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Der Wahlkreis Pankow besteht aus dem eher bürgerlich geprägten Altbezirk Pankow, dem einstigen Arbeiter- und Oppositionsbezirk Prenzlauer Berg sowie Weißensee.

© picture alliance / ZB/euroluftbi

Update

Berlins Wahlkreis Pankow: Offenes Rennen im Boom-Bezirk

Vier Kandidaten rechnen sich noch Siegchancen in Berlins größtem Wahlkreis aus. Pankow verändert sich so stark und rasant wie kaum ein anderer. Ein Wahlkreis geprägt von "Yuppies", Alteingesessenen und einem Kopf-an-Kopf-Rennen.

Neulich in Prenzlauer Berg. Auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz drängeln sich Touristen und viele wohlsituiert aussehende Anwohner, ein Gastronom preist sein „Yuppie-Menu“ an: Eine mit Blattgold verzierte Currywurst samt Trüffel-Pommes und Sekt für 15 Euro. Das verkauft sich ganz ordentlich, sagt er. Ein paar Ecken weiter erzählt kurz darauf eine junge Krankenschwester, die gerade am Wahlstand der Linkspartei eine Broschüre mitgenommen hat, wie sie in letzter Zeit finanziell kaum noch über die Runden kommt. Die steigenden Mieten machten ihr zu schaffen in diesem Viertel, das in den vergangenen Jahren neben Kreativen und Nachtschwärmern zunehmend auch junge Familien und Gutverdiener angezogen hat. Wen sie wählt? Die Linke, sagt sie – auch „wegen dem Gysi“.

In Berlins größtem Wahlkreis Pankow mit seinen gut 370 000 Einwohnern, von dem Prenzlauer Berg im Süden der wohl bekannteste und am stärksten von Zuzüglern geprägte Ortsteil ist, stoßen die wirtschaftlichen und politischen Kontraste aufeinander. Ausgangslage für ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem sich gleich vier Direktkandidaten Chancen ausrechnen, die auf unterschiedliche Weise diesen Wahlkreis repräsentieren, der mit Ausnahme von Prenzlauer Berg-Ost mit dem Bezirk Pankow identisch ist.

Die besten Jahre der Linken scheinen vorbei zu sein

„Das ist einer der spannendsten Wahlkreise des Landes“, sagt Stefan Liebich von der Linkspartei, während er vor dem Bahnhof Schönhauser Allee Passanten Infoblätter mit seinem Konterfei zusteckt. Aus dem Mund des freundlich-routinierten Bundestagsabgeordneten klingt das gleichermaßen aufregend wie für ihn bedrohlich: Gut möglich, dass er am 22. September der politische Verlierer der sozialen Veränderungen in seinem Wohnbezirk ist. Der einstige Landesvorsitzende seiner Partei gewann 2009 überraschend den zuvor von Wolfgang Thierse gehaltenen Wahlkreis mit 28,8 Prozent der Stimmen und hat seitdem im Bundestag vor allem die Außenpolitik im Blick.

Damit ist vielleicht bald Schluss, auch wenn der 40-Jährige neben seiner Direktkandidatur auf dem Listenplatz vier seiner Partei gesetzt ist. Um damit ins Parlament zu kommen, braucht die Linke in Berlin rund 15 Prozent der Wählerstimmen. Das könnte sie laut manchen Prognosen knapp verpassen.

Im Wahlkreis scheinen die besten Jahre der Linken vorbei zu sein. „Gerade in Prenzlauer Berg können sich viele unserer Stammwähler die Mieten nicht mehr leisten“, sagt Liebich. Davon profitieren vor allem die Grünen, aber auch die SPD sowie in Maßen die CDU, die zudem in den bürgerlicheren Vierteln im Norden Aufwind spürt – auch wenn dort die Linke nach wie vor ebenfalls eine ihrer Hochburgen verortet.

Der Wahldienstleister Election.de sah Liebich vorübergehend an zweiter Stelle, seinen Herausforderer Klaus Mindrup von der SPD an erster und Andreas Otto von den Grünen auf dem dritten Platz – allerdings mit knappem Abstand. Und zuletzt schob sich Liebich bei Election.de sogar wieder an die Spitze. Es ist also noch alles offen. Dazu kommt der CDU-Kandidat Lars Zimmermann (38), dessen Partei bei der vorigen Bundestagswahl zumindest bei den Zweitstimmen nur einen Prozentpunkt hinter der SPD und 2,6 hinter den Grünen lag – und dieses Mal wegen der gewachsenen Zustimmung zu Merkel zulegen dürfte.

