammen aus eigener Schlachtung. Lübbenau, Dubkowmühle 1, Tel. (03542) 22 97, www.dubkow-muehle.de

Gasthaus Kaupen No. 6. Die Gaststätte auf einer Insel mitten im Spreewald war bis zum Jahr 2000 nur über den Wasserweg zu erreichen. Heute führt ein schmaler Wiesenweg über vier Brücken vom Ortseingang Lehde zu dem Lokal mit Spielplatz. Auf der Speisekarte steht traditionelle Spreewaldkost, zum Beispiel Rindfleisch mit Meerrettichsoße, Grützwurst mit Kartoffelpüree oder gedünstetes Zanderfilet in Spreewälder Sahnesoße. Lübbenau OT Lehde,  Tel. (03542) 478 97, www.kaupen6.de

Übernachten

Kanu-Bike Hostel/Bootsverleih Richter. Ein Kanuverleih in dem man auch übernachten kann? Gibt's! Die Herberge verfügt über sechs Hostel-Doppelzimmer mit Etagenduschen sowie zwei Apartments mit Doppelbett und eigenem Bad. Mit einem gemieteten Kanu kann man in wenigen Stunden zum Spreewalddorf Lehde paddeln. Lübbenau, Dammstraße 75,  Tel. (03542) 37 64, www.bootsverleih-richter.de

Spree Chalet. Übernachten im historischen Ambiente: In dem denkmalgeschützten und sanierten Bau aus dem Jahr 1903 befinden sich mehrere voll ausgestattete und mit Antiquitäten eingerichtete Apartments. Zu der gepflegten Anlage gehören außerdem eine ehemalige Limonadenbrauerei mit Ferienwohnungen sowie ein Innenhof und Garten. Fahrradverleih und Abholservice werden ebenfalls angeboten. Lübbenau, Dammstraße 18, Tel. (03542) 939 07 40, www.spree-chalet.de

Viele weitere Tipps für Ausflüge nach Brandenburg finden Sie in unserem Magazin „Tagesspiegel Brandenburg“.

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