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Entwicklung: Schön gemacht, Potsdam

Rasante Entwicklung: Von der "Jammerhauptstadt des Ostens" wurde Potsdam in den vergangenen Jahren zum Lieblingswohnsitz der Prominenz.

Potsdam - Da sitzen sie im Rathaus, das schwarz gefärbte Haar glänzend, die derben Stiefel geputzt. In einer Lippe glitzert ein silberner Piercing-Schmuck. Die drei jungen Potsdamer wollen wissen, wie es mit ihrem Kulturzentrum weitergeht. Das „Archiv“ hat jahrelang autonom existiert, ein Treffpunkt der alternativen Szene. Doch Ende 2009 soll es schließen, weil Brandschutzmängel nicht behoben werden. Die Sanierung des verfallenen Hauses kostet mehr, als die jungen Leute haben. Umziehen können sie nicht. Es gibt keine leeren Häuser mehr in Potsdam, die dazu einladen würden, sie in Besitz zu nehmen. Was noch nicht saniert ist, wartet nur darauf.

Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall ist Potsdam eine Stadt auf der Überholspur. Der Osten entvölkert sich vielerorts, doch hier wächst die Zahl der Einwohner schneller, als Kindertagesstätten gebaut werden können. Allein dreißig wurden seit 2002 neu eröffnet. 152 000 Menschen leben in Potsdam, gut 40 000 sind aus Berlin und den alten Bundesländern zugezogen. Schon seit Jahren wohnen hier Prominente wie TV-Moderator Günther Jauch, Model Nadja Auermann oder Modeschöpfer Wolfgang Joop, der aus Hamburg in seine Geburtsstadt zurückkehrte.

Mit Neu-Bürgern wie „FAZ“-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, dem bisherigen „Cicero“- und künftigen „Focus“-Chefredakteur Wolfram Weimer sowie „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann wurde „die schöne kleine Schwester Berlins“ das Lieblingskind deutscher Medienmacher. Für den „Spiegel“ ist Potsdam die „heimliche Hauptstadt der Republik“, jetzt schenkt Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner seiner Wahlheimat zum Mauerfall-Jubiläum ein Privatmuseum direkt an der Glienicker Brücke, fast genau da, wo einst die Mauer verlief.

Dabei ist Potsdam ein Spätzünder. Die ehemalige preußische Garnisonstadt dümpelte nach dem Fall der Mauer jahrelang vor sich hin. Der Verfall der barocken Innenstadt, des einmaligen Holländischen Viertels, konnte nur mühsam aufgehalten werden. Potsdam bot weiter ein ruinöses Bild – obwohl gerade die Sorge vor dem Verlust des historischen Erbes den Widerstand gegen das DDR-Regime genährt hatte. Im April 1988 hatte sich unter dem Dach des DDR-Kulturbundes die Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung (Argus) gebildet, Gründungsmitglied war der heutige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck. Argus kritisierte Baupolitik und Umweltsünden der DDR. Im „roten“ Potsdam, der SED-Bezirksstadt mit Parteikaderschmieden wie der Hochschule für Staat und Recht, war dies ein politisches Wagnis. Der erste Erfolg nach dem Mauerfall: Im November 1989 erwirkte Argus einen Abriss-Stopp für die barocke Innenstadt.

Doch der Aufbruch Potsdams sollte schwieriger werden. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse, ein Monopoly, das Immobilienpreise in die Höhe trieb, zähe Bürokratie im Rathaus, eine überforderte Stadtführung und eine Landesregierung, die ihre Hauptstadt links liegen ließ, waren eine schlechte Mischung. Als der „Spiegel“ 1996 beim Leipziger Institut für Marktforschung eine Studie in Auftrag gab, ging Potsdam daraus als „Jammerhauptstadt des Ostens“ hervor. Den Potsdamern ging es zwar im Ost-Vergleich überdurchschnittlich gut, doch sie waren auch überdurchschnittlich unzufrieden. Noch 1997 ließ Oberbürgermeister Horst Gramlich, seit Mai 1990 im Amt, das „Potsdam-Center“ am Bahnhof bauen. Der Betonklotz rief die Unesco auf den Plan, sie drohte mit der roten Liste für gefährdetes Welterbe.

Ein Jahr später änderte sich die Stimmung im Rathaus: Das schwächelnde Potsdam drohte an die PDS zu fallen, die Sozialdemokraten drängten ihren damaligen Umweltminister Matthias Platzeck, seine Heimatstadt zu regieren. Mag die Gesamtbilanz der Potsdamer Platzeck-Ära durchwachsen ausfallen – in dieser Zeit begann auch der Aufstieg der Stadt. Mit Projekten wie Bundesgartenschau, Theater-Neubau und der Rückkehr des Kaufhauses in die Innenstadt.

In Studien erhält die Stadt jetzt regelmäßig Spitzenwerte. Prognos fand im Auftrag der Bundesregierung 2007 heraus, dass Potsdam der familienfreundlichste Ort aller 439 Städte und Landkreise Deutschlands sei. Auf der mit brandenburgischem Humor „Broadway“ getauften Einkaufsstraße kann man das besichtigen. In der Fußgängerzone versperrt regelmäßig eine Armada teurer Kinderwagen den Weg, Eltern staunen über die Dichte der Luxus-Babykutschen. Das Einkommen ist hoch, die Arbeitslosenquote mit stabilen 8,1 Prozent fast fünf Prozent niedriger als der ostdeutsche Durchschnitt. An jeder Ecke finden sich Praxen für Naturheilkunde, Yoga-Studios, Therapeuten. Auf dem Wochenendmarkt am Stadttor treffen sich Individualisten samstags zum Feinkost-Einkauf.

Die Reichen, Schönen, Mächtigen haben das Potsdamer Gemisch aus barocker Gemütlichkeit, italienischer Eleganz und schnödem Ost-Retro für sich entdeckt. Milliardär Hasso Plattner spendete der Stadt die Fassade für das Stadtschloss, den Angelpunkt des Potsdamer Architektur-Gesamtkunstwerks, das bis Anfang 2013 als Landtag wieder aufgebaut wird. Das Tor zum Schlosshof, das Fortunaportal, bezahlte Günther Jauch. Plattner steckte zusätzlich Millionen in eine private IT-Universität. Andere investierten in Immobilien, sanierten wie Jauch viele historische Wohnhäuser.

Die Entwicklung der Stadt hat ein hohes Tempo erreicht. Nirgendwo in Ostdeutschland sind Grundstücke und Häuser teurer, Mieten höher. Stadtteile sind neu entstanden, doch noch immer werden 10 000 neue Wohnungen gebraucht. Es ist eine Mangelwirtschaft der anderen Art, und es sind neue Kluften, die Potsdams Politik überbrücken muss.

Und das „Archiv“, der verfallene Treffpunkt der alternativen Jugendszene? Für den Erhalt demonstrierten hunderte Jugendliche. Und jetzt zahlt doch der Eigentümer für den Brandschutz – die Stadt Potsdam.

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