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Nach dem Verhör verteidigte sich Nicolas Sarkozy im Fernsehen

© TFoto: AFP/TF1

Illegale Wahlkampfspenden in Frankreich: Der Aufstieg und tiefe Fall des Nicolas Sarkozy

Sein Ehrgeiz hat ihn weit gebracht. Zu weit vielleicht. Gegen Nicolas Sarkozy wird wegen illegaler Wahlkampfspenden aus Libyen ermittelt. „Grotesk“, sagt Frankreichs Ex-Präsident.

Mit hohen Absätzen stand Nicolas Sarkozy im Juni 2007 vor den Fotografen. Er wirkte aufgeregt, strahlte triumphierend. Einen Monat zuvor war er zum Präsidenten Frankreichs gewählt worden. Sein größter Traum, in den Elyséepalast einzuziehen, hatte sich erfüllt. Nun, beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, schien er bereits ganz oben angelangt: Für das traditionelle Foto posierte er auf einer Ebene mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush, Wladimir Putin und Angela Merkel.

Doch ein Jahrzehnt später ist der heute 63-Jährige, mittlerweile ziemlich ergraut, ganz unten angekommen. Anfang vergangener Woche wurde Nicolas Sarkozy von der Polizei im Pariser Vorort Nanterre zum Verhör geladen. Zwei Tage verbrachte er in Gewahrsam. So etwas ist zulässig, wenn einer „oder mehrere plausible Gründe“ für den Verdacht bestehen, dass eine Straftat begangen oder versucht wurde, auf die eine Gefängnisstrafe steht.

Alsbald wurde gegen den ehemaligen Präsidenten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf: „passive Korruption“ und „illegale Finanzierung der Wahlkampagne“. Für den Präsidentschaftswahlkampf 2007 soll Sarkozy vom ehemaligen libyschen Diktator Muammar al Gaddafi 50 Millionen Euro an Spenden angenommen haben.

Gegen Sarkozy ermitteln die Behörden schon seit Jahren

Die Ermittlungen gegen Nicolas Sarkozy sind Frankreichs größter Skandal seit Jahrzehnten. Auf Bildern, die ihn kurz nach dem Verhör zeigen, wirkt Sarkozy erschöpft. Tiefe Falten sind in seine Stirn und Wangen eingegraben. 200 Fragen habe er beantworten müssen, sagte sein Anwalt Thierry Herzog. Dem Verdacht gegen Nicolas Sarkozy geht die Anti-Korruptions-Polizei bereits seit fünf Jahren nach. Zuletzt fanden die Ermittler offenbar neue Indizien aus dem Umfeld Gaddafis.

Außerdem soll es neue Aussagen von Mitgliedern aus Sarkozys ehemaliger Partei UMP gegeben haben – sie sprachen von großen Summen Bargeld, die im Wahlkampf 2007 im Umlauf gewesen seien. Sarkozy stritt alles ab, mehrfach wies er alle Vorwürfe als „grotesk“ zurück.

Im französischen Fernsehsender TF1 sagte er, er habe „niemals das Vertrauen der Franzosen ausgenutzt“. Es gebe keine Beweise. Nicolas Sarkozy betonte: „Meine Ehre wird triumphieren.“ Seine Ehefrau, die Musikerin Carla Bruni, mit der er kürzlich den 10. Hochzeitstag feierte, hält fest zu ihm. Sie schrieb im Online-Dienst Instagram: „Ich bin stolz auf dich, Liebling. Du bist so klar, du bist so aufrichtig, du bist so stark und du stehst aufrecht gegen alles und in all diesem Schlamm.“

Tatsächlich könnte die Gaddafi-Affäre Nicolas Sarkozy endgültig zu Fall bringen. Speedy Sarkozy, wie viele den 1,68 Meter großen, charismatischen Politiker wegen seiner überschäumenden Energie nennen, ist darüber gestolpert, dass er zu viel wollte, zu ehrgeizig war und ihm dafür kaum ein Mittel zu schade war.

Alles begann mit dem Besuch Gaddafis im Dezember 2007 in Paris. Bereits 2005 hatte Sarkozy erste Kontakte zu Gaddafi geknüpft. Er war damals Innenminister, und es ging um das Thema illegale Einwanderung in Frankreich. Die beiden Länder verbanden auch immer gegenseitige Interessen: Gaddafi wollte Waffen haben, Frankreich lieferte sie. Der Besuch des zuvor jahrzehntelang weltweit geächteten Diktators in Frankreich wertete international sein Image auf. Kurz darauf gab es schon Spekulationen, dass Sarkozy sich mit dem fünftägigen Besuch für Wahlkampfspenden revanchiert habe. Im Jahr 2011 allerdings unterstützte Frankreich als erstes westliches Land die Rebellen im Kampf gegen Gaddafi, der bald darauf ums Leben kam. Es gibt sogar Mutmaßungen, französische Agenten seien an dessen Ermordung beteiligt gewesen: Sie sollen die Rebellen zu ihm geführt haben. Im Jahr 2011 beschuldigte Saif al Islam, einer der Söhne des Diktators, Nicolas Sarkozy ganz konkret. Er bezeichnete ihn als „Clown“, dessen Wahlkampf von Libyen finanziert worden sei.

