zum Hauptinhalt
Eine Gaspipeline des deutsch-russischen Joint Ventures Achimgaz in Russland

© picture-alliance/ dpa

Debatte zur deutschen Russlandpolitik: Wirtschaft will Märkte statt politischer Aufträge

Die Interessen des europäischen Heimatmarktes müssen bestimmen, wie wir auf Staaten wie Russland schauen, fordert der Wirtschaftsexperte für Osteuropa

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur deutschen Russlandpolitik. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.

Schon der Titel der Causa „Deutsche Russlandpolitik“ weist in die Irre: Die Zeiten, als in erster Linie bilaterale Annäherungen und Abmachungen den Interessen der Staaten und Unternehmen aus der Europäischen Union gedient hätten, sind lange vorbei. Für eine eigenständige deutsche Russlandpolitik ist heute ähnlich wenig Raum wie für eine hessische.

Die meisten Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland jedenfalls haben ihre Wertschöpfungsprozesse in den vergangenen 25 Jahren in einem Maß europäisiert, dass sie die EU – den größten Binnenmarkt der Erde – als ihren Heimatmarkt sehen. 74 % der Wertschöpfung, die im Auto eines deutschen Herstellers steckt, kommen nicht aus Deutschland, sondern aus der Tschechischen Republik, Rumänien, der Slowakei, Polen oder Ungarn.

Dass tausende deutsche Mittelständler heute wie selbstverständlich auch in China, den USA oder Russland aktiv sind, ist nicht deutscher Ingenieurskunst oder deutschem Fleiß, sondern allein der EU-Integration und der durch sie gewonnenen Stärke des europäischen Heimatmarkts gerade für die in seiner geographischen Mitte ansässigen Unternehmen zu verdanken.

Europa zerbricht nicht an Staatsschulden oder Flüchtlingen

Die Interessen dieses europäischen Heimatmarkts müssen bestimmen, wie wir auf dritte Staaten wie Russland blicken. Denn dieser Heimatmarkt ist in ernster Gefahr, von innen und außen. Europa wird nicht zerbrechen an den Staatsschulden einiger südlicher Mitgliedstaaten oder an der Frage, wie einige Millionen Menschen hier Schutz vor Massenmord und Perspektivlosigkeit in ihrer außereuropäischen Heimat finden. Aber Europa kann – von innen – zerbrechen, wenn wir nicht die Kraft aufbringen, die innere Einheit des Kontinents endlich herzustellen und strukturelle, tiefgreifende Reformen gemeinsam anzugehen: Wachstum und Innovation müssen nach Europa zurückkehren, die dramatische Jugendarbeitslosigkeit durch eine drastische Entlastung der Abgabenlast auf Arbeit und durch eine radikale Öffnung der Märkte bekämpft werden.

Marcus Felsner ist Vorsitzender des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft e.V.
Marcus Felsner ist Vorsitzender des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft e.V.

© promo

Den Gefahren von außen muss ebenso entschlossen begegnet werden: Wer das seit 1945 geltende europäische Integrationsmodell, einzige unverzichtbare Geschäftsgrundlage aller unserer Unternehmen, dadurch angreift, dass er einseitige Abhängigkeiten, Einflusssphären und Pufferzonen innerhalb Europas wiedererrichten will, der muss wissen, dass Europa alles Erforderliche tun wird, um dies zu verhindern. Wenn auch in Zukunft die EU Heimat weltweit wettbewerbsfähiger Unternehmen und sicherer, qualifizierter Beschäftigung sein will, dann darf es keine Undeutlichkeiten darüber geben, dass alle Europäer die Freiheit haben, sich der Überwindung alter nationalstaatlicher Ordnung zugunsten des EU-Modells anzuschließen.

