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An einem warmen Tag strömen Hunderttausende ins Umland.

© picture alliance/dpa

Touristen-Ansturm aufs Berliner Umland: Wie Erzieherinnen dem Ordnungsamt auf Corona-Streife helfen

Keine Gruppen! Abstand wahren, auch am Seeufer! Die Ordnungsämter im Umland fürchten den Ansturm der Berliner - und rekrutieren Unterstützung.

Wenn der Wandlitzer Bürgermeister vom Rathaus über die Prenzlauer Chaussee blickt, macht er sich Sorgen: Sobald es warm wird und die Sonne knallt, wird es voll in Wandlitz.

Die Chaussee – ein Stau. Wandlitz voller Menschen – und eine kleine Behörde, die die Corona-Vorschriften durchsetzen soll. An den bevorstehenden Wochenenden und in den Sommerferien mit tausenden Gästen, Touristen und Wasserfreunden „können wir die Sache nur noch begleiten“, sagt Oliver Borchert in seinem Rathaus.

So ist es an vielen Orten im Berliner Umland, zumal jetzt, in der Zeit der Lockerung: Die Wochenendtouristen kommen, die Datschenbesitzer, die Camper. Mit ihnen kommt das Geld in die Ausflugslokale, die Bootsvermietungen, die Eisdielen, die Biergärten.

Die Kleinstadtbehörden sind überfordert

Aber mit ihnen kommt auch ein Konflikt: Wer soll die ganzen Corona-Regeln durchsetzen? Schon die Berliner Ordnungsämter sind damit überfordert – deshalb sind Polizei- Hundertschaften unterwegs. Aber Wandlitz mit seinen Kleinstadt-Behörden?

Einerseits sind die Ausflügler willkommen. Ob Wandlitz oder Werder oder Zossen – längst sind die Berliner Ausflügler einkalkuliert in die Steuereinnahmen, die Parkgebühren, die Nutzung der Natur. Der Wandlitzer Bürgermeister sitzt in seinem Büro, trinkt einen Schluck Kaffee, zieht die Schutzmaske wieder über die Nase, den Mund und den Bart und rechnet vor: Im Sommer steige die Anzahl der Bewohner von 3000 auf 15 000, sagt er durch die weiße Maske.

Wandlitzs Bürgermeister Oliver Borchert fürchtet den Ansturm der Touristen - doch sie seien willkommen!
Wandlitzs Bürgermeister Oliver Borchert fürchtet den Ansturm der Touristen - doch sie seien willkommen!

© promo

Andererseits hat die Landesregierung auch in der Lockerung Abstände geregelt, Bäderöffnungszeiten, Maskenpflichten. In Brandenburg sollen die Ordnungsämter das alles durchsetzen. An normalen Wochentagen sind in Wandlitz vier Teams des Ordnungsamts im Einsatz, an Wochenenden acht.

Auf der anderen Seite der Prenzlauer Chaussee liegt der Eingang zum großen Strandbad. Daneben, an der kleinen Promenade, trocknet sich ein älterer Mann ab, der im noch ziemlich kalten See schon schwimmen war. Der Wandlitzsee, bis zu 24 Metern tief, zieht die Leute ebenso an wie zehn weitere Gewässer in der Umgebung, darunter Lieblingsziele vieler Berliner wie der Liepnitz- und der Obersee.

An einem Sommertag können es Hunderttausende werden

Wenn es wärmer wird, beziehen Leute aus der Stadt ihre Datschen, Dauercampingplätze oder ihre Ferienwohnungen. Dazu kommen die Tagestouristen. An einem heißen Sommertag können es hunderttausende werden – Wandlitz ist per Regionalbahn leicht zu erreichen. In einer alten Siedlung direkt im Kiefernwald haben Karin und Dieter im April ihre Datsche wieder bezogen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog]

Für die beiden Rentner aus Berlin ist das Häuschen auf dem 900 Quadratmeter großen Grundstück seit 1980 Zufluchtsort, früher nur am Wochenende, jetzt für Frühling, Sommer und den frühen Herbst. Vor den Datschen in der Nachbarschaft stehen zumeist Autos mit Berliner Kennzeichen. Nicht alle sind so perfekt eingerichtet wie die von Karin und Dieter.

"Hier fühlen wir uns sicher"

Als in Berlin die meisten Läden, Geschäfte, Bars und Restaurants geschlossen waren, zogen offenbar viele in die Datschen. Da war der Abstand automatisch größer, das Infektionsrisiko geringer. „Hier fühlen wir uns sicher“, sagt Karin, „in unserem Alter wollen wir gesund bleiben“.

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Mit Holzofen, eigener Wasserversorgung, einer kleinen Kläranlage und einer kompletten Küche war es für die beiden kein Problem, in der Datsche die Zeit des Berliner Lockdown gut zu überstehen. Dieter hat die Datsche mit viel eigener Arbeit und der Hilfe anderer Kiefernsiedlungsbewohner selbst gebaut, das Fundament selbst gegossen.

[Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

Er muss sich damals gefühlt haben wie Henry David Thoreau, der amerikanische Volksschullehrer, der 1845 einen radikalen Selbstversuch unternahm: Er bezog – ausgerechnet am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli 1845 – seine noch längst nicht fertige Holzhütte in den Wäldern bei Concord, Massachusetts. Dort, in der Nähe des Waldensees, wollte er in und mit der Natur leben. Der See gab Thoreaus Buch über seinen zwei Jahre dauernden Selbstversuch den Namen: „Walden“.

Sie musste kreativ werden

Aus Bürgermeister Borcherts Sicht stellen sich Wälder und Seen in der Zeit der Corona-Lockerungen etwas anders dar: schön, attraktiv und problematisch zugleich. Thoreau dachte über die Einsamkeit nach und über „höherer Gesetze“, wie er es nannte, er beobachtete Tiere. Was heute in den Wäldern um Wandlitz und an den Seen der Umgebung stattfindet, ist der Versuch, die Theorie der Landesgesetze und Regelungen in der Coronakrise mit den Möglichkeiten kommunaler Behörden durchzusetzen.

Alle kommen mit einem Gedanken

Borchert ist ein Mann klarer Worte. Problematisch werde es, wenn tausende von Badegästen in der Hitze anrückten, alle mit dem einen Gedanken: „Ich jetzt sofort See!“ Wenn der Sommer komme, sagt Borchert, „dann stehen die Autos natürlich irgendwo“. Wer die Seen im Umland kennt, der kennt auch die „Hotspots“, wie Borchert sagt – die zugeparkten Problemzonen, an denen sich gern „extremer Unmut“ zeigt – der Unmut der zugeparkten Anwohner oder der „Ich-jetzt-sofort-See“-Touristen.

Die Erzieherin sagte sofort zu

Wenn dazu noch neue Regeln kommen – keine Gruppen!, anderthalb Meter Abstand, auch am Seeufer! –, reichen die vier Außendienst-Teams des Ordnungsamts nicht mehr aus. Bürgermeister Borchert hat deshalb seine Behörden zwischenzeitlich umorganisiert.

Als die Kitas geschlossen waren, fragte er herum, wer von den Erziehern sich vorstellen könne, mal für das Ordnungsamt auf Streife zu gehen. Katja Kobold, Leiterin der Kita im Wandlitzer Ortsteil Stolzenhagen, sagte zu.

Neue Spielregeln. Erzieherin Katja Kobold hat vorübergehend für das Ordnungsamt gearbeitet.
Neue Spielregeln. Erzieherin Katja Kobold hat vorübergehend für das Ordnungsamt gearbeitet.

© Werner van Bebber

Katja Kobold ist eine freundliche Frau, die sich zutraute, für eine Zeit nicht mehr Kinder zu erziehen, sondern Erwachsene an die Corona-Regeln zu erinnern. Mit einer Kollegin aus der Kita war sie sich schnell einig, dass es „höchst interessant“ sein würde, den Job der Leute vom Ordnungsamt mal kennenzulernen. Zwei weitere Kollegen, zwei Männer, machten ebenfalls mit, erzählt sie.

"Nehmen die uns tatsächlich ernst?"

Es war noch kalt, als sie erstmals mit ihrer Kollegin auf Streife ging. „Wir beide zusammen – wir haben uns sicherer gefühlt“, sagt sie. In einer Schulung waren ihnen die Vorschriften, denen sie zur Geltung verhelfen sollten, erklärt worden – genauso wie der Grundsatz, dass ihre eigene Sicherheit immer vorgehe. Strafzettel hätten die Aushilfen nicht ausstellen dürfen. Die beiden Erzieherinnen in blauen Ordnungsamts-Jacken hätten „schon überlegt: nehmen die uns tatsächlich ernst“, sagt sie mit einem Lachen. Und: „Was sagt man denn überhaupt?“ Gemeinsam hätten sie darüber nachgedacht, „wie wir das für uns strategisch angehen“.

Immer in Kontakt mit der Polizei

Zwei Frauen, verpflichtet, drei möglicherweise angetrunkenen Männer, mit einer kreisenden Flasche „Goldbrand“ auf einer Parkbank sitzend und genervt vom Kontaktverbot, zu vermitteln, dass sie sich sofort weiter zu bemühen haben – keine unproblematische Idee. So etwas wie Regeln der Selbstverteidigung seien ihnen nicht beigebracht worden, sagt Katja Kobold. Allerdings seien mit ihnen, den Aushilfs-Ordnungsamtsmitarbeitern, auch immer erfahrene Teams unterwegs gewesen.

