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Tim Renner am Montag im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.

© dpa

Premiere im Anzug: Tim Renner ist in der Politik angekommen

Die Aktuelle Viertelstunde im Berliner Abgeordnetenhaus dauert zwar nur gute zehn Minuten. Doch Tim Renner besteht sein Debüt als Kulturstaatssekretär - sogar mit einer Wortmeldung.

Um die zweitwichtigste Frage gleich am Anfang zu klären: Tim Renner trägt an seinem ersten Arbeitstag als Kulturstaatssekretär einen Anzug und ein gemustertes Hemd in gedeckten Farben, keine Krawatte. Sein Erscheinen im Abgeordnetenhaus wirkt locker, unaufgeregt, schließlich hatte der Musikmanager zwei Monate Zeit, sich auf seine neue Aufgabe in der Politik vorzubereiten. Wie bei seiner Vorstellung Ende Februar im Roten Rathaus, betritt der 49-Jährige, der immer deutlich jünger aussieht, am Montag zusammen mit Klaus Wowereit den Sitzungssaal. Man hat nicht das Gefühl, dass Renner Rückendeckung braucht. Der Regierende Bürgermeister und Kultursenator ist in erster Linie hier, weil ihm das Thema Zentrale Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld am Herzen und im Magen liegt. Beim Volksentscheid am 25. Mai geht es für die SPD um viel.

Die Frage nach den "Russenpanzern"

Und zur wichtigsten Frage: Ja, er hat etwas gesagt. Die Aktuelle Viertelstunde, mit der die Sitzung im Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten beginnt, dauert zwar nur gute zehn Minuten. Aber Tim Renner bekommt Gelegenheit, den Mund zu öffnen. Die Piratenpartei will wissen, wie die Kulturverwaltung zu der von den Boulevardblättern erfundenen Kampagne steht, die „Russenpanzer“ aus dem Tiergarten zu beseitigen. Es handele sich nicht um russische, sondern um Panzer der Roten Armee, die Berlin befreit hat, antwortet Renner. Im Übrigen habe sich die Bundesrepublik Deutschland vertraglich verpflichtet, die sowjetischen Ehrenmale – es gibt drei im Berliner Stadtgebiet – zu erhalten. Und dann blitzt kurz so etwas wie persönlicher Stil in Renners kurzer Einlassung auf, als er sagt: „Die Ästhetik eines Panzers ist nicht jedermanns Sache. Das gehört aber zum Stadtbild Berlins, das Gute und das Schlechte der Geschichte zu zeigen.“

Der Auftakt über das Historische und und die Verantwortung dafür scheint gut vorbereitet. Tim Renner antwortet kurz und bündig. Die beiden nächsten Fragen, die sich auf Tempelhof und die East Side Gallery beziehen, greift sich Wowereit. Nach der Sitzung wirbt auch Renner für den Bau einer "Metropolenbibliothek". Angesichts der Digitalisierung sei die Wissensvermittlung wichtiger denn je.

Renner als beabsichtigte Anti-Besetzung

Der Quereinsteiger wird bei seinem Debüt im Ausschuss freundlich von allen Seiten begrüßt, noch ein paar Nettigkeiten, und dann reden die Experten, die zur Anhörung über die Bibliotheken in Berlin geladen sind. So könnte seine Rolle in den nächsten Wochen aussehen: zuhören. Das Problem ist, dass dieses Amt leicht überschätzt wird. Aber auch das Gegenteil ist richtig: Man soll es nicht unterschätzen. Im Theater würde man sagen, Tim Renner ist eine beabsichtigte Anti-Besetzung. Von ihm wird erwartet, dass er sich um kreative Potenziale jenseits der Institutionen kümmert, um die Freie Szene. Alles andere ist weitgehend geregelt. Der Doppelhaushalt 2014/15 liegt fest, und Personalentscheidungen für die großen Bühnen trifft am Ende Wowereit selbst.

Renners Aufgabengebiet ist riesengroß

Die deutsche Hauptstadt hat Laborcharakter. In seinem soeben bei Matthes & Seitz erschienenen Pamphlet „Die Ordnung herrscht in Berlin“ wettert Francesco Masci gegen die „postpolitische Moderne“. Diese habe ihren Vorposten in Berlin, „in einer befriedeten Gesellschaft unter dem neuen Regime der Kultur“. Das Büchlein ventiliert allerhand Soziologenquatsch und Linksromantik, stellt aber auch Fragen, die über eine Aktuelle Viertelstunde hinausreichen: Was werden soll aus einer Metropole, die immer mehr Eventästhetik produziert und von hedonistischen Versprechen lebt?

Berlins Kultur braucht Strategien für die Zeit nach dem Konsolidierungskünstler Wowereit. Renners Aufgabengebiet ist also riesengroß. Es umfasst nicht nur eine Gegenwart, in der er lernen muss, sondern auch die Zukunft, in der wir alle Lehrlinge sind.

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