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Ein Querdenken-Gottesdienst am Bodensee.

© dpa

Falsche Prognosen am laufenden Band: Die lausige Trefferquote der Verschwörungsideologen

QAnon, Attila Hildmann und Querdenker sind es gewohnt, mit ihren Voraussagen drastisch daneben zu liegen. Der nächste Realitätsschock steht nun bevor.

Noch vier Tage, dann wird der wohl schlimmste Albtraum Hunderttausender Verschwörungsideologen wahr: US-Präsident Donald Trump verlässt das Weiße Haus. Sie hatten geglaubt, Trump werde dort aufräumen und eine große Verschwörung aufdecken, hinter der bluttrinkende Satanisten, Pädophile und Juden stecken.

Sie gingen seit Jahren davon aus, dass Donald Trump eines Tages den Befehl zu Massenverhaftungen geben werde, im ganzen Land systematisch Verschwörer inhaftieren lasse, dann vor Fernsehkameras trete und sinngemäß sage: Ich bin nur Präsident geworden, um die USA von diesen kriminellen Eliten zu befreien.

Das Märchen vom Erlöser Trump und den bösen Mächten im Hintergrund ist Kern des Verschwörungskults QAnon, der in den Vereinigten Staaten derart verbreitet ist und so viele gewaltbereite Anhänger hat, dass das FBI die Bewegung im Juli 2020 zur „Gefährdung der Nationalen Sicherheit“ erklärte. Fans des Kults waren auch wesentlich am Sturm auf das Kapitol beteiligt.

Noch vier Tage also, und der Bewegung droht der Realitätsschock: Trump deckt keine Verschwörung auf, er tritt einfach ab. Was wird dann aus den Verschwörungsgläubigen?

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Als der Präsident im November die Wahl verlor, übten sie sich noch in Durchhalteparolen. Dass es stark nach einer Niederlage aussehe, sei Teil einer Strategie, verkündeten die Wortführer in den sozialen Netzwerken. Das müsse so sein, um anschließend zum großen Schlag auszuholen und die Satanisten, Pädophilen und Juden zu überraschen. Drei Worte kursierten unter QAnon-Anhängern: „Trust the plan“. Vertraue dem Plan.

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Falsche Prophezeiungen sind eine Konstante im Wirken der Verschwörungsgläubigen, gerade im vergangenen Jahr wurde dies deutlich. Corona-Leugner sagten mal sinkende Infektionszahlen und das Ende der Pandemie voraus, mal den Sturz der Bundesregierung, Neuwahlen und die Änderung des Grundgesetzes.

Querdenker waren sich ganz sicher, dass Angela Merkel aufgrund ihres Drucks auf der Straße bis zum Herbst 2020 abtritt. Sie versprachen, in Berlin „die größte Demo der Geschichte“ abzuhalten. Am 3. Oktober wollten sie eine 127 Kilometer lange Menschenkette um den Bodensee veranstalten. Es kam ein Bruchteil der benötigten Menschen. Querdenker sagten, dies habe am schlechten Wetter gelegen.

Für den 2. November versprachen Corona-Leugner dann den Beginn eines „bundesweiten Generalstreiks“, der schließlich zum endgültigen Sturz der Regierung führen würde, er fiel ebenfalls aus.

Der scheidende US-Präsident gilt auch deutschen Corona-Leugnern als Heilsbringer: So sagten Aktivisten des gescheiterten Reichstagssturms im August, Donald Trump befinde sich in Berlin und werde ihnen zu Hilfe eilen, wenn sie nur erst das Gebäude gestürmt hätten.

Die Frage ist: Führen die vielen Fehlschläge zu Einsicht?

Attila Hildmann irrt sich ständig

Besonders spektakulär lag immer wieder der Berliner Kochbuchautor und Antisemit Attila Hildmann daneben. Da war der angekündigte Volksaufstand im Frühjahr: Am 6. Mai werde sich das deutsche Volk „erheben“, und zwar am späten Nachmittag vor dem Bundestag, sagte Hildmann voraus. Nichts passierte.

Für den 15. Mai sagte er das Ende der Demokratie und die Errichtung einer Weltdiktatur inklusive der Eröffnung von Konzentrationslagern voraus, für den Spätsommer versprach er eine Demonstration mit „zwei Millionen Patrioten“.

Nicht einmal er selbst hielt sich an seine Vorhersagen. Mitte Mai verkündete er seinen Anhängern: „Ab heute lebt Attila Hildmann im Untergrund … Gehe ich im Kampf für unsere Freiheit drauf, dann nur mit Waffe in der Hand und erhobenen Hauptes.“ Später bestritt er, das je behauptet zu haben.

Zuletzt sagte Hildmann die Errichtung der Weltdiktatur für den 18. November voraus.

Querdenken-Aktivist in Dresden.
Querdenken-Aktivist in Dresden.

