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Beamte der Abteilung Beweissicherung beschlagnahmten 77 Immobilien der Familie R.

© Paul Zinken/dpa

Offene Rechnung: Der Staat greift nach dem Geld von Berlins kriminellstem Clan

Hehlerei, Raub, Mord – seit Jahren drangsalieren Mitglieder eines Familienclans Berlin. Zeugen sind selten, die Justiz schien machtlos. Doch nun könnten die R.s in Not geraten.

Er nennt ihn „den Paten“. Erzählt davon, dass der Mann freundlich zu ihm und anderen Nachbarn sei, manchmal klingele, um sich Werkzeug für die Gartenarbeit auszuleihen. Nachts sei immer viel los im Haus des Paten, im Souterrain habe bis zu seiner Festnahme das jugendliche Familienmitglied gewohnt, das derzeit in Untersuchungshaft sitzt und auf seinen Prozess wegen Mordes wartet. Auf der Straße vorm Haus, von Ampel zu Ampel, ein ungefähr 500 Meter langer Abschnitt ist das, habe die Familie aber „nie was gemacht“.

Ein anderer Nachbar sagt dagegen: „Hörn Sie auf. Furchtbar. Von dem Zeitpunkt, wo die eingezogen sind, lauter Einbrüche. Beim Frisör, beim Fleischer.“ Ständig stünden Polizeikleinbusse vor der Tür. Die Kinder seien dreist. „Eine Pest.“ Kein schönes Gefühl sei es, hier in der Gegend zu wohnen.

Das Haus, gelb, recht prachtvoll und gepflegt wie der Garten und im stillen Ortsteil Buckow im Süden Berlins gelegen, zählt zu jenen 77 Immobilien, die am vergangenen Freitag beschlagnahmt wurden. Sie gehören Mitgliedern der arabischen Großfamilie R.

Berlins Leitender Oberstaatsanwalt ist keiner, der sich einen Triumph wie diesen anmerken lässt. Wie Jörg Raupach da am Donnerstagmittag zum Podium geschlichen kommt, vorbei an Reportern und Kameraleuten im aufgeheizten Konferenzsaal des Berliner Landgerichts, wie er fast schon dröge die Fakten vorträgt – und in 30 Minuten höchstens zwei, drei Mal schmunzelt.

Dabei geht es um den wohl größten Schlag wegen eines Geldwäscheverdachtes in der jüngeren Geschichte Berlins. Und um die vielleicht wirksamste Aktion gegen eine jener Familien, die als arabische Clans, als Berlins bestvernetzte Kriminelle bezeichnet werden.

Eine der umtriebigsten Kriminellengruppen der Stadt

Polizisten und Staatsanwälte haben 13 Anschriften in Berlin und Brandenburg durchsucht, Wohnungen, Häuser, Wochenendgrundstücke, ein Firmengelände. Sie haben Immobilien im Wert von 9,3 Millionen Euro vorläufig eingezogen und tausende Unterlagen gesichert.

Die Familie R. gilt als eine der mächtigsten und umtriebigsten Kriminellengruppen der Stadt. Neun Mitglieder werden als Intensivtäter geführt, hunderte Straftaten – von Diebstahl über Hehlerei, Nötigung, Bankraub und Mord – werden ihnen zur Last gelegt. Auch den Einbruch ins Bode-Museum im März des vergangenen Jahres, bei dem eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze entwendet wurde, sollen Mitglieder der Familie R. begangen haben.

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Jörg Raupach wollte diese Pressekonferenz gar nicht einberufen. Er ist zwar so etwas wie ein Chefermittler der Hauptstadt, aber eben auch ein stiller Beamter, kein Law-and-Order-Krakeeler, kein Angeber. Was Raupach an diesem Donnerstag preisgibt: Die Beamten ermitteln gegen 16 Beschuldigte und lassen vier Staatsanwälte und vier Rechtspfleger all die Unterlagen auswerten, die nun einmal ausgewertet werden müssen, wenn passieren soll, was Raupach sich wünscht: dass die Neuköllner Großfamilie ihre Immobilien nicht zurückbekommt.

„Das alles hat einen Umfang“, sagt Raupach, und sein Mund zuckt für ein, zwei Sekunden, „den man ansonsten nicht so schnell erreicht.“

Auslöser des Verfahrens ist ein Geldwäscheverdacht. Raupach zufolge könnte die aus dem Libanon stammende Familie 9,3 Millionen Euro – vor allem aus einem Einbruch in eine Sparkasse in Mariendorf stammend – in Immobilien investiert und damit quasi legalisiert haben.

