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Sit and wait in der New Yorker Subway

© AFP

Miranda aus "Sex and the City": Cynthia Nixon will New Yorks Subway retten - als Gouverneurin

Der Ärger über die Subway eint die New Yorker. Nun macht sich Cynthia Nixon, bekannt als Anwältin Miranda aus „Sex and the City“, für den einstigen Stolz der Stadt stark - mit politischen Ambitionen.

Cynthia Nixon kommt zu spät zu ihrer ersten Rede als Kandidatin. Und schuld ist – ausgerechnet – die Subway. Dreimal wurde ihre U-Bahnfahrt unterbrochen, alle mussten aussteigen, und dann blieb der Zug auch noch im Tunnel stehen. Anderthalb Stunden für eine Strecke, die 30 Minuten dauern sollte. „Ich bin froh, hier zu sein“, sagt Nixon zu den Anwohnern und Reportern, die sich in einer Pflegeeinrichtung in Brownsville, im östlichen Brooklyn, versammelt haben. Sie strahlt. Es ist ein guter Tag zum Zuspätkommen.

Die 51-jährige Cynthia Nixon will Gouverneurin des Staates New York werden. Ihr Thema, mit dem sie an diesem Tag so passend ihren Wahlkampf eröffnet, ist die New Yorker Subway, kaputtgespart, vernachlässigt, dreckig, veraltet – und oft hoffnungslos verspätet.

"Stirbt die Subway, stirbt auch New York"

„Die Subway ist das Lebenselixier unserer Stadt. Stirbt die Subway, stirbt auch New York“, sagt Nixon.

Cynthia Nixon ist in New York City geboren, sie lebt noch immer dort. Ende der 90er Jahre wurde sie als Anwältin Miranda in der Serie „Sex and the City“ berühmt. Seitdem war sie in etlichen Fernseh-, Kino- und Broadway-Produktionen zu sehen. Außerdem setzt sie sich für LGBTQ-Rechte ( Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer) und ein besseres Schulsystem ein. Nun also die Subway.

„Train“, sagen die New Yorker, wenn sie die Subway meinen – Zug. Was nicht ohne Berechtigung gewaltig klingt. Unter der Erde, wo es eng und stickig ist, hört man die silberfarbenen Züge lange bevor man sie sieht. Manche Linien schreien schrill, andere donnern tief dröhnend durch die Tunnel Richtung Station. In jedem Fall sind sie so laut, dass jedes Gespräch für ein paar Sekunden unterbrochen wird – und die Ratten genug Zeit haben, sich zu verkriechen.

Sie selbst fahre jeden Tag mit der Subway und erlebe die Probleme hautnah, sagt Cynthia Nixon. „Anders als Gouverneur Cuomo!“ Im November ist die Wahl, und die Chancen, dass sie Amtsinhaber Andrew Cuomo ablöst, stehen nicht schlecht. Denn Nixon hat mit ihrem Versprechen, die Subway zu sanieren und damit auch die Verkehrsbehörde Metropolitan Transport Authority, kurz M.T.A., einen Nerv getroffen. Unter #CuomosMTA schimpfen die New Yorker seit Jahren leidenschaftlich.

„Mitten am Tag, und aus irgendwelchen Gründen bewegt sich die Subway in Schritttempo. Warte, ich weiß, was es ist: #CuomosMTA“

Eröffnet wurde die Subway im Oktober 1904

Dabei war die Subway einst der Stolz der Stadt. „New Yorks Traum eines Transitsystems wurde wahr“, schrieb „The New York Times“ zur Eröffnung im Oktober 1904. Rund 150 000 Passagiere strömten damals neugierig zu den 28 Stationen der ersten Linie zwischen der City Hall im Süden Manhattans und Harlem im Norden. Die Zeitung berichtete von „unbeschreiblichen Szenen des Trubels, die diese Stadt so noch nie erlebt hat“. Das New Yorker System, zunächst privat betrieben, galt als eines der modernsten der Welt. Das IRT Powerhouse am Hudson River, damals das größte Elektrizitätswerk der Welt, lieferte den Strom. Auch die Größe der Tunnel, die bis zu vier Gleise nebeneinander ermöglichte, war revolutionär. Erst fuhren die Züge nur in Manhattan, später kamen die Bronx, Brooklyn und Queens dazu.