1993 vermittelte Sarkozy bei einer Geiselnahme im Kindergarten

Tatsächlich ist es aber nicht das erste und einzige Mal, dass der ehemalige Präsident ins Visier der Justiz gerät. Vor etwa einem Jahr erst hatte ein Richter einen Prozess gegen ihn angestrengt – wegen Vorwürfen der illegalen Wahlkampffinanzierung 2012 über die Firma Bygmalion. 2014 wurden Ermittlungen wegen illegaler Wahlkampfspenden im Jahr 2007 in einem weiteren Fall eingestellt.

Schon als Bürgermeister des Pariser Nobelvorortes Neuilly-sur-Seine, der Sarkozy von 1983 bis 2002 war, arbeitete er an seinem Aufstieg. In Neuilly stellte er unter Beweis, was als Präsident seine Spezialität wurde: die Selbstdarstellung in den Medien. Berühmt wurde er durch ein Drama. Im Jahr 1993 vermittelte er bei der Geiselnahme in einem Kindergarten von Neuilly, bei dem die Geiseln keinen Schaden erlitten und der Geiselnehmer, der sich „Human Bomb“ nannte, getötet wurde. Sarkozy verhandelte persönlich mit dem Geiselnehmer und präsentierte sich nach Ende des Dramas mit einigen Kindern Fernsehreportern aus aller Welt als großer Retter und Held. Auf einen Schlag war er sehr beliebt.

Als Innenminister von 2002 bis 2004 machte Sarkozy Furore, weil er für „Null-Toleranz“ plädierte. Im Jahr 2004 ernannte ihn der damalige Präsident Jacques Chirac zum Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Als er 2005 wieder Innenminister wurde, kam es zu einer Bemerkung Sarkozys, die seine ganze weitere Karriere prägte. Angesichts der gravierenden Jugendkriminalität in den Pariser Vorstädten sprach er bei einem Besuch in La Courneuve davon, man müsse mit dem „Hochdruckreiniger“ säubern. Dafür wurde er sehr kritisiert – was ihn nicht zu stören schien. Denn während der Jugendunruhen im Herbst desselben Jahres bezeichnete er die Jugendlichen meist nordafrikanischer Herkunft als „Gesindel“.

Seine knallharten Aussagen ebneten ihm den Weg ganz nach oben: Sarkozy erschien als der neue starke Mann, der Frankreich wieder in Ordnung bringen könnte, als Bastion gegen die rechtsextreme Partei Front National. Er wurde Spitzenkandidat der Konservativen und bei der Präsidentschaftswahl 2007 in der Stichwahl gegen die Sozialistin Ségolène Royal mit 53,06 Prozent gewählt – auch dank vieler Stimmen aus dem ganz rechten Lager.

Gleich nach seinem Wahlsieg machte er sich jedoch unbeliebt. Er feierte im Pariser Luxusrestaurant „Fouquet’s“ auf den Champs-Elysées mit Gästen aus der Industrie und dem Showbusiness. Als er kurz darauf in den Jet des Großindustriellen Vincent Bolloré stieg und einige Tage auf dessen Jacht im Mittelmeer verbrachte, hatte er seinen Ruf weg. Nicolas Sarkozy war fortan der „Bling-Bling-Präsident“. Die Nähe zu den Reichen und Wirtschaftsbossen liebte er, Geld war schon immer eine Schwäche. Kurz nachdem er Präsident geworden war, ließ er sein Gehalt um 172 Prozent erhöhen.

Sarkozy war stets fasziniert von der Macht

Als starken Kontrast zum Polizeigewahrsam ihres ehemaligen Präsidenten zeigten die französischen Medien nun Bilder von Sarkozy, wie er am 6. Mai 2007 als jubelnder Sieger auf der Place de la Concorde in Paris vor einer riesigen Menschenmenge stand. Er war so bewegt, dass er kaum sprechen konnte. Damals erklärte er großspurig: „Frankreich ist zurück.“ Er sei der Präsident, der Ungerechtigkeiten bekämpfe.

Heute stellt sich das anders dar. Auf Carla Brunis Instagram-Konto kommentierten Nutzer: „Das ist der schlimmste Müll der 5. Republik. Er soll im Gefängnis umkommen.“ Oder: „Dein betrügerischer Mann also bald im Knast.“

Zu Beginn seiner Präsidentschaft wurde Nicolas Sarkozy mit Napoleon verglichen und als „Egomane im Elyséepalast“ bezeichnet. Bald wurde bekannt, dass er keinen Wein und keinen streng riechenden Käse mag. Stattdessen trinkt er lieber Cola Light.

Kann so ein Mann unser Präsident sein? Das fragten sich viele im traditionellen Frankreich. Ihm fehlte das Gefühl für die Seele des Landes. Bei einer Landwirtschaftsmesse 2008 schüttelte Sarkozy Hände. Als sich ein älterer Mann weigerte – „Fass mich nicht an“ –, wurde Sarkozy wütend und sagte: „Hau ab, du Idiot.“ Für viele war das ein typisches Zeichen seiner Arroganz.

