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Für den ästhetischen Anspruch. Das Label Brachmann entwirft Mode in Berlin.

© Sebastian Donath

Berliner Designszene: Drehkreuz für die Mode

In Berlin gibt 600 Designer, ein Fashion Hub soll ihre Arbeit sichtbarer machen. Dafür müssen Politiker und Kreative zum ersten Mal wirklich zusammenarbeiten.

Pünktlich zur Fashion Week stand es in einer Pressemitteilung des Berliner Wirtschaftssenats: 600 000 Euro werden für ein Fashion Hub zur Verfügung gestellt. Konkretere Angaben standen da nicht. Aus einem einfachen Grund: Es gibt keine. Das Geld ist erst einmal dafür da, herauszufinden, wie ein Fashion Hub aussehen soll. Dafür muss an dieser Stelle erst einmal geklärt werden, was das überhaupt sein könnte. Frei übersetzt heißt der Begriff so viel wie Drehkreuz oder Zentrum für Mode.

Dafür hat Marte Henschel in dieser Woche alle in ihrer Firma Sourcebook zusammengetrommelt, die etwas dazu zu sagen haben. Ihr Unternehmen kümmert sich um die Vernetzung von Designern mit Produktion, Industrie und der digitalen Welt. Zuallererst ist da Nicole Ludwig, Grünen-Politikerin und Sprecherin für Sport und Wirtschaft im Abgeordnetenhaus Berlin. Sie hat das Projekt 2015 angestoßen. Sie wünschte sich eine nachhaltigere Förderung der Berliner Modeszene als die bis heute eher punktuelle. Die besteht vor allem darin, den Berliner Designern einen Platz im Schauenkalender der Fashion Week zu finanzieren. Ludwig will, dass Mode durch ein Zentrum in der Stadt sichtbarer wird.

Viele Labels arbeiten unter prekären Bedingungen

So etwas fehlt tatsächlich in einer Stadt, in der es mehr als 600 Designerlabels gibt. Das sind meist sehr kleine Unternehmen mit vielleicht ein oder zwei Mitarbeitern. Viele von ihnen arbeiten unter prekären Bedingungen. Das Geschäft mit der Mode ist aufwendig, Prototypen, Stoffe und Produktion müssen vorfinanziert werden, oft werden Kollektionen auf Kommission verkauft, es ist also bis zum Ende der Saison nicht klar, wie viel damit zu verdienen ist. Dass die Unternehmen so klein sind, ist eine zusätzliche Herausforderung, denn Stoffe und Produktion kosten mehr, wenn Stückzahlen gering sind.

Wenn aber die Aufgabenstellung für die meisten Designer ähnlich ist, ist es sinnvoll, zusammenzuarbeiten: gemeinsam Stoffe einzukaufen, die Produktion und den Vertrieb zu organisieren, leichter auffindbar für potenzielle Kooperationspartner zu sein – wie große Unternehmen, die neue Produkte entwickeln wollen. Ein Zentrum könnte es auch erleichtern, gemeinsam an einer neuen Sicht auf die Mode zu arbeiten, die Nachhaltigkeit einschließt.

Die Kreativen wollen nicht mehr nur mit Konfetti werfen

Da kommt Magdalena Schaffrin ins Spiel, die Gründerin der Messen Ethical Show und Greenshowroom, jetzt Neonyt. Sie ist überzeugt, dass die Stadt in Sachen Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle spielen sollte. All das könnte in einem Fashion Hub zusammengeführt werden, was schließlich auch zu mehr Selbstermächtigung führen kann.

Genau deshalb haben sich schon vor gut einem Jahr 38 Berliner Designer zum Verein Berliner Modedesigner zusammengetan, für Ludwig genau die Mitspieler, die ihr noch fehlten. Schließlich sollen diejenigen an der Planung beteiligt sein, die später das Fashion Hub mit Leben füllen. Dazu gehören auch Natascha von Hirschhausen und Olaf Kranz, die jeweils ihr eigenes Label führen. Ihnen geht es auch um den ästhetischen Anspruch und damit um die Unterscheidung von Mode und Bekleidung.

„Im Moment sind die Kreativen die, die das Konfetti schmeißen, aber am wenigsten Anteil am Gewinn haben“, sagt Marte Henschel. Das liegt auch an einer Erwartungshaltung, die sich in den vergangenen 13 Jahren mit dem Einzug der Fashion Week in Berlin verfestigt hat: Durch eine Modenschau sollen Labels die Chance bekommen, Entwürfe zu verkaufen, wirtschaftlich zu wachsen und im besten Falle berühmt und reich zu werden. Sodass Berlin irgendwann auch Marken wie Mailand Prada und Paris Chanel vorzuweisen hat. Aber diese Erwartungshaltung ist mit der Realität nicht deckungsgleich.

So ein Zentrum könnte Modellcharakter

Und das, da sind sich alle Beteiligten einig, muss auch gar nicht sein. Es ist an der Zeit, die Geschichte anders zu erzählen. Die vermeintliche Schwäche der Berliner Modeszene, ihre Kleinteiligkeit, ihre Diversität, könnte zu einer Stärke werden, wenn die Arbeit der Designer durch ein Zentrum sichtbar wird. Dazu gehört auch ein gemeinsamer Showroom in der Innenstadt. Wenn ein großes Unternehmen in die Stadt kommt, soll es einen Gesprächspartner auf Augenhöhe vorfinden, mit dem es in einem geschützten Raum zusammenarbeiten kann. Denn Kooperationen sind in der Mode für viele kleine Designer heute überlebenswichtig, sagt Marte Henschel.

Dafür ist es wichtig, systemisch und nicht vorrangig finanziell zu fördern, findet Nicole Ludwig. Also mit Infrastruktur, die so ein Fashion Hub reichlich haben sollte: neuen Maschinen, die sich ein Label alleine nicht leisten kann, moderner, digitaler Technik, mit der man neue Herstellungsweisen ausprobieren kann, und natürlich Personal, um sie zu bedienen.

So ein Zentrum könnte Modellcharakter haben. Aber die Chance ist gleichzeitig auch das Problem. Etwas der Politik vorzustellen, was es noch nicht gibt, braucht besonders viel Überzeugungskraft. Deshalb hat Nicole Ludwig dafür gesorgt, dass die 600 000 Euro erst freigegeben werden, wenn im Abgeordnetenhaus über das Konzept abgestimmt worden ist. Um die Erarbeitung zu koordinieren, wird jetzt sogar eine Stelle im Wirtschaftssenat geschaffen.

Auch auf Bezirksebene soll ein Haus für die Mode entstehen

Nicht nur der Senat, auch die Bezirke haben ein Interesse daran, Modedesigner zu unterstützen. Daniela Fleig und Sabine Hülsebus vom Berliner Modenetzwerk Nemona kennen sich in der Arbeit auf Bezirksebene aus. Für Pankow und Mitte analysieren sie gerade die Möglichkeit, ein Modehaus zu gründen. Es gibt also gleich mehrere Stellen, die finden, dass in der Berliner Mode die Kräfte gebündelt werden müssen.

Auch Marte Henschel hat schon eine Studie erstellt: zur Machbarkeit eines Fashion Hubs am Standort Oberschöneweide. Der Bezirk Treptow-Köpenick hat ein Interesse daran, ein solches Zentrum in der Nähe der Hochschule für Wirtschaft und Technik zu gründen, die neben Modedesignstudiengängen auch solche für Textil- und Bekleidungstechnik anbietet. Marte Henschel ist sich sicher: „Das ist jetzt die Chance, die so nicht noch einmal wiederkommt.“

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