Rund sechs Millionen Passagiere transportieren die 6400 Bahnwaggons heute täglich. Auf 380 Streckenkilometern liegen 472 Bahnhöfe. Es verkehren 25 Linien. Allein die frustrierenden Erlebnisse der New Yorker sind ungezählt.

„Ich wähle @CynthiaNixon, weil ich mehr als 10 Minuten auf einen Zug warte von dem die Anzeige behauptet er komme in einer Minute #CuomosMTA“

Je größer das System wurde, desto mehr verfiel es . Wie die „Ruinen von Stalingrad“ sähen manche Stationen aus, schrieb „The New York Times“. Stahl rostet, Putz bröckelt, Müll stapelt sich. Die Hälfte der Züge, die heute unterwegs sind, wurde in den 60ern, 70ern oder 80ern gebaut. Sie sind störungsanfälliger, wartungsintensiver und deshalb teurer im Unterhalt. Die Signalanlagen sind noch älter, sie stammen aus den 30er Jahren.

Die Sanierung würde 100 Milliarden Dollar kosten

Laut Experten würde eine Sanierung des Systems die Verkehrsbehörde mehr als 100 Milliarden US-Dollar kosten. Dieses Geld ist nicht da. Stattdessen Entschuldigungen auf Twitter: „Die Züge der Linien 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, A, C, E, B, D, F, M, J, Z, N, Q, R, W und G sind verspätet. Wir entschuldigen uns für die Umstände.“

„Ich lebe nicht mal in New York, ich will nur, dass eure Züge repariert werden, damit ihr endlich über etwas anderes meckern könnt #CuomosMTA“

Doch es gibt auch Leute wie Reggie – 53 Jahre alt, in New York geboren, nie weg gewesen, nie weg gewollt –, die sich nicht beklagen. Hat er auch gar keine Zeit für. Gibt gerade genug zu tun.

Reggie steht auf einem Bahnsteig der Station Union Square. Ein zappliger Ort, vor allem morgens. Es riecht nach Metall und Urin – der Subwaymix. Reggie trägt eine blaue Weste mit gelben Warnstreifen. In der linken Hand hält er eine Taschenlampe, mit der er dem Zugführer gleich das Signal zum Losfahren geben wird. Diese paar Sekunden reichen, dass sich ein Knäuel der Ratlosigkeit um ihn bildet: Zwei Frauen wollen wissen, ob die Linie 6 planmäßig fährt. „Was ist mit der 5?“, fragt ein Mann.

Der Wayfinder muss vor allem: nett sein

„Wayfinder“ werden Mitarbeiter wie Reggie von der M.T.A. genannt. Wegfinder. Wobei Wegwisser passender wäre. Sein Hauptjob, sagt Reggie, sei nett sein. Zu jedem, immer. Vor allem dann, wenn alle völlig entnervt sind. Speziell in Manhattan, wo die Anzugträger wie aufgezogen zur Arbeit oder zum Lunch rasen, wo die Touristen mit „Keep moving“-Schildern zum schnellen Laufen ermahnt werden, wo keine Regel wichtiger ist als jene für die Rolltreppen – „Links gehen, rechts stehen“ –, wirkt die Krise der U-Bahn wie ein Fehler in der Matrix. Die New Yorker wollen schnell, aber sie können nicht.

„Reißt euch zusammen, und entschuldigt euch dafür, das schlechteste U-Bahn-System der Welt zu sein. #CuomosMTA“

Manchmal wirkt die Empörung berührend provinziell. Oft aber haben Verspätungen und Ausfälle drastische Folgen. Wie ein Report des New Yorker Rechnungsprüfers verriet, kosteten Verspätungen manche sogar ihre Jobs. 74 Prozent der Befragten gaben an, deshalb zu spät zu Meetings gekommen zu sein. 13 Prozent erzählten von Lohneinbußen.

Doch noch immer ist die Subway die einfachste Möglichkeit, schnell weite Entfernungen hinter sich zu bringen. Die New Yorker lieben ihre Subway. Aber vor allem lieben sie es, sie zu hassen.

