zum Hauptinhalt
Gute Fassade. Mitarbeiterinnen ließen sich in der aktuellen Kollektion von H&M fotografieren.

© Paula Berg, Open Studio

H&M mit neuem Ladenkonzept: Alter Schwede im neuen Gewand

Eine wohlsortierte Auswahl anstelle von Kleidermassen, Yogastunden im Garten statt Gedränge auf der Rolltreppe. Wie H&M mit einem Laden in Mitte die Zukunft einläuten will.

Eigentlich ist der neue Laden für H&M viel zu klein – und genau deshalb wurde er auserkoren, der Shop der Zukunft zu werden. Der Deutschland-Chef von H&M, Thorsten Mindermann, findet es gut, mitten in Berlin den Test zu starten, wie seine Marke ein anderes Publikum in die Läden bekommt. Das Geschäft, das vorher die Edel-Jeansboutique 14 oz und viel früher das Café Schwarzenraben war, sieht jetzt mit blassgrün gestrichenen Wänden erstaunlich schlicht aus: kein aufwendiger Ladenbau, keine blinkenden Displays, keine interaktiven Umkleidekabinen. Stattdessen gibt es Kleiderstangen zum Wegrollen, Regale, in denen ein paar hübsche Produkte stehen. Mindermann war schon länger scharf auf den Laden. Als das Geschäft frei wurde, rief er seine Kollegin Anna Bergare an: „Wäre das nicht etwas für uns?“

Anna Bergare arbeitete gerade im Stockholmer Hauptquartier in der Innovationsabteilung an neuen Ideen für den Laden der Zukunft. „Wir fanden heraus, dass wir wahrscheinlich in Zukunft neben den bestehenden großen Geschäften auch kleinere Locations brauchen“, sagt sie. Was in Stockholm nur ein Gedankenspiel war, wurde in der Neuen Schönhauser Straße plötzlich konkret.

Auf den ersten Blick ist die reich verzierte Ladenfront nicht als eine H&M-Filiale zu erkennen, es fehlt das bekannte rot-weiße Label. Über der Tür hängt nur ein kleines grau-weißes Schild, auf den Schaufenstern prangt der Schriftzug „Mitte Garten“. Anna Bergare will, dass sich die Bewohner von Mitte gleich angesprochen fühlen: „Die Markenbildung verändert sich gerade sehr. Früher hatten wir die großen Weihnachtskampagnen, die auf der ganzen Welt gesehen wurden. Heute nehmen viele junge Leute so etwas nicht mehr wahr. Eine Möglichkeit, relevant zu bleiben, ist, an einem realen Ort zu zeigen, wer man ist.“

Im Geschäft (oben links) sieht es sehr viel aufgeräumter auf, als in den üblichen, sehr viel größeren Filialen.
Im Geschäft (oben links) sieht es sehr viel aufgeräumter auf, als in den üblichen, sehr viel größeren Filialen.

© promo

Ein durchschnittlicher Shop von H&M hat 1500 Quadratmeter. Davon ist das Geschäft in der Neuen Schönhauser Straße mit knapp 300 Quadratmetern weit entfernt. Weniger Platz bedeutet, gezielt aus dem riesigen Sortiment das herauszusuchen, was zur Zielgruppe in Mitte passt: Trainingsanzüge fürs Clubbing, Lederjacken aus schwarzem Nappaleder und Pullover für die Couch.

Für die Individualität sorgen zum ersten Mal bei H&M andere. Der Onlineshop Out of use berlin stellt alten Modeschmuck und Kleidung von Flohmärkten aus. Es gibt Parfum des Berliner Labels Frau Toni und Ledertaschen von Velt, die vom Wert weit über dem einer Tasche von H&M liegen. Stefan Recheiner und Patrick Rüegg von Velt haben heftig diskutiert, ob sie das Angebot von H&M annehmen sollten. „Aber wo sonst würden wir so viel Aufmerksamkeit bekommen? Und schließlich hat Karl Lagerfeld ja auch für H&M entworfen“, sagt Rüegg.

Im Keller gibt es noch etwas Neues: einen Showroom für alle. Deshalb hängt jetzt schon das rote Tüllkleid von der nächsten Designerkooperation mit Giambattista Valli über der Kasse wie ein Ausrufezeichen. Kaufen kann man es noch nicht, aber anprobieren und für 48 Stunden mit nach Hause nehmen. Damit öffnet H&M seinen Showroom, der bisher, ähnlich wie Modemessen oder -schauen, Fachleuten vorbehalten war. Schließlich kann ja jeder ein Influencer sein. „Es geht darum, den Showroom zu demokratisieren“, sagt Bergare, als handele es sich um mehr Teilhabe für die Bürger von Mitte.

Auch wenn man beim Rundgang durch den Laden spürt, wie aufregend es für sie und Thorsten Mindermann ist, dass man hier auch Yoga machen und Kaffee trinken kann – das Setting ist das eines gut gemachten Konzept-Stores. Man könnte sagen: Es ist ein kleiner Schritt für den Einzelhandel, aber ein großer für H&M.

Die Kleider, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Fotos tragen, kann man digital im Geschäft kaufen.
Die Kleider, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Fotos tragen, kann man digital im Geschäft kaufen.

© Paula Berg, Open Studio

Dabei ist auffällig, wie oft das Wort „analog“ fällt. Die Aufgabe dieses realen Ortes soll es sein, für Bindung zu sorgen, die dann online zu Geld gemacht wird. Dafür gibt es zwei Bildschirme im hinteren Teil des Ladens. Darauf finden sich Fotos von Menschen, die hier arbeiten und sich in der Kollektion aus dem Laden in Hinterhöfen um den Hackeschen Markt herum fotografieren ließen. Die Kleidungsstücke kann man gleich in den digitalen Warenkorb legen und mit dem eingescannten QR-Code an der Kasse bezahlen.

Ganz hinten öffnet sich eine Tür zum Garten, der fast wie eine barocke Wandelanlage mit gestutzten Buchsbaumhecken und Kieswegen anlegt ist. Auch den alten Brunnen in der Mitte hat das Unternehmen repariert, jetzt plätschert wieder fröhlich das Wasser. Für dehydrierte Shopperinnen gibt es aber schon einen Wasserhahn am Tresen, auf den Mindermann besonders stolz ist. Hier darf sich jeder ungefragt seine Flasche auffüllen.

Wenn es nach dem Deutschland-Chef geht, würde er gerne mehr mit seinen Kunden kommunizieren. Deshalb gibt es auch Klingeln in den Umkleidekabinen und eine nur scheinbar altmodische Glocke auf dem Tresen. Sie sind mit Armbändern verbunden, auf die den Mitarbeitern ein Signal gesendet wird, wenn die Kundschaft Hilfe braucht.

Anna Bergare hofft, dass das neue Verkaufskonzept die Käufer an H&M bindet: „Wir brauchen Orte mit einer Bedeutung. Es geht nicht darum, hier möglichst viele Produkte zu verkaufen.“ Das Kalkül ist ein anderes: „Wir wissen, dass in ein paar Jahren die Hälfte aller Verkäufe online gemacht werden. Also müssen wir hier etwas anderes anbieten, damit die Leute später von der Couch aus bei uns bestellen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false