© Sebastian Willnow/dpa

Die Häufigkeit fehlerhafter Prophezeiungen und das anschließende Leugnen des eigenen Irrtums kennt man sonst eher von Sekten. Die Zeugen Jehovas und ihre Vorläufer, die „Ernsten Bibelforscher“, sagten unter anderem für 1874, 1914 und 1925 den göttlichen Gerichtstag voraus. An diesem sollten alle ungläubigen Menschen ausgelöscht werden.

Eine Villa für Moses, Noah und Co.

Weil gleichzeitig nicht nur Jesus, sondern auch Moses, Noah, Abel, Abraham und Isaak als reale Menschen auf die Erde zurückkehrten und dann einen Ort zum Wohnen bräuchten, bauten die Anhänger in Kalifornien eine riesige Villa. Als der göttliche Gerichtstag ausblieb, zog stattdessen der Sektenchef ins Gebäude. Nach weiteren unerfüllten Prognosen gehen die Zeugen Jehovas heute davon aus, dass die Wiederkunft Christi bereits stattgefunden hat, allerdings nur im Himmel. Über Anwälte ließen sie außerdem feststellen, dass es „seitens der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas seit 1975 keine Nennung von neuen Jahreszahlen mehr“ gegeben habe.

Mit Vorhersagen von Verschwörungsgläubigen und ihren Folgen hat sich die Mainzer Sozialpsychologin Pia Lamberty beschäftigt. Am Telefon sagt sie, eine auch für Corona-Leugner denkbare Konsequenz sei, dass die Szene schrumpfe, die Verbliebenen dafür umso radikaler würden. Der Grund sei, dass die Einsicht in den eigenen Irrtum manchen schwerer falle als anderen – nämlich denen, die besonders viel investiert und daher viel zu verlieren hätten. „Für einige ist die Corona-Leugnung inzwischen zum Lebensmittelpunkt geworden.“

Diese Menschen seien 2020 quer durch Deutschland von Kundgebung zu Kundgebung gereist, hätten viel Geld und Zeit aufgewendet. Andere hätten ihren Arbeitsplatz aufgegeben, sich mit Familienmitgliedern zerstritten, ihre Liebesbeziehungen und Freundschaften beendet. „Wer da so viel reingesteckt hat, für den ist es schwer, jetzt loszulassen.“

Es gibt eine Statistik, die das verdeutlicht: Kinogängern gefällt ein Film im Durchschnitt besser, wenn das Kino weiter entfernt liegt. Der Aufwand muss sich gelohnt haben.

Aluhutträgerin in Frankfurt am Main.
Aluhutträgerin in Frankfurt am Main.

© pa/Boris Roessler

Das Phänomen, sagt Lamberty, hat der US-amerikanische Soziologe Leon Festinger schon vor 70 Jahren beobachtet und in seinem Buch „When prophecy fails“ ausgeführt. Festinger hatte sich zuvor in eine Chicagoer Endzeit-Sekte namens „Die Suchenden“ eingeschlichen: Die Gruppe glaubte, die Erde gehe unter, man selbst werde aber kurz vorher, in der Nacht zum 21. Dezember 1954, von Außerirdischen abgeholt und per Raumschiff in Sicherheit gebracht.

Als das Ufo nicht erschien, setzte sich unter den Anhängern die Meinung durch, es müsse drei Tage später – Heiligabend – kommen. Als auch da nichts passierte, verkündete die Sektenführerin, die Gläubigen hätten durch intensive Gedanken den Planeten vorm Untergang gerettet, die Außerirdischen hätten keinen Grund mehr für ihre Rettungsaktion.

Er wollte Staatschef werden, wird jetzt verlacht

Attila Hildmann, der Berliner mit den vielen Falschprognosen, hat im vergangenen Jahr besonders investiert: Statt wie angekündigt neuer Staatschef von Deutschland zu werden, ruinierte er sein Unternehmen. Händler im ganzen Land nahmen seine Energygetränke aus den Regalen, Geschäftspartner wandten sich von ihm ab. Mitarbeiter wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ihn erwarten mehrere Prozesse, unter anderem wegen Volksverhetzung. „Manchmal frage ich mich, ob es das alles wert war“, schrieb Hildmann schon im Mai.

Ähnlich ergeht es dem Schlagersänger Michael Wendler. Er wurde nach seinem Selbstouting als Verschwörungsgläubiger von RTL ausgeladen, etliche Werbepartner sprangen ab. Nun drohen hohe Regresszahlungen, und seit vergangener Woche wird er aus den bereits gedrehten Folgen von „Deutschland sucht den Superstar“ herausgepixelt.