„Er hat nichts für den Rest der Menschheit übrig“

Sein Nachfolger François Hollande sagte über ihn: „Er hat nichts für den Rest der Menschheit übrig.“ Er sei nur besessen von der Präsidentschaft. Ohne Frage war Nicolas Sarkozy stets fasziniert von Macht. Und den Mächtigen. Dass der ehemalige US-Präsident Barack Obama ihm bei einem Besuch einst schmeichelte – „Ich persönlich betrachte Präsident Sarkozy als Freund“ – begeisterte den bei ihrem Treffen im Jahr 2009 sichtlich.

Auf seinen Polizeigewahrsam reagierten Kollegen in der Politik nun verhalten. Die Republikanerin Valérie Pécresse, unter Sarkozy Sprecherin und Hochschulministerin, erklärte, sie habe Mühe, an die Affäre zu glauben. Premierminister Édouard Philippe, der von den Republikanern zu Präsident Emmanuel Macron übergelaufen ist, sagte vorsichtig, er habe „manchmal eine schwierige Beziehung zu Sarkozy gehabt“. Aber man respektiere sich gegenseitig.

Schon möglich, dass Frankreichs politische Elite noch nicht recht wahrhaben will, dass ein Mann, der fünf Jahre lang das Land führte, so tief fallen kann. Dabei war Nicolas Sarkozy neben seiner Vorliebe für die Schönen und Reichen während seiner Amtszeit durchaus auch immer wieder durch cholerische Ausraster und vulgäre Wortwahl aufgefallen. Vor Journalisten bezeichnete er seine Minister als „Arschlöcher“ oder „Nullen“, Premier François Fillon nannte er seinen „Mitarbeiter“.

Zuletzt war er so unbeliebt wie kaum ein Präsident vor ihm

Als bereits im ersten Jahr nach seinem Amtsantritt seine Beliebtheitswerte sanken, wandte sich Sarkozy wieder seinem Lieblingsthema zu, der Einwanderungspolitik. In Frankreich lebende Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung ließ er konsequent und teilweise brutal abschieben, Roma nach Bulgarien und Rumänien zurückbringen – was für Kritik von der Europäischen Kommission sorgte. In seine Amtszeit fielen auch Finanz- und Eurokrise, die Sarkozy in enger Abstimmung mit Angela Merkel bewältigte.

Am Ende seiner Präsidentschaft war Sarkozy so unbeliebt wie kaum ein Staatschef vor ihm, zumal während seiner Zeit im Amt Arbeitslosigkeit und Staatsschulden erheblich gestiegen waren. Im Mai 2012 musste er sich seinem Herausforderer François Hollande geschlagen geben – und trat ab. Danach wurde es still um Nicolas Sarkozy.

Sein Versuch eines Comebacks scheiterte. Als Präsidentschaftskandidat der Konservativen schied er bereits in der Vorwahl im November 2016 gegen François Fillon und Alain Juppé aus. „Ich habe keine Bitterkeit“, sagte Sarkozy und wirkte dabei zum ersten Mal fast bescheiden, er wolle nur das Beste für Frankreich. Doch dass ihm die Niederlage zusetzte, war ihm anzumerken. Seine kurze Ansprache vor Anhängern endete mit einem Satz, der wie ein endgültiger Abschied klang: „Alles Gute für Frankreich.“ Die Tageszeitung „Liberation“ titelte daraufhin groß: „Sarkozy – der Absturz“.

Sarkozy darf nicht mit ehemaligen Vertrauten sprechen

Seitdem gab es vor allem Bilder, die ihn als Monsieur Bruni zeigen. Er jubelt Carla bei Konzerten zu und bringt die gemeinsame Tochter Giulia zur Schule.

Im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren steht Nicolas Sarkozy nun unter juristischer Kontrolle, die mit einigen Auflagen verbunden ist. So darf er nicht mit einigen Zeugen sprechen, darunter seine ehemaligen Vertrauten, die beiden Ex-Innenminister Brice Hortefeux und Claude Guéant sowie der französisch-libanesische Geschäftsmann Ziad Takieddine, der als Mittelsmann einen Koffer voller Geld nach Paris gebracht haben soll. Verboten ist ihm ebenfalls, in einige Länder zu reisen, darunter Libyen, Ägypten, Türkei und Südafrika. Sein Anwalt Thierry Herzog hat am Freitag dagegen Einspruch erhoben.

Der ebenfalls Anfang vergangener Woche von der Polizei vernommene Brice Hortefeux schrieb auf Twitter, alles was er gesagt habe, solle „eine Abfolge von Fehlern und Lügen beenden“.

Nicolas Sarkozy selbst hat bislang nie ausgeschlossen, dass er noch ein weiteres politisches Comeback versuchen könnte. Viele scheinen ihm Fehler vergeben zu haben. Vor einigen Monaten noch zeigte eine Umfrage: Sarkozy ist bei 48 Prozent der Franzosen beliebt und mit 91 Prozent der beliebteste Politiker bei den Anhängern seiner Partei Republikaner.

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