Und sie hatten Kontakt zur örtlichen Polizei, die im Zweifel schnell zu Hilfe gekommen wäre. Aber ihr sei auch klar geworden: „Die, die das immer machen, strahlen eine andere Sicherheit aus.“ Der Sinn der Sache mit den Ersatz-Ordnungskräften: „Borchert wollte Präsenz.“ Und dass das Ordnungsamt den Leuten „den Ernst der Lage klarmacht.“

"Sorry, ihr dürft hier nicht sein"

Als Kontaktverbote, Schließungsverordnungen und die anderen Corona-Vorschriften noch neu waren, wurden sie offenbar penibler befolgt. „Es gab niemanden, der nicht einsichtig war“, sagt Katja Kobold. Manchmal hätten ihr die Leute richtig leidgetan. Ein älteres Ehepaar zum Beispiel: Die beiden hätten sich gerade auf einer Bank niedergelassen, mit Broten für ein kleinen Picknick. „Sorry, Ihr dürft hier nicht sein“, habe sie den beiden sagen müssen – dabei hätte sie sich am liebsten dazugesetzt. In Stolzenhagen gebe es auch ein Heim für Asylbewerber. Seitdem frage sie sich: „Was sprechen die in Eritrea?“

Heute ist sie skeptisch, dass sich die Hygiene- und Abstandsregeln so leicht durchsetzen lassen wie zu Beginn der Corona-Pandemie. Katja Kobold kennt die Dörfer, die Wälder, die Seen rund um Wandlitz, hier hat sie ihre vierundvierzig Lebensjahre verbracht.

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Wenn es warm werde oder heiß, dann sei Wandlitz „definitiv voll“. Ihre Laufstrecke um den Liepnitz-See zeige ihr immer wieder aufs Neue: „Da würde ich am Wochenende nicht langgehen – ich geh’ nicht an die Seen, wo ganz Berlin liegt… Da sind so viele Leute da.“

Sie würde wieder im Ordnungsamt aushelfen

Katja Kobold hat inzwischen wieder die Leitung der „Waldgeister-Kita“ in Stolzenhagen übernommen. Das ist schließlich ihr Hauptberuf. Sie ist ein fröhlicher Mensch, und deshalb findet sie die Lockerungen gut, die nun überall die starren Kontaktsperren ersetzen. „Aber je schwammiger die Aussagen sind, desto schwerer ist so was durchzusetzen“, sagt sie.

Mit dem Partner auf der Decke im Park sitzen, Freunde aus einem zweiten Haushalt treffen – „es wird immer schwieriger, das durchzusetzen“, sagt Katja Kobold. Immerhin – sie kann sich vorstellen, den Ordnungsamts-Job wieder mal zu machen, wenn es sich mit ihrer Arbeit vereinbaren lässt.

Wer soll die Grillpartys kontrollieren?

Bürgermeister Borchert sieht die Entwicklung mit Sorge. Wer soll Grillpartys und die Treffpunkte der Jugendlichen kontrollieren, die längst als „wide spreader“ identifiziert sind? Vier Teams vom Ordnungsamt? Unter der Woche haben die es mit den üblichen Ordnungswidrigkeiten zu tun, mit Falschparkern oder mit Leuten, die die Lockerung zu leichtnehmen. Sie kontrollieren vielleicht noch die Hygiene-Regeln und Abstandsvorschriften, die für die Geschäfte und Supermärkte gelten. Dafür reichen die normalen Kräfte.

Slogan: "Echt schön hier"

Aber Borchert muss auch immer ein bisschen große Politik mitdenken. Sein Wandlitz – zutreffender Werbeslogan: „Echt schön hier“ – könnte ja gemeint sein, wenn Landes- und Bundespolitiker den genervten Bürgern vom „Urlaub in Deutschland“ vorschwärmen. Aber zunächst mal ist Wandlitz Kommunalpolitik, die die Coronakrise und die Landespolitik zusammenbringen muss.

Borchert schenkt Gästen, deren Zellstoffmasken ständig verrutschen, eine Stoffmaske aus Wandlitzer Produktion, handgenäht von Bürgern, die Zeit hatten helfen wollten. Eilig wurde eine Internetseite programmiert, auf der die verschiedenen Hilfsangebote von der Notfall-Betreuung in Kita und Hort bis zu Einkaufs- und Lieferdiensten zu finden sind.

Pfingsten öffnet das Strandbad

Dann kommt er wieder auf die Lücke zwischen den Regelungen der Landesregierung und den Möglichkeiten der Wandlitzer Behörden. Beispiel Strandbad: Das soll am Freitag vor Pfingsten wieder öffnen. Die Corona-Regeln müssen auch hier durchgesetzt werden – und prinzipiell auch an den Badestellen der Umgebung und der anderen Seen.

Es ist der Anfang des Sommers, in dem neue Regeln gelten. Bald werden Regionalbahnen in Wandlitz halten, in den Anderthalb-Meter-Abstände unmöglich zu beachten sind – schon weil die Züge seltener fahren, als es potentiellen Tagestouristen und Wasserfreunden lieb ist. Und dann? Abstände an Pommesbuden und Pizzerien? Anderthalb Meter bis zur nächsten Decke an den wilden Badestellen?

Borchert hat zusätzliche eine Security-Streife bestellt und ein paar wenige Saisonkräfte für den Außendienst des Ordnungsamts rekrutiert. Doch ist klar, dass das Personal der Gemeinde nicht reicht, um die Vorschriften der Landespolitik durchzusetzen. „Ich kann nicht fünfzig Leute in den Außendienst stecken“, sagt Borchert über die Möglichkeiten seiner Verwaltung. „Bei dieser ganzen Pandemie kann man eigentlich nur auf die Vernunft der Menschen hoffen.“

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