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In den letzten Wochen verkündete Wendler stetig, Trump werde den Wahlbetrug doch noch aufdecken, Biden habe keine Chance – wer anderes behaupte, habe keine Ahnung oder lüge. Auch jetzt, kurz vor Trumps Abgang, gibt sich der Sänger noch siegesgewiss: „Der Vulkan bricht bald aus in den USA“, schreibt er in Großbuchstaben auf Telegram. In unmittelbarer Zukunft werde in Washington „etwas Gewaltiges passieren“, und damit meine er keineswegs die Amtseinführung eines neuen Präsidenten.

Michael Wendler verbreitet auch einen Text, in dem es heißt, Trump werde sehr bald einschreiten und seine Feinde vor Militärtribunale stellen: „Einige werden dafür mit ihrem Leben bezahlen.“

Glaubt immer noch an Trump: Michael Wendler.
Glaubt immer noch an Trump: Michael Wendler.

© dpa/Ted S. Warren

Den QAnon-Verschwörungskult gibt es seit 2017. Er hat sich so schnell verbreitet, dass Beobachter von einer „neuen Religion“ sprechen – der ersten, die im Internet entstand. Laut einer Studie glaubt in den USA jeder dritte republikanische Wähler an die antisemitische Schauergeschichte von kinderbluttrinkenden Juden und Satanisten einerseits sowie dem Erlöser Trump andererseits. Auch in Deutschland ist der Kult populär, besonders innerhalb der Querdenken-Bewegung. Querdenken-Chef Michael Ballweg hat auf einer Berliner Demo auf der Bühne den Slogan der QAnon-Bewegung zitiert: „Where We Go One, We Go All.“ Sinngemäß: Einer für alle, alle für einen.

Anführer der Bewegung ist ein anonymer User, „Q“, der in unregelmäßigen Abständen auf dem Portal „8kun“ kurze Botschaften verkündet, die dann von anderen geteilt und verbreitet werden. Mittlerweile sind es 4950 Stück, viele enthalten Hetze und Hass auf Demokraten und Minderheiten. Der Legende nach ist der Verkünder dieser Botschaften ein hochrangiger US-Beamter, der über die oberste Sicherheitsfreigabe verfüge und deshalb jede Menge Regierungsgeheimnisse kenne. Da die Identität des Nutzers unbekannt ist, nennen seine Fans ihn „QAnon“, Anon wie anonym.

Journalisten haben den Verdacht, es handle sich in Wahrheit um keinen Beamten, sondern um einen US-Amerikaner mittleren Alters, der auf den Philippinen eine Schweinezucht betreibt.

QAnon-Anhängerin in den USA.
QAnon-Anhängerin in den USA.

© dpa/Ted S. Warren

Pia Lamberty, die Sozialpsychologin, sagt, noch sei unklar, ob die Schrumpfung der QAnon-Bewegung tatsächlich eintrete. Zwar gibt es eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die bereits von einem Rückgang der allgemeinen Verschwörungsgläubigkeit spricht. „Die Zahlen geben das aber noch nicht wirklich her“, sagt Lamberty. „Ich bin in diesem Punkt sehr vorsichtig. Vor allem, weil Verschwörungsideologen gerade das Impfthema für sich entdeckt haben.“

Und wenn die Pandemie tatsächlich einmal vorbei ist, blieben immer noch die wirtschaftlichen Schäden: Ökonomische Krisen könnten den Irrglauben weiter befeuern. Auch der Klimawandel und seine Folgen böten Stoff für neue Verschwörungsideologien. In Deutschland sei die Anzahl der Klimawandelleugner noch gering, doch das könne sich ändern, weil zunehmend auch hierzulande Desinformationen über das Thema gestreut würden. „Der Umgang mit Desinformation und Verschwörungserzählungen“, sagt Lamberty, „wird eine der größten Herausforderungen dieses Jahrzehnts werden.“

Letzte Hoffnung: Der Laptop von Nancy Pelosi

QAnon, der angebliche geheime Informant, ist mittlerweile verstummt. Seit 39 Tagen hat er keine Botschaft an seine Anhänger gesendet. Allerdings müsse das nichts Schlechtes bedeuten und könnte strategische Gründe haben, heißt es in einem Forum. Möglicherweise führe QAnon hinter den Kulissen wichtige geheime Operationen aus: „Verwechselt Stille nicht mit Untätigkeit.“

Und weil seine Anhänger vergebens auf neue Nachrichten warten, kreieren sie selbst Theorien. Besonders beliebt ist die Annahme, beim Eindringen in das Kapitol am 6. Januar hätten Trump-Unterstützer unter anderem den Laptop der Demokratin Nancy Pelosi mitgenommen und seien so in den Besitz von belastendem Material gekommen. So könnten sie die große Verschwörung nun beweisen, diesmal endgültig. Die Demokraten seien jetzt in Panik und planten ihrerseits einen Staatsstreich. Denn sie stünden kurz vor der finalen Niederlage.

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