„Hey @NYGovCuomo, ich steckte gerade während der Rush Hour in einem Zug der Linie 6 für 45 Minuten im Tunnel fest, auf dem Heimweg an einem Freitagabend. Geht die erste Runde Drinks auf Sie? #CuomosMTA“

Cynthia Nixon in der Subway
Cynthia Nixon in der Subway

© Drew Angerer/Getty Images/AFP

Cynthia Nixon weiß die kollektive U-Bahn-Neurose für sich zu nutzen. Obwohl auch sie bislang nicht erklärt, wie genau sie das System reformieren will. Kurz nachdem sie ihre Kandidatur verkündet hatte, warfen ihr die ersten vor, ungeeignet zu sein. Die Lokalpolitikerin Christine Quinn, eine Demokratin, nannte Nixon eine „unqualifizierte Lesbe“. Quinn, laut Eigenaussage selbst „eine qualifizierte Lesbe“, wollte 2013 Bürgermeisterin von New York City werden. Nixon habe sie nicht unterstützt. Wie könne sie sich nun zutrauen, Gouverneurin zu werden?

Fehlende Erfahrung kann man Nixon vorwerfen, fehlenden Instinkt nicht. Sie wird keine Möglichkeit auslassen zu betonen, dass Andrew Cuomo, seit 2011 Gouverneur des 20-Millionen-Einwohner-Bundesstaates, schuld am desaströsen Zustand des Subway-Systems sei.

Reggie sagt: "Es ist das geilste System der Welt.“

Reggie, der Wayfinder, weiß nichts von Nixons Kandidatur. Er hatte keine Zeit für News, er arbeitet. Seit 18 Jahren ist er bei der M.T.A., die meiste Zeit davon als Zugführer. Seit zwei Jahren kümmert er sich nun um Passagiere auf den Bahnsteigen. „Es werden immer mehr Kunden“, sagt Reggie. Sein Grundsatz: „Good energy, man, good energy.“ In einem der wenigen halbruhigen Momente sagt er: „Das System ist alt, verdammt alt. Aber! Es ist das geilste System der Welt.“ Es klingt wie: New York ist so toll, da kann die Subway ruhig mal pausieren. Natürlich sehen das nicht alle so.

„Wird die Fahrt mit dem E Train heute Abend wieder so brutal wie gestern? Würde es gern vorher wissen, bevor ich noch mal 90 Minuten meines Lebens an #CuomosMTA verliere“

Wenn eine Großstadt weiß, wie sich das alles anfühlt, dann Berlin. Ende dieses Jahres feiert die Berliner S-Bahn- Krise Zehnjähriges. Im Winter 2008 sorgten defekte Türen und eingefrorene Fahrsperren für massenweise Ausfälle und Verspätungen. Das Chaos war jahrelang noch Gesprächsthema in der Stadt. In New York ist das Drama natürlich noch größer, das leitet sich schon allein aus dem Größenwahn dieser Stadt ab.

Was auch immer den Zugverkehr behindert, wird als „incident“ bezeichnet, Vorfall, und ist den Fahrgästen als Signalfehler, Weichenstörung oder Bauarbeiten bekannt. Jüngst häufiger: zu geringe Kapazitäten/Überbelegung. Oder Unfall.

Ein Unfall endet an diesem Tag tödlich

An diesem Tag erfahren die Passagiere an der Grand Central Station über Lautsprecher, dass die Linien 5 und 6 Richtung Bronx ausfallen. Ein 23-jähriger Mitarbeiter der M.T.A. ist in einem Tunnel gestürzt und gestorben. Meckern ist jetzt mal nicht. Doch fünf Stationen weiter, 72nd Street, Upper West Side, wird wieder geschimpft. Ein junger Mantelträger steht vor Plakaten, die über Planänderungen informieren. Ein zweiter Mann kommt dazu, zusammen rollen sich die Augen besser, zusammen finden sie eine alternative Route.

„#GTrain festgesteckt im Tunnel für zwei Stunden #CuomosMTA“

Manche behaupten, der Jammer habe in den 70ern begonnen. Als die Stadt durch die Finanzkrise zum Sparen gezwungen war. Mitte der 90er, sagen andere, als der damalige Bürgermeister Rudolph Giuliani das Budget drastisch kürzte. Nach Hurricane Sandy 2012, hört man manchmal, als der Untergrund unter Wasser stand. Und andere können sich an ein New York ohne schrottiges Subway-System beim besten Willen nicht erinnern. Als im Sommer 2017 ein Zug entgleiste und Dutzende Passagiere verletzte, erklärte der Gouverneur den Ausnahmezustand.