Die Beute bleibt verschwunden

Im Herbst 2014 waren Schließfächer der Bank aufgebrochen und ein Geldautomat gesprengt worden. Ein Täter verletzte sich dabei, er sitzt derzeit eine Haftstrafe ab. Die Beute blieb verschwunden. Der verurteilte Mann gehört der Familie R. an. Seine Verwandten haben Raupach zufolge 2015 dann Wohnungen und Grundstücke gekauft. Auffällig: Ein Käufer, der über hunderttausende Euro verfügte, soll ein junger R. gewesen sein – und zwar einer, der Transferleistungen bezog, meist von Hartz IV lebte.

Seitdem haben sich Dutzende Ermittler mit dem Geldwäscheverdacht befasst, die Zahl der Verdächtigen stieg bei den Recherchen in Grundbuchämtern und Banken auf jene 16 Angehörige der Familie und Bekannte an. Der Staatsanwalt sagt: „Einige von ihnen sitzen schon wegen anderer Taten in Untersuchungshaft.“ Gewaltfälle, Eigentumsdelikte.

Die Familie R. wird in dem Haus in Buckow übrigens bis auf Weiteres wohnen bleiben – wer nicht wegen anderer Taten in Haft sei, wird derzeit jedenfalls nicht wegen des Geldwäscheverfahrens eingesperrt. Die Nachbarn der R.s bleiben auf der Hut. Einer würde der Familie nicht mal seinen Spaten leihen. „Dann ist da meine DNA dran und dann ist das vielleicht plötzlich ein Beweisstück.“

In den anderen beschlagnahmten Häusern wohnen „viele Menschen“, sagt Raupachs Staatsanwaltskollege Bernhard Mix, „die nicht zu der Großfamilie“ gehörten. Diese Mieter bekämen „im Idealfall“ nichts von der Beschlagnahmung mit. Die Immobilieneinnahmen fallen nun erstmal an den Staat.

Von einem „Puzzle“, einer „Heidenarbeit“ spricht Mix. Und: „Wir rechnen immer damit, dass sich Verdächtige ins Ausland absetzen könnten – und wir sind darauf vorbereitet.“ Innensenator Andreas Geisel, SPD, sagte zufrieden, der Rechtsstaat habe gezeigt, wie stark er sei: „Wir steigen den Kriminellen auf die Füße und treffen sie dort, wo es ihnen richtig weh tut: beim Geld und Eigentum.“

Eine katastrophal gescheiterte Integration

Die Familie R., der bis zu 500 Angehörige zugerechnet werden, ist auf Schulhöfen, in Shisha-Bars, Autohäusern und Haftanstalten bekannt. Immer wieder hat sich der Nachwuchs mit Männern anderer Clans geprügelt, es wurden Waffen gezogen, es wurde geschlagen, getreten. Dass Berlin ein Problem mit arabischen Clans hat, schreiben auch internationale Medien. Die BBC berichtet: „Berliner Polizei beschlagnahmt Immobilienimperium eines Libanesenclans.“

Die Geschichte der Familie R. ist auch die Geschichte einer katastrophal gescheiterten Integration. Das Scheitern begann vor ihrer Ankunft in der Bundesrepublik. Ursprünglich lebten die R.s in Südostanatolien, auf dem heutigen Staatsgebiet der Türkei nahe Syrien. Im frühen 20. Jahrhundert wurden sie vertrieben. Einige landeten in Beirut. Schon dort – nach dem Ende des Osmanischen Reichs gehörte die Stadt als Teil eines Völkerbundmandats zu Frankreich – blieben die Familienmitglieder unter sich, durften nicht arbeiten. Als die R.s in den 1980er Jahren wegen des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland kamen, blieben sie auch hier ungewollt.

Ein Mann aus dem Sicherheitsgewerbe, der die Entwicklung der Familie seit den 1980er Jahren verfolgt hat, behauptet: Die hochkriminellen Karrieren sind Folge des notgedrungenen Unter-sich-bleibens. Mitglieder dieser Familien hätten gemerkt, was ihr wichtigstes Kapital ist – der eigene Zusammenhalt. Die Gewissheit, dass man sich, egal in welcher Lebenslage, aufeinander verlassen kann, und dass diese Bindung stärker ausgeprägt ist als in deutschen Familien. Der Mann aus dem Sicherheitsgewerbe sagt:

„Wenn man ehrlich ist, wurde ihnen dieser bedingungslose Zusammenhalt über Jahrzehnte durch die Gesellschaft antrainiert. Sie haben eben bloß herausgefunden, was man damit anstellen kann.“ Weil Gesetzesbrüche einfacher sind und der Kampf gegen Rivalen effektiver ist, wenn man sich auf seine Komplizen verlassen kann. Allein die Eltern einer Kernfamilie der R.s haben zwölf Kinder, die meisten sind den Ämtern als Straftäter bekannt.