So viel Gewinn wie irgend möglich machen - im Rahmen unserer Gesetze

Die deutsche Wirtschaft hat außerhalb ihres europäischen Heimatmarkts keinen politischen Missionierungsauftrag. Sie muss in Staaten wie Russland, deren Menschen sich für eine andere politische Ordnung entschieden haben, nur eines: Im Rahmen unserer eigenen Gesetze und unserer Vorstellungen von guter Unternehmensführung so viel Gewinn wie irgend möglich erwirtschaften, damit ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Rolle für Innovation und Beschäftigung auf dem europäischen Heimatmarkt gesichert werden.

Dafür bietet gerade Russland besonders große Chancen. Europäische Unternehmer haben ein hohes Interesse daran, dass das geographisch nahe, mit hoher Bevölkerungszahl, industrieller Tradition und reichen Bodenschätzen gesegnete Russland wirtschaftlich erfolgreich und politisch stabil ist. Wie das am besten zu schaffen ist, dazu können auch Unternehmer aus Deutschland Einschätzungen und Erfahrungsberichte aus anderen Märkten in aller Welt abgeben. Die notwendigen Änderungen selbst in Gang setzen können sie nicht.

Trotz ungünstiger Bedingungen schaffen es deutsche Unternehmen in Russland zu wirtschaften

Zu Änderungen bestünde indes dringender Anlass. Gerade mittelständische Unternehmen aus Deutschland könnten einen entscheidenden Beitrag zur nötigen grundlegenden Modernisierung der russischen Industrie leisten. In ihrer ganzen Breite profitieren sie aber nur dann, wenn diese industrielle Modernisierung dort auch gewollt ist und die dafür notwendigen arbeitsteiligen Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft entstehen. Die Hoffnungen vieler Unternehmer, russischer wie deutscher, haben sich insoweit noch nicht erfüllt. Stattdessen erleben sie seit Jahren, nicht erst seit der aggressiven Reaktion auf den Transformationsprozess der Ukraine, die zunehmend einseitige Orientierung der russischen Wirtschaftspolitik an Öl- und Gasrenten, die Stärkung staatlicher Konzerne zulasten der wenigen mittelständischen Unternehmer, den Rückgriff auf nachweislich gescheiterte planwirtschaftliche Konzepte der Sowjetzeit und die Verbreitung sinnloser Feindbilder und ökonomisch unhaltbarer Autarkieparolen. Trotz dieser ungünstigen Rahmenbedingungen schaffen es erfreulich viele unserer Unternehmen, in Russland Nischen zu finden und gute Geschäfte zu machen. Wir haben Anlass, dankbar für jedes einzelne von ihnen zu sein. Es könnten und es sollten nur deutlich mehr sein.

Der Glaube an ein erfolgreiches Russland muss wachgehalten werden

Das offen auszusprechen, ist Zeichen des echten Interesses und der Sympathie, die tatsächlich besonders viele Unternehmer aus Deutschland für die Menschen in Russland, für ihre Mitarbeiter und Kunden dort empfinden. Wer dagegen Russland als einziges Land der Welt von jeder Kritik ausgenommen sehen will und krampfhaft um Verständnis für alles wirbt, auch wo es für den seinem europäischen Heimatmarkt verpflichteten Kaufmann kein Verständnis geben kann, der nützt am Ende weder deutschen Wirtschaftsinteressen noch Russland selbst.

Schlimmer noch sind nur die, die jede Vision eines ökonomisch erfolgreichen, politisch und sozial stabilen Russland für Phantasterei erklären: Sie befördern den Zynismus eines Begriffs von Macht, die sich einmauern muss in falschen Feindbildern und die offenbar selbst nicht an die enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten des eigenen Landes, das mit seinen europäischen Nachbarn in wechselseitigem Respekt verbunden sein könnte, glauben will. Der deutsche Beitrag für ein besseres Verhältnis kann genau darin liegen: Den Glauben an die Chancen wachzuhalten, den Zynikern nicht das Feld zu überlassen.

Dr. Marcus Felsner ist Vorsitzender des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft e.V.

Marcus Felsner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false