Im Januar dieses Jahres waren nur 58 Prozent der Züge pünktlich – das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der M.T.A. In 10 000 Fällen, ermittelte die „Daily News“, wusste die Behörde nicht einmal den Grund für die Verspätungen – und gab einfach irgendeinen an. Keine Metropole weltweit habe ein so unzuverlässiges U-Bahn-System wie New York, sagen Experten. Was auch daran liegt, dass die Züge immer langsamer fahren. Wie die Website „Village Voice“ enthüllte, lag die Spitzengeschwindigkeit mal bei 90 Stundenkilometern. Heute seien es nur noch 65. Das Tempo wurde ab den 90ern gedrosselt, nach einem Unfall auf der Williamsburg Bridge, bei dem Signalanlagen und das Notfall-Bremssystem offenbar nicht funktioniert hatten.

Der Andrang verzögert alles

Vonseiten der M.T.A. heißt es, dass der große Andrang das Hauptproblem sei. Je mehr Leute ein- und aussteigen wollen, desto mehr verzögert sich die Abfahrt. Das klingt wie eine Ausrede.

Auf Cynthia Nixons Website steht: „Gouverneur Cuomo hat es bei oberflächlichen, kosmetischen Veränderungen belassen, anstatt die realen Probleme anzupacken. Seine Idee von Modernisierung ist es, WLAN und digitale Anzeigen zu installieren.“

Cynthia Nixon will Gouverneurin des Staates New York werden.
Die Kandidatin. Cynthia Nixon will Gouverneurin des Staates New York werden.

© AFP

Ihre Diagnose ist nicht falsch. An vielen Stationen wurden in den vergangenen Jahren funkelnde Infosäulen und elektronische Werbetafeln aufgestellt, fast flächendeckend wurde Internet installiert, die nächste Zugreihe soll sogar USB-Anschlüsse haben. Aber solange Gleise, Tunnelanlagen und das Signalsystem nicht erneuert werden, können die Züge auch nicht schneller fahren. Die Verantwortung schieben sich Gouverneur Cuomo und New York Citys Bürgermeister Bill de Blasio gegenseitig zu.

Nicht mal auf die Unpünktlichkeit ist Verlass

11 Minuten Verspätung für den nächsten Zug zeigt die Anzeige an der Nostrand Avenue in Brooklyn an. Die Leute bücken sich immer wieder nach vorne, mit dem Oberkörper leicht über die Bahnsteigkante, auf der Suche nach dem Licht am Ende des Tunnels. Zehn Minuten, bücken, neun Minuten, bücken, acht Minuten, und plötzlich baut sich in der Ferne tatsächlich ein Donnern auf. Nicht mal zuverlässig unzuverlässig ist der A Train heute. Eine Mutter, ihr Kind auf dem Arm, und zwei Jugendliche gucken irritiert – und steigen dankbar ein.

„Die letzte E Train Richtung Downtown kam vor 20 Minuten und natürlich funktionieren die Anzeigen nicht! Das ist lächerlich! #CuomosMTA“

In New York mögen sie Cynthia Nixon. Sie wirkt witzig, zugänglich, seriös. Sie ist Mitglied der Demokraten und mit dem früheren US-Präsidenten Richard Nixon nicht verwandt. Sie schickt ihre Kinder auf normale öffentliche Schulen. Sie heiratete 2012 ihre Freundin Christine Marinoni, ebenfalls eine Aktivistin. Und seit ihrer Brustkrebserkrankung sammelt Nixon Spenden für andere Betroffene.

In „Sex and the City“ ist ihre Figur Miranda die bodenständigste der vier Hauptdarstellerinnen. Irgendwann verlässt sie sogar Manhattan und zieht nach Brooklyn, zum Schock ihrer Freundinnen. Sie alle haben tolle Jobs und fabelhafte Apartments, eine karikaturhaft-privilegierte Welt. Die Subway nehmen sie nur, wenn wirklich jedes Taxi der Stadt besetzt ist.

Im reellen New York ist das nicht anders. Die U-Bahn-Krise trifft nicht alle gleich. Manche können aufs Taxi ausweichen, wenn die Subway versagt, andere sind zum Warten verdammt. Aber: Genervt sind sie alle.

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