Zimmermann sieht Pankow als „Potenzialbezirk“, tritt als Vertreter des liberalen CDU-Flügels auf und will vor allem bei Wählern punkten, denen Bildung und Kitas wichtig sind, sich aber auch für Gründer einsetzen. Derzeit sucht der aus dem Ruhrgebiet stammende und fast jugendlich wirkende Quereinsteiger hier eine Wohnung, noch lebt er in Charlottenburg. In Sachen Bekanntheit und Verwurzelung im Wahlkreis kann es der Zuzügler, der eine politische Stiftung leitet, natürlich nicht mit der Konkurrenz aufnehmen.

Andreas Otto repräsentiert die SED-kritischen Alteingesessenen

Vor allem nicht mit Andreas Otto. Der lebt seit 1985 mit seiner Familie hier, kommt aus der DDR- Bürgerrechtsbewegung und repräsentiert einerseits die SED-kritischen Alteingesessenen, die die Veränderungen des Bezirks seit DDR-Zeiten erlebt haben. Angesprochen auf Wolfgang Thierse, sagt Otto: „Ich bin ihm wohl am ähnlichsten.“

Andererseits spricht der 51-Jährige auch Zugezogene an, die sich mit grünen Idealen identifizieren. Seit 1990 macht er hier Politik für die Grünen, erst in der BVV, seit 2006 als direkt gewähltes Mitglied des Abgeordnetenhauses. Zuvor war er Geschäftsführer der Robert-Havemann-Gesellschaft, die das Erbe der DDR-Bürgerbewegung verwaltet. Seine Leidenschaft ist die Wohnungspolitik, der er sich auch im Bundestag widmen möchte – das große Thema im südlichen Teil des Bezirks. Im Norden hingegen bewege die Menschen vor allem der Fluglärm von Tegel, der wegen der Verzögerungen beim BER bislang nicht wie erhofft aufgehört hat, sagt er – eine Steilvorlage für Otto, der sich im BER- Ausschuss des Abgeordnetenhauses als Kritiker des Senats und der Flughafenführung profiliert hat. Da er auf dem aussichtsreichen Listenplatz 4 seiner Partei abgesichert ist, stehen die Chancen gut, dass Otto ins Reichstagsgebäude einzieht.

Dort dürfte er auf Klaus Mindrup treffen, seinen Konkurrenten ums Direktmandat, der ebenfalls auf dem als sicher geltenden Listenplatz vier der SPD steht. Dennoch will auch er direkt gewinnen – schon deswegen, weil unsicher ist, ob die SPD überhaupt einen Wahlkreis holt. „Hier haben wir großes Potenzial“, sagt der in Westfalen geborene Mindrup beim Treffen im SPD-Wahlkreisbüro unweit der Schönhauser Allee und zeigt auf eine Karte an der Wand, auf der markiert ist, wo Erst- und Zweitstimmen zuletzt besonders weit auseinanderlagen. An der Wand hinter ihm lehnt ein Stapel SPD-Plakate. Deren Slogan findet man so ähnlich bei Linken und Grünen: „Für bezahlbares Wohnen in Berlin.“

Die SPD will Ex-Wähler zurückgewinnen

Der 49-jährige Projektsteuerer und sein Team konzentrieren sich vor allem auf jene Viertel, in denen die SPD schon mal stärker war und will Ex-Wähler zurückgewinnen. Zwar wohnt der studierte Biologe und Energiefachmann noch nicht so lange im Bezirk wie Otto, aber durch sein Engagement als Bezirksverordneter seit 2001 ist Mindrup hier politisch ebenfalls gut vernetzt. Mit seinem Fokus auf Wohnungs- und Energiepolitik will er gezielt rot-grüne Wechselwähler ansprechen. Seit 1995 lebt er in einem Selbstbau-Genossenschaftshaus in der angesagten Oderberger Straße und repräsentiert so auch persönlich einen wichtigen Aspekt der sozialen Veränderungen im Bezirk. Seine Wahlkampf-Postkarte zeigt ihn grün eingefärbt im Pop-Art-Stil, darunter der Slogan: „Für Rot-Grün im Bund!“

Zumindest räumlich hat Mindrup Mandatsinhaber Liebich bereits beerbt: Das SPD-Wahlkreisbüro befindet sich in derselben Ladenwohnung, in der zuvor die Linke saß, bevor sie wegen parteiinterner Umstrukturierungen neue Räume in Wedding bezog. Bis heute klopfen Bürger an, die eine Sozialberatung der Linken wollen, erzählt Mindrup lachend. „Die machen wir dann.“

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