Bushido zeigt sich mit einem Clanmitglied im Video

Dass dieser Schlag überhaupt möglich wurde, verdankt die Polizei einem Gesetz, das den Kampf gegen das organisierte Verbrechen möglicherweise entscheidend verändern wird. Im Juli 2017 trat die Reform des sogenannten „Gesetzes zur

Vermögensabschöpfung“ in Kraft. Es erlaubt, mutmaßlich illegal erworbenes Vermögen auch dann zu beschlagnahmen, wenn dessen Ursprung noch nicht bewiesen ist. Essentiell ist dabei die Umkehrung der Beweislast: Nun müssen Verdächtige belegen, dass sie ihr Vermögen legal erwirtschaftet haben – der Staat muss nicht mehr das Gegenteil beweisen. In Italien hat sich dies als effizientes Mittel im Kampf gegen die Mafia erwiesen. Die Bundespolitik hat damit eine EU-Richtlinie umgesetzt – und zwar nachdem Fahnder anderer Staaten immer wieder monierten: Mafiöse Banden könnten nirgendwo so einfach Geld anlegen wie in Deutschland.

Auch Rapper Bushido steht in Kontakt zu einem Mitglied der Familie R. Seit er sich von seinem langjährigen Vertrauten Arafat Abou-C, Kopf einer rivalisierenden Großfamilie, getrennt hat, wird spekuliert, ob sich Bushido einen anderen Beschützer – im Szenejargon „Rücken“ genannt – suchen musste. Schließlich hat es sich Bushido im Laufe der Jahre mit diversen Halbweltgestalten verscherzt, die den Rapper bloß wegen seiner Nähe zu den Abou-C.s in Ruhe ließen. In den vergangenen Wochen war Bushido an der Seite von Ashraf R. zu sehen. Im Internet kursiert ein Video, in dem beide während einer Autofahrt herumalbern.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel erwartet, dass die Beschlagnahmung „große Wirkung in der arabischen Community“ haben werde. Die Staatsanwaltschaft habe gezeigt, „dass die wenigen schwarzen Schafe mit Konsequenzen rechnen“ müssten. Hikels Vorgängerin, die jetzige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, hat schon vor Jahren um mehr Fachleute im Kampf gegen die Clans geworben – sie brachte Richter, Ankläger, Sozialarbeiter zusammen. Und sie hat bundesweit auf die Gefahr der Großfamilien aufmerksam gemacht.

Sie beschäftigten immer schon die besten Anwälte

Im Bezirksamt war bekannt, dass Clans versuchen, illegal beschafftes Geld in Immobilien zu investieren. Dass – wie sich im Zuge der Beschlagnahme herausstellte – auch Kleingartenanlagen für arabische Clans interessant seien, sagte Hikel, „hat mich überrascht“. Der Bürgermeister findet es im Umgang mit der Clankriminalität „total richtig, sich dem Geld zu widmen“. Mit viel Mühe könne man die Geldflüsse immer nachvollziehen. Kriminelle Clanmitglieder „wissen genau, wie das Spiel funktioniert, und wissen genau, wie man sich unsichtbar macht“, wenn man Immobilien kaufen wolle. Da würden Mittelsmänner und Mittelsfrauen eingesetzt.

Zu den Beschlagnahmungen der Immobilien ist bei der Staatsanwaltschaft bereits ein Widerspruch eingegangen. Wer der Anwalt ist? Ein renommierter Jurist, heißt es inoffiziell, die Familie nehme ja seit Jahren nur die besten. Vielleicht werden die R.s abgelöst, vielleicht erzeugen sie weniger Schrecken, weil der Staat sie nun kleiner hält. Am Dienstag, also ein paar Tage nach dem Großeinsatz, kam es in Tempelhof zu einem Streit. Einer der bekannteren R.s ließ sein Auto in einer Werkstatt reparieren. Die Schrauber waren ihm zu langsam, er bedrohte die Männer. Die sind im Milieu nicht völlig unbekannt, jedenfalls hatten sie an diesem Tag offenbar keine Angst vor der Neuköllner Familie. Nach einem Wortgefecht prügelten sie den Mann nieder. Dann stach, so haben es Zeugen gesehen, einer der Arbeiter dem Sprössling ins Bein.

Die Schrauber, hieß es im Milieu zuerst, fürchteten einen Racheakt. Ein Polizeibeamter aus dem Kiez sagt: Vielleicht gebe es da gerade eine Zeitenwende, vielleicht traue sich jemand nun auch mal zustechen, wo er vorher weggerannt wäre.

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